Es dauert etwa dreieinhalb Minuten, dann fällt zum ersten Mal das Wort «Angst». Und damit ist die Kulisse aufgezogen, vor der an diesem Samstagabend drei Exponenten der Alternative für Deutschland (AfD) in einem Gemeindesaal in Steinen nahe Lörrach um Stimmen werben.
Es ist eine Drohkulisse, und die drei Politiker spielen ihre Rolle perfekt. Die zahlreichen Polizisten mit Hund und Kastenwagen draussen auf dem Parkplatz passen bestens ins Bild. Am Ende wird das Publikum aufgewühlt den Saal verlassen, mit unguten Gefühlen im Bauch, diffusen Sorgen im Kopf und klarem Feindbild vor Augen.
Zittern vor dem Fernseher
Den Auftakt macht Ralf Özkara, Sprecher der AfD Baden-Württemberg. Nach einem lockeren Spruch zu seinem Nachnamen – «Özkara, klingt nicht gerade nach Niedersachsen» (Lacher im Publikum) – holt er aus. Seine Frau, deren Familiennamen er angenommen hat, sei zwar in Deutschland geboren, doch türkischstämmig.
«Mit zwölf Jahren wurde sie von ihrem Vater zurück in die Türkei geholt und plötzlich war sie nicht mehr frei. Sie litt unter der streng religiösen Erziehung», erzählt Özkara. Erst Jahre später sei sie wieder nach Deutschland gekommen und jetzt eine erfolgreiche Unternehmerin.
«Jetzt ist es aus mit unserer Freiheit in Deutschland.»
Dann kommt die Schlüsselstelle seines «Grusswortes». Als im September 2015 die Grenzen geöffnet wurden und Tausende Flüchtlinge in Deutschland mit dem Zug ankamen, sei er zusammen mit seiner Frau zu Hause vor dem Fernseher gesessen. «Sie hat geweint und vor Angst gezittert beim Anblick dieser vielen Muslime, die alle in unser Land hineinströmten», erzählt Özkara. «Sie sagte: ‹Jetzt ist es aus mit unserer Freiheit in Deutschland.›»
Özkara beschliesst seinen Vortrag mit dem energisch hingeknallten Ausruf: «Sämtliche Hassprediger müssen sofort ausgewiesen werden.» Erster Szenenapplaus, das Publikum wird langsam warm. Ein Mann hinter mir stösst immer wieder bekräftigende Worte aus wie «Jawoll!», «So isses!» oder «Recht hat er!». Er scheint ein Routinier zu sein, vor Beginn sagte er noch zu seinem Sitznachbarn:
«Ich hab’ Cracker mitgebracht. Hier gibts ja kein Catering.»
«Bier hast wohl keins dabei?»
«Nein, dafür was Stärkeres. Aber nur für Eingeweihte, wenn das hier vorbei ist.»
Unverblümte Worte
Doch vorbei ist hier noch lange nichts. Nach Özkara betritt Wolfgang Fuhl die Bühne, Direktkandidat im Wahlkreis Lörrach-Müllheim.
Fuhl, Typ mittelständischer Biedermann, beginnt aus seinem Lebenslauf zu erzählen, weil das hier ein Vorstellungsgespräch ist für ihn. Er habe sich schon immer ehrenamtlich betätigt, als Gewerkschafter, im Betriebsrat, früher als «Jungspund» bei den Jusos und seit seiner Konvertierung zum Judentum auch im Oberrat der Israeliten Badens.
«Dieses Engagement wurde mir immer verdankt, ich bin dafür sogar mit einem Verdienstorden ausgezeichnet worden. Doch seit ich mich bei der AfD für mein Land einsetze, werde ich plötzlich beschimpft. Sogar als Nazi. Stellen Sie sich das vor: Ich, der Jude, soll ein Nazi sein!» (Lachen im Saal).
Fuhl macht direkt dort weiter, wo sein Vorredner Özkara aufgehört hat. Er führt aus, weshalb der Islam nicht zu Deutschland gehöre. «Rund die Hälfte der Moslems in Deutschland wollen die Scharia und lehnen unseren freien Rechtsstaat ab. Diese gehören alle ausgeschafft», sagt Fuhl. Und weiter:
«Merkel verfolgt ganz klar die Fischer-Doktrin, wonach das deutsche Volk durch Zuwanderung aus islamischen Ländern verdünnt werden soll.»
Bei solch unverblümten Worten entspannen sich die Zuhörer zusehends. Zustimmung für das düstere Bild, das Fuhl von Deutschland zeichnet, wird hörbar kundgetan. Besonders drastische Aussagen werden mit einem gezischten Lacher oder verächtlichem Prusten quittiert. Verbales Schulterklopfen.
Die Schuldfrage ist geklärt, das Versprechen eines Wandels dank AfD schwingt mit.
Man pflegt hier im Gemeindesaal in Steinen eine ganz eigene Sprache. Merkel sei eine «Kanzlerdarstellerin» und «Imperatrix», jede Partei ausser der AfD eine «Altpartei». Ganz beiläufig trägt diese Sprachregelung dazu bei, der Erzählung von einem Deutschland in der Krise den Anschein von Tiefgang zu geben. Die Schuldfrage ist geklärt, das Versprechen eines Wandels dank AfD schwingt mit.
Neues von der Front
Den dritten Akt bestreitet Martin Hess, Polizeibeamter und auf dem siebten Platz der Landesliste der AfD Baden-Württemberg. Hess bezeichnet sich selbst als «Freund der Fakten» und der «direkten Worte». Sein Fachgebiet sei die innere Sicherheit.
Er wird die nächste Stunde dazu nutzen, Zahlen aus verschiedenen Kriminalstatistiken zu zitieren, angereichert durch Anekdoten aus seinem reichen Erfahrungsschatz als Polizist und «Mann an der Front».
Hess argumentiert, dass die beiden jüngsten Terroranschläge in Deutschland (der Lastwagen am Weihnachtsmarkt in Berlin und die Messerattacke in Hamburg) direkt auf Merkels Flüchtlingspolitik zurückzuführen seien:
«Die Kanzlerin hat 13 Menschenleben auf dem Gewissen. Hätte die Politik schon 2015 auf die AfD gehört, wären diese Menschen noch am Leben.»
Später versteigt Hess sich zur Aussage, die Polizei sei gegen die Täter der Kölner Silvesternacht 2015 nur deshalb nicht rigoros vorgegangen, weil diese dank einem «politisch gewollten Flüchtlingsbonus» Schutz von ganz oben genossen hätten.
Zustände wie in Afghanistan
Hess heizt die Zuschauer weiter an, die Zwischenrufe nehmen zu. Jede Prozentzahl zur Ausländerkriminalität wird gefeiert wie eine Karnevalspointe.
Richtig unangenehm wird es, als sich in der anschliessenden Fragerunde ein Mann aus dem Publikum als Jonas Hoffmann zu erkennen gibt, seinerseits Kandidat der SPD.
Der Flüchtlingskrise sei mit Mut, Zuversicht und Engagement zu begegnen statt mit Repression, sagt Hoffmann. Sein Votum wird niedergebuht, eine Zuschauerin bedankt sich in sarkastischem Tonfall dafür, dass er die «Zustände aus Afghanistan» mit nach Hause gebracht habe: Hoffmann hatte zuvor gesagt, dass er dort als Entwicklungshelfer gearbeitet habe.
Draussen steht noch immer die Polizei. Und nach drei Stunden AfD-Parolen vermittelt einem die Staatsmacht trotz martialischem Auftritt ein Gefühl von Sicherheit.