Münchenstein hat die höchste Dichte an Flippern in beiden Basel: 50 Automaten aus den letzten sieben Jahrzehnten sind im Vereinsdomizil des Flipperclubs Regio Basel ausgestellt. Das Tolle daran: Einmal im Monat darf jeder zocken, bis die Augen blinken und die Ohren tuten.
Der fünfjährige Nathan braucht einen Hocker. Er braucht ihn, damit er draufstehen und über die Kante des Flippertischs hinweg auf die Spielebene unter dem Glas blicken kann. Besonders gefalle ihm der AC/DC-Kasten, sagt er. Und der von Southpark. Denn der hat eine Miniatur-Kloschüssel auf dem Spielfeld, die sich bewegt, wenn man sie mit dem Ball anschiesst.
Nathan hat zu Weihnachten einen Kinderflipper mit Batterie geschenkt bekommen. Aber das ist natürlich nichts im Vergleich zu den grossen, echten Flipperautomaten. Das weiss Nathan. Seine Mutter hat ihn bereits das fünfte Mal nach Münchenstein in die Halle des Flipperclubs Regio Basel mitgenommen.
Einmal im Monat lädt der Verein freitags und samstags alle Interessierten zum Zocken ein; samstags von 16 bis 20 Uhr dürfen auch Kinder an die Spieltische. An diesem Wochenende im April sind neben Nathan 113 weitere Besucher gekommen. Flipper lebt.
Nachwuchs fürs Podest? Die internationale Flipper-Gemeinde führt auch eine Weltrangliste. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Nathan ist der Neffe von Thomas Reichenstein (50), einer der insgesamt sieben Gründer des Flipperclubs. Ein Grossteil der Flipperkästen hier hat er beigesteuert, vor allem die älteren. Ein Vorläufermodell von 1933, das er auch besitzt, steht jedoch nicht da. «Die alten Kästen sind etwas langweilig», sagt Reichenstein. Sie waren noch komplett aus Holz, und der Spieler hatte wenig Einfluss auf die Kugel. Erst in den Siebzigern seien die ersten elektronischen Anzeigen und Geräusche dazugekommen, in den Achtzigern die LED-Anzeigen, Bildschirme und jede Menge Gimmicks wie Rampen, Viadukte bis hin zu Burgen, die auseinanderfallen, wenn man den Ball durch ihr Tor schiesst.
Aus den Beizen weitgehend verschwunden
«Wir haben alle ähnliche Flipper-Karrieren hinter uns», sagt Reichenstein über seine Club-Kollegen: «Als es die Kästen in den Beizen kaum noch gab, dachte ich, ich kaufe mir mal einen für daheim. Da wurden dann schnell einige mehr draus.»
Er lernte die anderen Basler Flipperfans des Vereins auf internationalen Turnieren kennen. Vor anderthalb Jahren entschieden sie sich, sich zusammenzutun. Einer davon ist Niggi Stiernimann (50), Flipper-Enthusiast seit der Jugend. «Die Flipper rentierten sich für die Wirte irgendwann nicht mehr, weil sie seit Jahrzehnten einen Franken pro Spiel kosten. Da war es besser, den Platz für einen Tisch für zahlende Gäste zu räumen», erzählt er weiter.
Flipper lebt: Einmal im Monat darf alles an die Kästen in Münchenstein. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Stiernimann mag vor allem komplexe Automaten. Solche, von denen er sagt: «Das ist für Laien vielleicht etwas zu viel Drumherum.» Aber er und seine Kollegen sind ja dazu da, den Besuchern auf Wunsch die Spielregeln zu erklären und Tipps zu geben. Bis es auch dem grössten Flipperfan zu viel wird mit dem Lärm. Für Stiernimann ist das in der Regel nach rund vier Stunden der Fall. Dann müsse er raus an die frische Luft.
Unter den Gästen sind es aber gerade die Kästen, die am meisten blinken und tuten, die am besten ankommen. 50 Flipperkästen stehen in der Halle, alle dem Alter nach geordnet nebeneinander, vom ältesten Kasten mit Baujahr 1954 bis zum jüngsten von 2015. Und alle wollen irgendwann an den AC/DC-Automat. Längst nicht nur der kleine Nathan. «Da kommt Musik raus, wenn man Punkte macht», erklärt ein Gast aus Lörrach, der mit Frau und Kindern hier ist. Dann rennt er los, ans andere Ende der Halle. «Sorry, der ist grad frei! Da muss ich hin!»
