Das schwierige Geschäft mit dem Bergkäse vom Baselbieter Hügel

Der Hof Spitzenbühl liegt im Baselbiet so abgelegen, dass er als Bergbauernhof durchgeht. Trotz schwierigem Gelände will der Bauer ganz natürlich produzieren und nimmt dafür einiges in Kauf. Eine Käserei soll Unabhängigkeit bringen, doch einfach ist das alles nicht. 

Der Chromstahl-Tank hinten in der Käserei surrt gleichmässig vor sich hin.  Auf dem Doppeltritt, der zum Tank führt, steht Ramona Malzacher und wirft einen prüfenden Blick hinein. «Noch zwei Grad», sagt sie und steigt wieder hinunter.

Malzacher ist eigentlich Fachfrau für Tourismus. Doch das war ihr zu eintönig. Also lernte sie Käsen – in einem der abgelegensten Zipfel des Baselbiets: auf dem Hof Spitzenbühl. Seit einem knappen Jahr ist die 31-Jährige jetzt Störkäserin und kehrt immer wieder auf den Hof zurück, wo sie ihr Handwerk lernte.

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Die letzten zwei Kilometer zum Hof sind nur noch eine Schotterpiste. Mitten im Wald, mitten durch Hügel hindurch. «Letzte Woche», erzählt Malzacher, «hatte mein Auto einen Platten.» Seither lässt sie es unten stehen, wandert zu Fuss zum Hof hoch. Eine Pragmatikerin.

«Natürlich» macht vieles komplizierter

Auf dem Hof hat Florian Buchwalder das Sagen. Allein hätte der Bio-Bauer den Bau einer Käserei aber nicht stemmen können. Mit einer Genossenschaft im Rücken hingegen schon. Seit der Gründung vor fünf Jahren sind 400’000 Franken in das Unterfangen geflossen, 62 Genossenschafter sind beteiligt, seit rund einem Jahr kann die Käserei endlich produzieren. Aus den 230 Litern Milch, die Buchwalders 19 Kühe jeden Tag geben, entstehen vier Sorten Käse.

An diesem Morgen macht Malzacher Raclettekäse. Die Milch gelangt über ein Rohr direkt aus dem Stall in den Tank. Dort wird sie heruntergekühlt. Ein Computer steuert alles. Malzacher lässt den Rührhaken an, stellt die Temperatur auf 31 Grad, und muss dann erst einmal warten.

«Warten macht einen Grossteil der Käser-Arbeit aus», sagt sie und lacht. Aber auch beim Warten gibt es einiges zu tun: Instrumente putzen, die Formen reinigen, die nächsten Schritte vorbereiten. Dann ist die Milch heiss genug, um das Lab hinzuzugiessen, damit alles schön eindickt. Nochmals mehr Temperatur, wieder warten.

Störkäserin Ramona Malzacher wirft einen prüfenden Blick auf das Kapital der Käserei beim Hof Spitzenbühl.

Die unwegsame Topografie macht es schwierig, die 40 Hektaren Land zu bewirtschaften, die zum Hof Spitzenbühl gehören. Der Anbau von Gemüse oder Kartoffeln rentiert im steilen Gelände nicht, auch die Obstbäume geben meist nur gerade genug her für den Eigenbedarf. Darum grasen Buchwalders Kühe so oft es geht an den Hängen. Wo es nicht zu steil ist, mäht Buchwalder ein, zwei Mal im Jahr das Gras, um im Winter Heu zu haben. Anderes Futter gibt es nicht.

Das schlägt sich auch auf die Milchproduktion aus: Die Tiere geben nicht einmal halb so viel Milch wie Hochleistungskühe. «Das ist natürlicher so», sagt Buchwalder. Er will keine riesigen Euter, die kurz vor dem Explodieren sind. Auch keine abgebrannten Hörner. Denn auch die haben einen Einfluss auf die Milch, ist der Bio-Bauer überzeugt.

Experiment Abo-System

Einfach macht er es sich mit dieser Haltung im ohnehin unsicher gewordenen Milchgeschäft nicht. Der finanzielle Druck wird immer grösser. «Wir erfahren immer erst im Nachhinein, wie viel Geld wir für den Liter bekommen», erklärt Buchwalder. Gleichzeitig müsse er in den Betrieb investieren – mit Blick auf die nächsten 30 Jahre.

