Ägyptens Armee baut Kirchen für die christliche Minderheit

Das ägyptische Militär hat die ersten Kirchen wieder aufgebaut, die nach dem blutigen Sturz der Muslimbrüder 2013 zerstört worden sind – zum Beispiel in Bilhasa. Im Nachbardorf Qufada leben Christen und Muslime seit jeher gut zusammen und lösen Streit durch Gewohnheitsrecht. Ein Verfahren, das auch auf Kritik stösst.

Idealisiertes Zusammenleben von Christen und Muslimen auf einem Wandbild in Assuan.

(Bild: Astrid Frefel)

Das ägyptische Militär hat die ersten Kirchen wieder aufgebaut, die nach dem blutigen Sturz der Muslimbrüder 2013 zerstört worden sind – zum Beispiel in Bilhasa. Im Nachbardorf Qufada leben Christen und Muslime seit jeher gut zusammen und lösen Streit durch Gewohnheitsrecht. Ein Verfahren, das auch auf Kritik stösst.

Freudestrahlend steht Abuna Yoannis, Priester in Qufada, vor der prächtigen Ikonenwand. Ein Künstler aus Malawy hat sie gefertigt, für die neue Kirche von Bilhasa. Das koptische Gotteshaus war erst vor wenigen Tagen mit hohen Würdenträgern aus Kirche, Staat und Militär eingeweiht worden.

Gebaut hatte es die ägyptische Armee. Damit hat sie ein Versprechen der Generäle erfüllt, das sie im Sommer 2013 gegeben haben. Damals gingen Stunden nach dem Massaker an den Muslimbrüdern in Kairo neben vielen Polizeistationen auch über 50 Kirchen in Flammen auf.

Diejenige von Bilhasa im oberägyptischen Gouvernement Minya, ist eine der ersten dieser Kirchen. Sie steht nun schöner und grösser im Dorf als das alte, erst 2000 errichtete Gotteshaus. Etwa drei Millionen ägyptische Pfund hat die Armee aufgewendet. Eine Gedenktafel im Eingang erwähnt ausdrücklich Präsident Abdelfattah al-Sisi.

Der Scheich schützt die Kirche

Wer damals die Übeltäter waren, wollen die Kirchgemeindevertreter heute nicht mehr wissen. «Fremde», «Schläger» und «Kriminelle» lauten ihre ausweichenden Antworten, obwohl kein Auswärtiger unbemerkt dieses abgelegene Dorf betreten kann. Nur hinter vorgehaltener Hand werden Racheakte eingeräumt. Das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen im Dorf sei angespannt gewesen, die Kirche erst in den «goldenen Jahren» des Kirchenbaus – zwischen 1998 und 2000 – errichtet worden und der lokale Priester habe kein gutes Verhältnis zu den muslimischen Dorfbewohnern gehabt.

Die Führung der koptischen Kirche hatte 2013 die Entmachtung der Muslimbrüder mitgetragen. Heute danken die Christen von Bilhasa Präsident Abdelfattah al-Sisi überschwänglich für dieses «göttliche Geschenk», wie einer sich kürzlich bei einem Besuch ausdrückte, der vom Arab-West-Report organisiert wurde, einer NGO in Kairo, die kulturellen Dialog fördert.



Eine Ehrentafel erinnert an die Einweihung im Januar mit spezieller Erwähnung von Präsident Abdelfatah al-Sisi.

Die Ehrentafel für den Präsidenten Abdelfatah al-Sisi verewigt den Dank für das «göttliche Geschenk». (Bild: Astrid Frefel)

Im Nachbardorf Qufada sind die turbulenten Stunden im Sommer 2013 ganz anders abgelaufen. Scheich Hamdi hatte mit zwei Dutzend bewaffneten Männern die Kirche von Priester Abuna Yoannis geschützt.

In diesem Dorf leben die beiden Religionsgemeinschaften – wie im Landesdurchschnitt 90 Prozent Muslime und 10 Prozent Christen – traditionell gut zusammen. Es ist trotz der unterschiedlichen Religionen ein kulturell verwurzeltes Miteinander. Gegenseitige Besuche zu den religiösen Festtagen gehören zum eingespielten Ritual. Abuna Yoannis öffnet sein Büro ganz selbstverständlich für eine junge muslimische Besucherin, damit sie ihr Gebet ungestört verrichten kann. «Wir beten zum selben Gott», sagt er kurz und bündig.

