Im russischen Disneyland des Krieges

Stalin-Kult, ein Mini-Reichstag und der Krieg als Rummelplatz: Das russische Verteidigungsministerium errichtet in der Nähe von Moskau einen martialischen Freizeitpark. Unsere Korrespondentin hat ihn besucht.

«Kinder lieben diese Art von Unterhaltung», ist eine Besucherin überzeugt.

Stalin-Kult, ein Mini-Reichstag und der Krieg als Rummelplatz: Das russische Verteidigungsministerium errichtet in der Nähe von Moskau einen martialischen Freizeitpark. Unsere Korrespondentin hat ihn besucht.

An der Wand der russischen Blockhütte hängt ein Porträt. Eine junge Frau zeigt darauf. «Kennst du das Onkelchen auf dem Bild?», fragt sie prüfend den kleinen Junge neben ihr. Dieser macht nur grosse Augen. Schweigen. Dann kommt sein Vater zu Hilfe. «Stalin», flüstert er voller Ehrfurcht und greift zur Digitalkamera, die ihm um den Hals baumelt. Er hebt die Linse vor die Augen, Mutter und Sohn rücken vor das Bild. Lächeln. Knips.

Draussen vor der schweren Holztür sind weitere Hütten wie auf einer Perlenschnur aufgefädelt. Räucherschwaden ziehen durch den Birkenwald, Sonnenlicht fällt durch die Baumkronen, der Geruch von Lagerfeuer kitzelt in der Nase. Ein junger Mann kocht Teewasser in einer russischen Teemaschine, dem «Samowar». Er trägt schwere Militärstiefel an den Füssen und die «Pilotka» auf dem Kopf – die Kopfbedeckung, die aussieht wie ein khakifarbenes Schiffchen und von Soldaten der Roten Armee getragen wurde. 

Ein Park für fröhliche Patrioten

Hier in Kubinka, eine Autostunde westlich von Moskau, steht der sogenannte «Patriotenpark». Bis 2020 soll hier auf 5400 Hektar ein Erlebnispark des russischen Verteidigungsministeriums entstehen, offiziell der «Kriegspatriotische Park für Kultur und Erholung der Streitkräfte der Russischen Föderation Patriot». Kostenpunkt: 300 Millionen Euro.



In den Parkteilen, die schon besucht werden können, wird die Zeit des Zweiten Weltkriegs als heroisches Vergnügen stilisiert. Das Teekochen nach alter Art gehört zum Lebensgefühl.

In den Parkteilen, die schon besucht werden können, wird die Zeit des Zweiten Weltkriegs als heroisches Vergnügen stilisiert. Teekochen nach alter Art gehört zum Lebensgefühl. (Bild: Simone Brunner)

Ein kleiner Teil des Parks ist schon geöffnet. Während draussen noch Bagger und Bauarbeiter ihre Runden ziehen, führt der junge Exkursionsleiter mit seinen Militärstiefeln und seiner Pilotka durch das Partisanendorf. «Viele Partisanen wurden bei ihren Sabotageaktionen von den Faschisten erschossen», rattert er seinen Text über die sowjetische Okkupationszeit durch die Nazis herunter. «Den meisten von ihnen war schon im Vorhinein klar, dass dies ihre letzte Heldentat sein wird.» 

Trotz solcher Geschichten herrscht eine eigentümliche Ausgelassenheit im Partisanendorf. Die Gäste lassen sich vor einem lebensgrossen Ölgemälde von Stalin fotografieren, das von mehreren Sowjet- und Russlandfahnen eingefasst ist. Die Freiluftkantine tischt Gerstenbrei «nach Armee-Art» auf. Eine fröhliche Reisegruppe bringt mit lautem «Hurra! Hurra! Hurra!» einen Toast aus. Gäste schlüpfen für ein Selfie in die wuchtigen Mäntel der Roten Armee. Und aus den militärgrünen Lautsprechern schmettern sowjetische Lieder und Männerchöre.

