Die «Manteros» von Barcelona und der Kampf um ihre Decken

Gucci-Handtasche, Messi-Trikot, Nike-Sneaker: Wenn im Sommer die Touristen in den Süden kommen, breiten Strassenhändler ihre Auslagen aus. «Top Manta» nennen die Spanier dieses Phänomen – «Decken-Hitparade». Die Probleme, die sich unter den Decken verbergen, sind komplex.

«Manta» heisst auf Deutsch Decke. Die Strassenhändler, die darauf ihre Ware anbieten, nennt man in Spanien deshalb «Manteros».

(Bild: Julia Macher)

Gucci-Handtasche, Messi-Trikot, Nike-Sneaker: Wenn im Sommer die Touristen in den Süden kommen, breiten Strassenhändler ihre Auslagen aus. «Top Manta» nennen die Spanier dieses Phänomen – «Decken-Hitparade». Die Probleme, die sich unter den Decken verbergen, sind komplex.

Ein paar Mittelmeerwellen klatschen träge gegen die Luxusjachten, als morgens um zehn die ersten «Manteros» aus der U-Bahn Barceloneta kommen – eingewanderte Afrikaner, die auf ihren Decken (spanisch Manta) den Touristen imitierte Markenware verkaufen wollen. Die besten Plätze, kurz vor dem Jachthafen, sind sofort besetzt: Dort gibt es ein Mäuerchen zum Hinsetzen und Restaurants, die den Schritt der potenziellen Kundschaft verlangsamen. 

Aziz Fayé setzt sich in den Schatten einer Akazie und klappt sein Täschchen mit den Uhren auf: Rolex oder Dolce & Gabbana steht auf den Ziffernblättern. «Ven, mira! Komm, guck, das ist gute Ware», ruft er Touristen zu. Drei Engländer bleiben stehen, einer streift sich eine Rolex übers Handgelenk, posiert fürs Foto, dann zieht die Gruppe weiter.

«Das ist doch eine ehrliche Arbeit»

Aziz, 33 Jahre alt, ein schlanker, gross gewachsener Mann, kommt wie die meisten Händler aus dem Senegal. Als Fischer verdiente er kaum genug zum Überleben, also setzte er 2007 mit dem Flüchtlingsboot auf die Kanaren über und schlug sich dann nach Barcelona durch.

«Man hat uns gesagt, in Spanien gebe es Arbeit für alle – wie im Paradies», erzählt er. Arbeit, die gab es auch: schwarz, auf dem Bau. Nachdem man ihm dort nach einem Acht-Stunden-Tag zehn Euro in die Hand drückte, wechselte er «a la manta», zur Decke. «Das ist doch eine ehrliche Arbeit», findet er.

Pascuale Votano bringen solche Aussagen in Rage. Der Italiener verkauft auf dem Kunsthandwerksmarkt gegenüber selbstgenähte Umhängetaschen zum Preis von 12, 15 und 25 Euro das Stück. «Wegen der Manteros wollen jetzt alle immer handeln», schimpft er. «Aber ich muss jeden Tag 58 Euro Standmiete zahlen plus Sozialabgaben und Steuern!»

Strassenhändler Pape Diop (rechts) kämpft für mehr Rechte für die Manteros.

Albert Sales ist der Verantwortliche eines Sozialprogramms, mit dem die neue Stadtregierung die Manteros weg von der Strasse bringen wollte. Nach einem Jahr hat sein Team 40 Umschulungen organisiert und eine Kooperative in die Wege geleitet, die 20 bis 40 weitere Arbeitsplätze schaffen soll: Nicht mehr als eine Geste für die 800 Menschen, die am Hafen ihre Waren anbieten.

Sales sagt: «Das Phänomen ‹Top Manta› ist in erster Linie kein Ordnungsproblem, sondern ein soziales Problem, bei dem wir gegen einen dysfunktionalen Arbeitsmarkt und eine ungerechte Ausländerpolitik kämpfen. Wer ganz ehrlich ist, weiss, dass man so ein Problem nicht lösen kann.»

Eine Kapitulation? Sales zögert einen Moment. Gegen den Import der Replika vorzugehen sei Sache des Staates. Aber um den illegalen Verkauf einzudämmen, habe man doch bereits alles versucht: Die Strassenreinigung zu den besten Verkaufszeiten losgeschickt, Bussgelder gegen Kunden verhängt, eine Sondereinheit der städtischen Polizei gegründet. Geholfen hat es wenig. Eine offizielle «Top Manta»-Zone einrichten, das sei aus Gründen der Gerechtigkeit nicht möglich, sagt Sales, leider. Gewaltsame Räumungen schliesst die Stadt kategorisch aus.

Polizei unter Druck 

Als Aziz eine Woche später in die U-Bahn Richtung Stadtzentrum steigt, über der Schulter die Sporttasche mit Uhren und Brillen, klingelt sein Handy. Er solle zu Hause bleiben, sagt Pape Diop, «Operativo» am Hafen – Stadt- und Hafenpolizei haben die Promenade abgesperrt. Nachdem der Einzelhandel in einer spanienweit beachteten Demo gegen die «laxe Haltung der Stadt» protestiert hat, bewachen mit Schlagstöcken bewaffnete Polizisten den Kunsthandwerksmarkt und die Restaurantmeile.



Einwickeln und Warten, bis die Polizei wieder weg ist – Alltag für die Strassenhändler.

Einwickeln und warten, bis die Polizei wieder weg ist – Alltag für die Strassenhändler. (Bild: Julia Macher)

Ein paar Manteros haben ihre Decken in Sichtweite, 50 Meter weiter, vor dem Jachthafen aufgeschlagen. Bis Mittag wird sich ihre Zahl verzehnfachen. Auch Aziz macht sich am späten Nachmittag noch auf. Ein Polizist sagt schulterzuckend: Um die ganze Stadt zu kontrollieren, habe man schlicht nicht genügend Personal. Er wischt sich den Schweiss von der Stirn.

Taschenhersteller und -verkäufer Pascuale Votano ist milder gestimmt als beim letzten Besuch. Eine Gruppe US-Amerikaner, die mit mehreren Einkaufstüten von Desigual und Zara weiterzieht, hat soeben auch bei ihm ordentlich zugeschlagen.

«Eigentlich sind doch die grossen Ketten das Problem», sinniert Votano jetzt. «Echte Handarbeit wird einfach nicht mehr geschätzt.» Sein Blick wandert hinüber auf die andere Hafenseite. «Wenn ich nicht in Europa, sondern in Afrika geboren wäre, sässe ich vielleicht auch da drüben.»

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