Alle drei Jahre macht sich Oensingen zum pyrotechnischen Nabel der Welt. Zur Sonnenwende veranstaltet das Solothurner Dorf nämlich das grösste Feuerwerk der Schweiz. Am Samstag war es wieder soweit – mit 50’000 Besuchern und zehn Tonnen Sprengkörpern.
Es gibt mehrere Möglichkeiten, das grösste Feuerwerk der Schweiz zu erleben.
Variante 1: Man weiss nichts davon und fährt zufällig auf der A2 zwischen der Verzweigung Härkingen und Niederbipp. Knallt es am Himmel, knallt es mit grosser Sicherheit auch auf der Strasse, denn plötzlich steht der Verkehr, und womöglich ist man selbst für den Stau verantwortlich.
Variante 2: Man kauft ein Armbändeli für 20 Franken das Stück und wirft sich in die Zone im Zentrum des sonst eher ruhigen Solothurner Städtchens Oensingen. Der Bär tanzt an der Jurastrasse, wo das Festgelände errichtet ist, Fressstände, Musikanlage, 15’000 Menschen alleine hier, Bewegen: unmöglich. Dafür friert man nicht.
Oder Variante 3: Man wecke den zum Camper ausgebauten VW Bus mit eigenem Namen – der hier allerdings unter Verschluss bleibt – aus dem Winterschlaf, bepacke ihn mit Klappmöblierung, koche Pasta und serviere dazu einen kräftigen Tessiner, weil rechtzeitig zur Sonnenwendfeier in Oensingen, um die es hier geht, der angebrochene Frühling eine kurze Verschnaufpause eingelegt hat.
Das war gestern Samstag, Unesco-Weltkulturtag der Poesie und eben Sonnenwendfeier in Oensingen. Die findet alle drei Jahre statt und ist nichts anderes als das grösste Feuerwerk der Schweiz. Eine Stunde lang knallt und funkt es am Himmel. Würfel entstehen, Kreise, Schnuller, Erdbeeren, ganze Funkenfälle. Hinzu kommen über 100 Höhenfeuer.
Wir wählen Variante 3. Diese feit einen nicht davor, den Eintritt doch zu bezahlen. Das war früher nicht so, doch an der Sonnenwendfeier Ausgabe 2015 streiften erstmals leuchtgelb gewandete Helfergrüppchen umher, um von den Zuschauern Eintritt zu verlangen. Legitim und nur recht, lobten die einen, rechtlich nicht haltbar und mühsam, monierten andere.
Ob nun gratis oder nicht: das Feuerwerk ist ein Spektakel sondergleichen. Und das kostet. Zahlen werden keine bekanntgegeben, man geht von mehreren 100’000 Franken aus. Zwar unterstützen Sponsoren das Happening, doch die rund zehn Tonnen «Explosivmasse» wollen erst einmal finanziert sein. Die Organisatoren schalteten sogar den eigenen Radiosender für den Anlass auf.
Vor den Raketen knallten die Fäuste
Hinter dem Feuerwerk stehen zwei Vereine, der Vogelherd- und der Ravellenclub, im einen die Oberdörfler, im anderen jene aus dem Unterdorf. Aus Prinzip konnte man sich nicht ausstehen, und lange bevor das Feuerwerk knallte, knallten einst die Fäuste, etwa, wenn sich einer in eine Beiz im falschen Dorfquartier verirrte.
Mit Frühlingsfeuern ging die Rivalität in die nächste Runde, jede Partei zündelte am grösseren Feuer. Der Neid war gross, Legenden berichten von angesägten Fahnenmasten und durchtrennten Zündschnüren der Gegner. Eines Jahres kamen Feuerwerkskörper dazu, erst Raketen, dann immer grössere Bomben.
Nationalfeiertage sind für anspruchslose Fähnchenschwinger – der Knallraketen-Sympathisant reist alle drei Jahre nach Oensingen. (Bild: Lucas Huber)
Die einen feuern traditionell links des Schlosses Neu-Bechburg, die anderen rechts davon. Zur Einordnung: Allein das Drehbuch der Ravellen umfasste knapp 50 Seiten. Es orchestrierte 20’000 Einzelzündungen und rund 14’000 Effekte, um die schöneren Bilder an den Nachthimmel zu zaubern. Denn heute herrscht die Rivalität der Vereine einzig mehr im Feuerwerk, und ob Unter- oder Oberdörfler: Man geniesst das Spektakel gemeinsam.
Für die 50’000 Besuchern ist das alles zweitrangig. Sie drängen sich im Festgelände und frönen dem Schauspiel, staunen durch beschlagende Autofenster oder lehnen in einem Klappstuhl vor dem VW Bus, im Inneren brennen zwei Kerzen, die Kinder hüllen sich in Decken und naschen Pommes Chips, während sich der Tessiner unter dem Vordach gemächlich leert.