Befremdliche Inszenierung

Auf eine grosse Attraktion warten die Besucher heute allerdings vergeblich. «Heute findet keine Erstürmung des Reichstages statt», gibt eine Empfangsdame bekannt. Die Orden auf ihrer Uniform glänzen mit dem frisch geschrubbten Kunststoffboden um die Wette, am Eingang des Besucherzentrums piepsen die Metalldetektoren. 

Tatsächlich haben Rollenspieler auf dem Gelände eine Nachbildung des deutschen Reichstages in einer aufwendigen Inszenierung gestürmt – und vor grossem Publikum als neue Attraktion eingeweiht. Sogar die Stimme Hitlers soll durch die Lautsprecher zu hören gewesen sein, wie Journalisten danach berichteten.

Dieser Mitschnitt verdeutlicht das Ausmass der Inszenierung:

Die Inszenierung sorgte international für Befremden. Aber auch in Russland selbst. Politikwissenschaftler Sergey Medwedew etwa schrieb: «Der Staat veranstaltet Reenactments und Paraden, betäubt die Erinnerung an die Tragödien und verstärkt den Kult um den Sieg und die Erfolge der UdSSR». Ähnlich kritisiert Journalist Ilja Milschtein auf der Plattform «Dekoder» das «Riesengaudi», wenn er schreibt: «Man könnte meinen, es gäbe heute – angesichts der gegenwärtigen Situation – keine wichtigere Aufgabe, als der Jugend beizubringen, dass der Krieg eine wahnsinnig witzige Sache sei.»

Mit einer Erinnerungskultur habe das alles nichts zu tun. Im Gegenteil: «Wir alle können den realen Krieg ruhig komplett vergessen. Vergessen, wie er wirklich sein kann.» Und Medwedew stellt fest: Die offizielle Geschichte sei eine «Light-Version» und als solche zum Rummelplatz geworden, auf dem alles tanze – «Spiel statt Trauma, Anästhesie statt Schmerz.»



Beliebtes Fotosujet: das Porträt von Stalin.

Beliebtes Fotosujet: das Porträt von Stalin. (Bild: Simone Brunner)

 

Vom Kleinbus aus, der die Besucher durch das Gelände kutschiert, ist der aus Holz nachgebaute Reichstag nur aus der Ferne zu sehen. Wie eine Hundehütte steht er da, einsam in einer weiten Ebene aus Bauschutt, Brachland und aufgegrabener Erde. Eine der roten Fahnen flattert im Wind. Ob ein Hakenkreuz darauf ist oder Hammer und Sichel, lässt sich aus dieser Entfernung kaum ausmachen. Deutlich sehen kann man dagegen, was auf dem bunten Bogen über der staubigen Zufahrt geschrieben steht: «Zentrum für kriegstaktische Spiele».

Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu findet das alles eine grossartige Möglichkeit. Gerade für seine «Jugend-Armee». Dass sie «diesen konkreten Ort stürmen» kann. Schoigu hat diese «Jugend-Armee» vor einem Jahr gegründet. Laut eigenen Angaben zählt sie 70’000 Mitglieder und versteht sich als eine «allrussisch kriegspatriotische öffentliche Bewegung». In einem Eid schwören die jungen Männer «Treue zum Vaterland» und zu den «Traditionen des Heldentums». Sie wollen sich «würdig vor dem Erbe der Vorfahren» verhalten, im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg also, den «Grossen vaterländischen Krieg». Diese «Jugend-Armee» war es denn auch, die Ende April die letzte Schlacht um Berlin inszeniert hatte. 