Gewohnheitsrecht als parallele Justiz

Zusammengehalten wird das Dorf von alteingesessenen Familien, die seit Generationen die Priester und Scheichs stellen. Schon der Grossvater von Abuna Yoannis war Priester in der Kirche von Qufada, deren Interieur mit italienischer Malerei vom einstigen Reichtum eines lokalen Grossgrundbesitzers zeugt. 2012 hatte der koptische Priester Scheich Hamdi sogar bei seiner Kandidatur für die salafistische al-Nour-Partei zu den Parlamentswahlen unterstützt. Die Wahlwerbung galt der Person, nicht der Partei. Die Körpersprache zwischen den beiden zeugt nicht nur von Respekt, sondern von echter Freundschaft.

Die beiden Notabeln sorgen auch für Recht und Ordnung im Dorf. Hier ist das Gewohnheitsrecht, das sogenannte Orfi-Recht, zur Streitschlichtung fest verankert. Die staatliche Justiz ist teuer und langsam und wird nicht immer als verlässlich betrachtet. Scheich Hamdi sagt: «Die Menschen haben mehr Respekt vor dem Orfi-Recht als vor der staatlichen Justiz, die weit weg ist.» Damit Streitigkeiten nicht weiter eskalieren, komme es gerade auf die Schnelligkeit an.



Priester Avou Yoannis und Scheich Hamdi haben ein enges persönliches Verhältnis – und viel zu sagen.

Priester Avou Yoannis und Scheich Hamdi haben ein enges persönliches Verhältnis – und viel zu sagen. (Bild: Astrid Frefel)

Zusammen mit andern lokalen Scheichs hat Hamdi das lokale Orfi-Recht schriftlich festgehalten – was eher ungewöhnlich ist. Dieses Recht stützt sich auf kulturelle Normen und vor allem die Sharia, das islamische Recht. Der Strafkatalog umfasst nach Hamdis eigenen Angabe Taten, die passiert sind und solche, die verhindert werden sollen. Verhängt werden für den hiesigen Lebensstandard hohe Geldbussen. Gefängnis oder andere Resozialisierungsmassnahmen sind nicht vorgesehen. Mord wird mit einem Blutgeld bis zu 400’000 ägyptischen Pfund (etwa 52’000 Franken) geahndet.

In diesem Gericht, das fast täglich in öffentlichen Sitzungen tagt, sitzen Scheich Hamdi, als Vorsitzender, Scheich Mohsen, Abou Yoannis und sein Bruder sowie ein Vertreter der Polizei; er greift allerdings nicht ein, sondern ist nur anwesend, damit das Gericht einen offiziellen Charakter hat.

Das Recht des Stärkeren

1952 wurden in Ägypten die Sharia-Gerichte abgeschafft. Diese Orfi-Gerichte, die von Gegend zu Gegend stark von der lokalen Kultur beeinflusst sind, sind ein etwas abgewandeltes Überbleibsel. Gerichtet wird nicht nur über die Einzelperson, sondern über die ganze Familie, die mit hohen Strafen in die Pflicht genommen wird. Will oder kann die Familie nicht zahlen, wird sie aus dem Dorf und damit der Gemeinschaft verwiesen. Ein solcher Fall hat kürzlich für Schlagzeilen gesorgt. Aus Kafr Darwish bei Beni Suef wurde eine Familie nach einem Orfi-Urteil verbannt, weil sie die 400’000 ägyptische Pfund wegen eines Blasphemie-Vergehens nicht akzeptieren wollte.

Bei Menschenrechtsorganisationen sorgen solche Urteile auch für Kritik. Die Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte (EIPR) etwa hat in einem Bericht festgestellt, die Orfi-Gerichte würden oft das Recht des Stärkeren anwenden und vor allem bei religiösen Disputen die Persönlichkeitsrechte verletzen sowie Diskriminierungen gegen Kopten unterstützen. Folglich würde die Gefahr von religiöser Gewalt noch vergrössert. Die EIPR verlangt aus diesem Grund, dass der Staat seine juristischen Instrumente verbessert.

Scheich Hamdi, der nicht nur Sharia-Recht studiert, sondern sich auch mit internationalen Arbitrage-Verfahren beschäftigt hat, kennt die Bedenken von Menschenrechtsorganisationen und ausländischer Juristen, die ganz andere Rechtsauffassungen vertreten. «Aber auch wir sind eine zivilisierte Gemeinschaft, auch wir haben unsere Werte», verteidigt er seine Art der Rechtssprechung in Qufada.

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