Die Bewohner staunen selber, wie schnell sich ihr Projekt verändert. Klar kommt da die Politik nicht mit. Zu Besuch auf dem Wagenplatz.
Kürzlich ging Pius Ski fahren. Er fuhr in die Berge, fuhr weg vom Wagenplatz. Als er nach drei Tagen zurückkam, stand mitten im Rund ein Wagen aus Holz, aus dem ein schwarzgerusstes Ofenrohr hervorschaute. Er wunderte sich und öffnete die Tür: «Eine Sauna, die haben eine Sauna gebaut.»
Wie muss das Geschehen auf der Brache am Klybeckquai, auf der früher mächtige Treibstofftanks der Migrol standen, da erst den Behörden, der Politik, den benachbarten Zwischennutzern vorkommen?
Wie im Zeitraffer vermutlich.
Alles selber erschlossen
Rückblende, April 2013: Ein Traktor zieht Wagen um Wagen auf die Fläche, ordnet sie in einem Kreis an. Der Wagenplatz hat sein Plätzchen in einem dunklen Hinterhof an der Freiburgerstrasse verlassen zugunsten des Schotterplatzes an der Uferstrasse. Menschen wuseln zwischen den Wagen herum, sie ziehen einen Turm hoch mit einem Wassertank oben drauf. Bauen ein Regendach, bauen daraus gleich ein solides Haus; sie legen eine gemauerte Feuerstelle an, spannen Stromleitungen, reissen den Boden auf, verbuddeln Wasserleitungen, um sie vor Frost zu schützen, setzen einen WC-Wagen auf ein Podest, damit das Abwasser in einem umgenutzten Güllewagen aufgefangen werden kann.
Auf das Notwendige folgt das Angenehme: Sie zimmern einen Spielplatz für die Kinder mit Schaukel und Wippe, streuen Erde aus und pflanzen Setzlinge an, richten Ateliers und Werkstätten ein.
Und neben der Sauna stehen jetzt zwei Wannen aus Plastikcontainern, eine mit kaltem Wasser und eine von einem holzbefeuerten Wärmetauscher beheizte.
Für die Zukunft gepflanzt: Als die Basler PUK ihren Garten verkleinerte, sicherten sich die Wagenleute Pflanzen und Erde. (Bild: Nils Fisch)
Es geht alles so schnell vorwärts am Hafen – und trotzdem sagt Pius, ein ausgebildeter Sozialarbeiter: «Das Leben hier ist komplett entschleunigt.» Verständlich, dass Beamte und Politiker Mühe haben einzuordnen, was da passiert. LDP-Grossrat André Auderset sagte auf Telebasel, auch er habe Freunde, die gerne campen, in Aesch oder in Reinach gebe es Campingplätze, wo die Wagenleute hinziehen könnten.
Campingplatz – weiter daneben könnte Auderset nicht liegen. Wenn schon ein Vergleich gezogen wird, dann der mit einer WG, meinen die Wagenleute. Ivan, einer der 13 festen Bewohner, legt ein schreiendes Baby auf ein Lammfell, macht einige Faxen und aus dem vom Weinen verzerrten Gesicht ein jauchzendes Glück. «Wenn du hier eine Idee hast, helfen dir zehn mit», sagt er. Jeder zahlt in die WG-Kasse, um die Kosten der Lebensmittel, von Strom und Wasser und des Unterhalts der Fahrzeuge zu decken.
Ein «Einsiedler» ist zugezogen
Das Geld verdient jeder auf seine Weise. Darüber hinaus stehen zwei Gästewagen auf dem Platz, der Übernachtungspreis wurde gerade von zwei auf einen Franken reduziert. Wer fix dazuziehen will, dem wird empfohlen, erst einen Monat als Gast zu bleiben, dann bestimmt die Gruppe in ihrer monatlichen Versammlung, ob sie einverstanden ist.
Hochbauten: WC-Wagen und Wassertank. (Bild: Nils Fisch)
Nebenan ist einer in seinem Wohnwagen dazugestossen, sie nennen ihn den «Einsiedler», ausserhalb des ursprünglich vom Hafen zugewiesenen Areals steht ein Wohnbus, doch darauf haben sie keinen Einfluss. An den Wagenplatz angrenzend hat sich das Projekt «Ufer Los» niedergelassen. Kino, Bar, politische Diskussionsabende, Partys hin und wieder.
Per Richtfunkantenne ins Internet
So vermischen sich die Lebenswelten. Natürlich läuft das nicht ohne Reibung ab: «Wir müssen den Partygästen zu verstehen geben, dass es hier keine Security gibt und keine Müllabfuhr, die die Relikte der Nacht aufsammelt, und dass sie letztendlich in unserem Wohnzimmer zu Besuch sind», sagt der Wagenplatz-Bewohner Marco. So sieht selbstverwaltetes Leben aus: keine IWB, die Leitungen verlegt, kein Abwart, der Schäden repariert, kein Glasfasernetz für den Internetanschluss.
Den haben sich die Wagenleute mittels zweier Richtfunkantennen beschafft, die den Platz mit einer nahen WG und deren Router verbinden. Auch eine Lektion, die sie gelernt haben, sagt die junge Mutter Charlotte, «ohne Internet gehts anscheinend nicht». Eine andere Lektion: Je stärker der behördliche Druck wird, desto grösser ist die Solidarität.
Aufgeladen mit Bedeutung
Mit jeder geheimen Ausschreibung um alternative Zwischennutzungen auf dem Areal, die schiefgeht, jedem neuen Nutzungsplan lädt sich der Ort auf mit Bedeutung. «Für unsere Demo am letzten Sonntag kündigten sich Politiker an, die wir noch nie gesehen haben», sagt Pius erstaunt. Vielleicht wird das Projekt auch überhöht zu einem Symbol, das für viel mehr steht als eine experimentelle Wohnform von nicht mal 20 jungen Menschen.
«Wir sind Teil einer grösseren Debatte», sagt Charlotte. Einer Debatte um Alternativen, an deren Ende «eine Stadt steht, die langsamer, günstiger und unberechenbarer ist». Pius wünscht sich, es gäbe mehr solche Orte: «Einige besetzte Häuser, ein alternatives Kino und Theater. Ich fände es gut, wenn sich die Freiraumaktivisten, die linke Szene und die Subkulturen nicht so sehr nur auf diese Fläche konzentrieren würden.»
Existenzialistische Nachmittage: Zigaretten, Handy, Homo Faber. (Bild: Nils Fisch)
Unter dem als Regendach geplanten aufgestelzten Haus sitzt ein blondes Mädchen, auf ihrem Schoss liegt eine zerlesene Ausgabe von Frischs «Homo Faber».
Die Ungewissheit bleibt, wie es weitergeht. Das Ziel der Wagenleute lautet, so lange wie möglich zu bleiben und später der nächsten Generation Platz zu machen. Doch sie hätten gelernt, nicht zu weit in die Zukunft zu denken, sagt Ivan. Sondern alles zu nehmen, wie es kommt – so platt das tönt. Die Unsicherheit dürfe nicht zur Belastung werden, sagt Pius. Sonst geht die Lockerheit verloren. Und damit viel von dem, was das Leben auf dem Wagenplatz auszeichnet.