Die Ideologie verkauft sich prima

Im Patriotenpark wird das Gedenken an diesen Krieg, der in der Sowjetunion mehr als 20 Millionen Menschenleben gekostet hat, derweil auch zur Merchandise-Schlacht. In einer Backhütte gibt es «Frontbrot» für umgerechnet vier Euro das Kilogramm. In den Shops werden die «Höflichen Teddybären» verkauft – eine Anlehnung an die russischen Soldaten, die vor drei Jahren ohne Hoheitsabkommen auf der Krim einmarschierten und seither in Russland euphemistisch als «höfliche Leute» bezeichnet werden. Und in der gleichnamigen Mensa kann man sich mit «patriotischen Mahlzeiten» verköstigen. Und da und dort gibts Soldatenfiguren und T-Shirts von der Schlacht um Stalingrad zu kaufen.

Dieses absurde Zerrbild der Vergangenheit wird im Patriotenpark in eine Vision transformiert: «Das Territorium des Patriotismus ist das Territorium der Zukunft!», steht es schwarz auf weiss auf dem Werbeplakat, das bei der Autobahnabfahrt prangt.



Kinder dürfen auch an Simulatoren Krieg spielen.

Kinder dürfen auf Panzern herumklettern und sogar an Simulatoren Krieg spielen. (Bild: Simone Brunner)

Vor allem unter Wladimir Putin wurde das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg in Russland mehr und mehr militarisiert und zur patriotisch-ideologischen Klammer. Zuletzt erklärte Putin: «Wir müssen unsere Zukunft auf ein stabiles Fundament stellen – ein solches Fundament ist der Patriotismus.» Der Park solle dabei ein «wichtiges Element in unserem System der militärisch-patriotischen Arbeit mit jungen Menschen» sein. 

Dementsprechend wird auch die einstige militärische Grösse Russlands im Park in eine Reihe mit der Gegenwart gestellt. In einer Ecke eines Hangars würdigt die Ausstellung die Leistungen russischer Fallschirmjäger im Zweiten Weltkrieg ebenso wie auch diejenigen in den beiden russischen Tschetschenien-Kriegen nach dem Zerfall der Sowjetunion bis hin zur Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim von 2014. In einem anderen Hangar ist ein sandfarbener Militärbus ausgestellt – ein Geschenk der syrischen Armee für den Einsatz der Russen im Syrien-Krieg. Und dann gibt es auch noch den Hangar, wo Panzer- und Flugsimulatoren stehen. Damit Kinder spielerisch den Umgang mit diesen Waffen lernen.

Kriegerisches Spielen

«Der Park wurde mit einem maximalen Einsatz von patriotischer Symbolik gestaltet», heisst es in einem offiziellen Werbevideo. «Dadurch sollen künftige Vertragssoldaten und Wehrpflichtige herangezogen werden.»

Doch nicht nur der Reichstag und die Schlachten des Zweiten Weltkriegs sollen hier nachgebaut und nachgestellt werden, sondern auch der Moskauer Rote Platz – um für die Militärparaden anlässlich des 9. Mai, dem «Tag des Sieges», zu üben und das historische Stadtzentrum von Moskau zu entlasten, wie es heisst. Bis zu 20’000 Besucher soll der Park täglich aufnehmen können, heisst es im Video. 

Wie sehr die Russen selbst dieses Disneyland des Krieges annehmen werden, ist freilich unklar. Noch sind die Besucherzahlen überschaubar. Trotz vergünstigter Eintrittspreise (umgerechnet acht Euro) und mildem Maiwetter schlendern heute nur wenige Gruppen, vor allem Jungfamilien, durch den Park und seine Attraktionen. Aber die, die da sind, wirken grösstenteils zufrieden.

Im «Freiluftpark der Militärtechnik» krabbeln Kinder auf Modellpanzern herum. «Die Kinder lieben diese Unterhaltung», sagt Anna. Die 33-jährige Hausfrau ist mit einer ganzen Gruppe, rund 20 Kindern, aus Moskau angereist. Sie findet, die Kinder sollen die Geschichte ihres Landes kennenlernen. Und während aus den Lautsprechern ein Kinderchor dröhnt, der das «starke, reiche und freie Russland» preist, fügt Anna noch an: «Der Patriotismus ist unsere Zukunft.» Dann schaut sie wieder den Kindern zu.

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