Michael Wüthrich polarisiert mit seiner autofeindlichen Haltung. Der Grüne Grossrat mag es radikal. Neuerdings fordert er den Rücktritt von Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels – und kann sich vorstellen, selber für die Regierung zu kandidieren.
Es gibt nur wenige Politiker in Basel, die derart energisch über das Thema Verkehr sprechen können wie Michael Wüthrich. Und noch weniger, die sich so darüber nerven können wie es der Grüne immer wieder tut. Vergangene Woche regte sich der 54-Jährige dermassen auf, dass er sogar seinen Rücktritt als Grossrat ins Auge fasste. Er entschied sich aber doch dagegen und forderte stattdessen den Rücktritt von SP-Regierungsrat Hans-Peter Wessels.
Grund für Wüthrichs Ärger ist die Haltung der rot-grün dominierten Basler Regierung, insbesondere von Bau- und Verkehrsdirektor Wessels, zur Verkehrsreduktion in Basel. Demnach gibt die Regierung das Ziel vor, bis im Jahr 2020 den motorisierten Individualverkehr um zehn Prozent zu senken, welches vor vier Jahren vom Volk als Gegenvorschlag zur Städte-Initiative beschlossen wurde. Da immer mehr Menschen – trotz anderweitigen Bemühungen der Verwaltung – mit dem Auto unterwegs sind, will Wessels eine Fristverlängerung um fünf Jahre. Für Wüthrich ist dies «inakzeptabel» und «undemokratisch», er spricht von einem «Versagen». Wessels sei «der falsche Mann am richtigen Ort» und nehme seinen Auftrag nicht wahr.
Der Präsident der grossrätlichen Umwelt-, Verkehrs- und Energiekommission mag schon viele böse Sachen gesagt haben, aber so weit aus dem Fenster gelehnt hat er sich noch nie, schon gar nicht gegen das eigene Lager. Seine Rücktrittsforderung hält er nicht für übertrieben oder polemisch. Ganz wohl sei ihm schon nicht dabei, aber es gehe nicht mehr anders. Wüthrich sagt: «Wenn ein CEO eines Unternehmens sechs Jahre vor Zielerreichung schon sagt, dass er es nicht schafft, dann muss er auch ohne Wenn und Aber gehen. Hans-Peter Wessels respektiert den Willen einer Volksmehrheit nicht.» Er halte seinen Kopf für möglicherweise unpopuläre Entscheide nicht hin, sei eine Fahne im Wind.
Wahlversprechen nicht eingehalten
Der Vater dreier erwachsener Töchter zeigt sich enttäuscht von seiner eigenen rot-grünen Regierung. Diese habe nun zum dritten Mal versagt, nachdem sie schon die Umsetzung der Parkraumbewirtschaftung und des Verkehrskonzeptes Innenstadt verschleppt habe. «Die rot-grüne Regierung hat in den Wahlen 2004, 2008 und 2012 versprochen, dass sie den Verkehr reduzieren will – nichts davon ist umgesetzt. Wenn eine Regierung mit rot-grüner Mehrheit Volksentscheide umkippt und von dieser Linie abweicht, dann kann ich nicht mehr dazu stehen.» Man müsse sich nicht mehr wundern, wenn die Politik an Glaubwürdigkeit verliere, sagt der Lehrer am Gymnasium Leonhard.
Autofahren ist für den Klimatologen in den allermeisten Fällen eine böse Angelegenheit. Es gebe keinen Grund, jeden Tag im eigenen Auto aus der Agglomeration nach Basel zu fahren, sagt Wüthrich. «Weniger Autoverkehr bedeutet mehr Lebensqualität. Dafür setzte ich mich ein.» Seit 2005 tut er dies im Grossen Rat und eckt immer wieder an. Für nicht wenige ist er eine Nervensäge, ein Fundamentalist, ein Ideologe. Einer, der den Menschen vorschreiben will, wie sie zu leben haben, ihre Freiheit einschränken will. Wüthrich kann dies nicht mehr hören: «Ist es denn Freiheit, wenn die Autofahrenden einem Teil der Bevölkerung aufoktroyieren, was mit dieser Erde und der Lebensqualität zu passieren hat?», fragt er. Wenn man nicht handle, gehe es dem Klima auf der Erde schlecht; dies sei zwar vielen egal – er habe es aber noch auf dem Radar. «Und dort wo ich etwas ändern kann, mache ich es.»
Führerschein und Pilotenschein
Wüthrich hält seine Ansichten nicht für radikal. «Ich will das Autofahren ja nicht verbieten, aber dort, wo man einfach darauf verzichten kann, soll man es. Ich verstehe Behinderte, das Gewerbe und Familien, die auf das Auto angewiesen sind.» Wüthrich, der auf dem Bruderholz lebt, hat selber einen Führerschein (sogar den Pilotenschein hat er aus seiner Militärzeit). Das letzte Mal fuhr er vor zwei Jahren in Sardinien Auto. Ohne schlechtes Gewissen, wie er sagt. «Es gab keinen ÖV, also nahmen wir das Mietauto.»
Der ehemalige Verwaltungsrat der BVB sieht sich nicht als Machtmenschen. Eine Regierungsratskandidatur kann er sich aber vorstellen, auch wenn er wohl zu geradlinig dafür sei. «Sollte Wessels zurücktreten, würde ich sofort für das Bau- und Verkehrsdepartement kandidieren. Dann würde ich wohl nach vier Jahren nicht mehr wiedergewählt, aber immerhin würde dann die Fahne stetig in grüner Richtung wehen.» Wüthrich sagt das lachend, es klingt trotzdem wie eine Drohung.