Darum baute er die Käserei. So kann ein Teil der Rohmilch auf dem Hof veredelt werden, statt dass er sie an die Milchzentrale im Tal liefert. Um sich aus der Marktabhängigkeit zu lösen, hat die Genossenschaft zusätzlich ein Milch-Abonnement lanciert. Jede Woche holt ein Geschäftspartner die Abo-Körbe mit Rohmilch, Joghurt und Käse und liefert sie an Depotstellen im Laufental.

Auch nach Basel liefert Buchwalder. In die Markthalle und an die Feldbergstrasse ins «Lokal», wo immerhin 10 seiner insgesamt 45 Abonnenten auf die Milchprodukte vom Spitzenbühl warten. Doch das reicht bei Weitem nicht: Damit die Genossenschaft rentiert, müssten etwa viermal so viele Abos verkauft werden.

Florian Buchwalder zeigt eine seiner abgelegenen Weiden. Im Hintergrund reicht der Blick bis nach Röschenz.

Im Tank hat die Milch inzwischen die Konsistenz von Panna cotta und wird jetzt Bruch genannt. Malzacher tauscht das Rührwerk gegen ein Gitter aus, das den Bruch schneidet. Haselnussgross müssen die Stücke sein. Und gleichmässig! Damit der Käse am Ende die gewünschte Konsistenz und Homogenität hat. Malzacher hilft mit einer Schaufel nach, langsam trennt sich die gelbliche Molke von den weissen Feststoffen.

Jetzt muss es schnell gehen. Der Bruch darf nicht am Boden des Tanks festhocken. Schlauch an den Tank, raus mit dem Bruch in die Käseform. Durch feine Löcher in den Formen läuft die Molke raus, der Bruch, grobkörnig  wie Hüttenkäse, bleibt hängen. «Aus der Molke könnten wir Ricotta herstellen, aber der Ertrag ist einfach zu gering», sagt Malzacher.

Der Käse muss jetzt wieder ruhen, ein paarmal gedreht werden und einen Tag im Salzbad verbringen, bevor ihn Malzacher im Käsekeller lagern kann. Aus den 230 Litern Milch, die heute morgen im Tank lagen, hat Malzacher etwa 23 Kilo Käse gefertigt.

Wie der Käse Charakter erhält

Das Natürlichkeitsgebot des Hofes macht ihre Arbeit nicht einfacher. Im Sommer, wenn die Kühe ausschliesslich Gras fressen, ist der Fettgehalt der Milch höher als im Winter. Nur wenn die Kühe stets das Gleiche fressen, schmeckt auch die Milch immer gleich und damit auch der Käse. Für Malzacher sind aber gerade solche Schwankungen ein Qualitätsmerkmal: «Käse ist ein Naturprodukt aus Handarbeit, das darf man ruhig merken.» Eine noble Einstellung, für die Kunden wohl eher gewöhnungsbedürftig.

Bergbauernidylle: Der Hof Spitzenbühl liegt am äussersten Ende von Liesberg.

Um nachvollziehen zu können, weshalb der Käse schmeckt, wie er schmeckt, führt Malzacher Protokoll. Jeder Arbeitsschritt wird notiert, die Temperatur, die Menge an Milchsäurebakterien und Lab, die Ruhezeiten. Im Keller, wo die Luft scharf nach Käserinde riecht, stapeln sich Laibe. Zu Beginn reibt Malzacher sie täglich mit Salzlauge ein, später wöchentlich. Damit sie nicht schimmeln, sondern reifen und ihren charakteristischen Geschmack erhalten. Den von Mutschli, Raclette, Vacherin und Hornibärger Bergkäse eben.

Noch ist die Käserei ein Verlustgeschäft, auch wegen der hohen Baukosten. Die Genossenschaft will ihr Angebot weiter ausbauen und noch stärker in der Stadt präsent sein. Künftig sollen auch Käseläden die Spitzenbühl-Produkte weitervertreiben. Zu einem anständigen Preis, ohne dass die bestehenden Abonnenten plötzlich zu kurz kommen.

Denn die wollen nicht auf ihren Käse verzichten. Und das, obwohl – oder gerade weil – der Käse immer ein bisschen anders schmeckt. Ein Naturprodukt halt.

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