Ausgeklügelte Automaten
Neben dem Blinken und Tuten: Was macht den Erfolg eines Flipperkastens sonst noch aus? «Das Sujet spielt schon eine grosse Rolle», sagt Stiernimann. Die Flipperkästen hätten in den Achtzigern angefangen, ganze Geschichten zu erzählen. Ein Flipperspieler kann sogar auf Mördersuche gehen, ganz im «Cluedo»-Stil. Die Lizenzierung boomte – und es gibt Spiele zu Star Trek, Star Wars, Indiana Jones, Captain Hook, Lord of the Rings oder zu Playboy.
Von wegen nur etwas für einsame Nerds: Die Flipper-Szene ist sehr familiär. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Unter Sammlern sind es übrigens nicht unbedingt die ältesten und seltensten Stücke, die am begehrtesten sind, wie Reichenstein anmerkt. Der teuerste und beliebteste Kasten sei einer zum Film Addams Family. Von diesen Kästen gebe es mit 20’000 Exemplaren weltweit am meisten.
Zwischen 6500 und 10’000 Franken kostet ein Flipperkasten für gewöhnlich. Die meisten werden als Occasion von Beizern gekauft. Es gibt aber auch einen Markt für den Privaterwerb.
«Viele trauen sich nicht, einen Flipperautomaten zu kaufen, weil sie sich die intensive Wartung nicht zutrauen», sagt Ramon Richard (45), ein weiterer Clubgründer. Dabei sei das heute kein Problem mehr. Googeln hilft, soziale Netzwerke und das Prinzip «Trial and Error» helfen auch. Vom Verein habe keiner Vorkenntnisse in Elektrotechnik gehabt, sagt er.
Richard ist der vereinsbeste Spieler – das sagen die anderen über ihn. Aber auch die Zahlen bestätigen: Auf der Schweizer Rangliste hält er Platz 4 von 1096, auf der Weltrangliste Platz 443 von rund 26’000. Sein Geheimnis? «Für Turniere ist es ein ganz grosser Vorteil, wenn man möglichst viele Geräte kennt.»
Flipperkästen müssen gewartet werden. Dank Hilfe aus dem Internet können das aber auch Laien schnell lernen. (Bild: Alexander Preobrajenski)
Der Flipper-Weltverband hat Münchenstein aber nicht nur wegen Richard auf dem Radar. Vergangenen Oktober hat hier ein internationales Turnier stattgefunden. Weitere ähnliche Vereine wie den Flipperclub in Münchenstein kann man in der Deutschschweiz ungefähr an einer Hand abzählen. Mit ihnen stehen die Basler Flipperfans lose in Kontakt.
Der Flipper kennt kein oben und unten
«Die Flipperszene ist extrem familiär», sagt der nächste Vereinsmitgründer, Alain Müller (43). «Da verschwinden alle sozialen Unterschiede vom LKW-Chauffeur bis zum Anwalt und Arzt.» Fast noch mehr als im Fussball, findet er. Bloss dass die Automaten etwas teurer seien als eine Jahreskarte im Stadion.
22 Automaten nennt Müller sein Eigentum. Der Grossteil steht in der Spielhalle des Vereins. Nicht so sein Erstlingskasten, einer im Flash-Gordon-Motiv aus den Achtzigerjahren. «Der ist momentan in der Werkstatt.» Eine Familie hat Müller keine. Das sei gut für sein Hobby. Und noch während er «familiär» sagt, stellt sich schon Ralf Eckebrecht neben ihn. Eckebrecht kommt aus Waldshut, ist Mitglied im Flipper- und Arcademuseum in Seligenstadt bei Frankfurt und besucht mit seiner Freundin regelmässig den Flipperclub in Münchenstein.
Eindeutig, man kennt sich.
Und, gibt es bei ihm in Deutschland ähnlich viele Flipper wie in Münchenstein? Eckebrecht grinst: «Nein, dort sind es 400 Automaten auf 2000 Quadratmetern.»
Gründer unter sich: Ramon Richard, Thomas Reichenstein, Niggi Stiernimann, Andreas Borer, Alain Müller (von links nach rechts). (Bild: Alexander Preobrajenski)
Flipperclub Regio Basel: Wer im Club flippern will, muss Eintritt zahlen und passives Vereinsmitglied werden – wobei auch eine Tagesmitgliedschaft möglich ist. Einmal bezahlt, darf man so lange spielen, wie man will. Geöffnet ist der Flipperclub einmal im Monat an einem Wochenende; das nächste Mal am 19. und 20. Mai, freitags von 20 bis 1 Uhr, samstags von 16 bis 1 Uhr. Kinder haben samstags von 16 bis 20 Uhr Zutritt. Den Flipperraum kann man auch für Geburtstage oder ähnliche Anlässe buchen.
Der Verein hat einen Stamm von 100 Mitgliedern, mit den Tagesmitgliedern rund 300. Die Gäste sind zwischen sechs und 60 Jahre alt und kommen aus einem Einzugsgebiet zwischen Zürich und Freiburg im Breisgau.