Der rechtspopulistische Front National ist nicht nur die stärkste Partei Frankreichs geworden. Er zieht auch, was weniger bekannt ist, am meisten Jungwähler an: 35 Prozent der unter 24-Jährigen geben ihm die Stimme. Wie ticken die eigentlich? Antwort gibt ein Besuch bei ihrem Wochentreffpunkt.
Das trifft sich gut: Das Pariser Parteilokal des Front National Jeunesse (FNJ) liegt in der Rue Jeanne d’Arc. Dass die Strasse nach der Schutzheiligen der Franzosen – und vor allem der Frontisten – benannt ist, sei «purer Zufall», sagt FNJ-Vorsteher Gaëtan Dussausaye (21) und lacht.
An der Eingangstür steht indessen nicht «Front National», sondern unverbindlich «Forum». Ja, der Parteiname wecke ablehnende Reaktionen, bekennt der lockere Philosophiestudent mit roten Hosen und Dreitagebart. «Aber unsere Bewegung ist keineswegs rassistisch, nur kompromisslos für die Souveränität Frankreichs.»
Als Beleg führt Gaëtan an, er wohne selbst im Pariser Ausländerviertel Clignancourt, unweit des bekannten Flohmarktes. Bestätigt sich dort etwa die rechtsextreme These des «grand remplacement», der Verdrängung der abendländischen Zivilisation durch die arabische und afrikanische Immigration? «Das ist ein Rassenkonzept, dem unsere Jugendorganisation nicht folgt», sagt Dussausaye. «Wir sprechen nicht von einem ethnischen, sondern einem kulturellen Wechsel: In Clignancourt gibt es immer weniger herkömmliche Metzgereien oder Bistros, dafür zunehmend Moscheen, Kebabs und Halal-Metzgereien.»
Dass das FN-Programm die französische Wirtschaft in eine schwere Rezession stürzen würde, wie die meisten Ökonomen schätzen, tut Marion mit einer Handbewegung ab. «Das behaupten die altmodischen Achtundsechziger, die mit ihren liberalen Ansichten den ganzen Schlamassel in Frankreich angerichtet haben!»
Jetzt beginnt die Diskussion in der Runde. Thema der Woche ist die Frankophonie, die Gemeinschaft der 450 Millionen Französischsprachigen rund um den Planeten. Loup, ein junger Mann mit modischem Kinnbart und lockerem Auftreten, korrigiert allerdings gleich zum Auftakt, das «eigentliche Thema» sei die Ausstrahlung Frankreichs. «Während Deutschland triumphiert, verliert Frankreich ständig an Strahlkraft», bedauert der Überläufer der linksnationalen Partei MRC.
Noch zentraler scheint ein anderes Thema – die Immigration. An der Wand des niedrigen, fensterlosen Raums hängt zwischen einer rotweissblauen Trikolore und einem Marine-Le-Pen-Porträt prominent ein Plakat mit der Inschrift: «100% FN, 0% migrants». Letztere nennt Loup nur «sie». Sie, die Migranten, und wir, wir Franzosen.
«Nur so erreichen wir, dass sie nicht mehr hierher kommen.» Kunstpause. «Und dass sie nicht mehr auf die Frauen in Köln schiessen.»
Wegen der unentgeltlichen Arzthilfe Frankreichs (AME) wirke Frankreich auf «sie» wie eine «Saugpumpe». Dieses Wort mag er. «Wenn wir wollen, dass unser Lebensstandard auf sie nicht wie eine Saugpumpe wirkt, müssen wir ihre Landwirtschaft in Afrika fördern und entwickeln», doziert der Jungfrontist mit dem unüblichen Vornamen. «Nur so erreichen wir, dass sie nicht mehr hierher kommen.» Kunstpause. «Und dass sie nicht mehr auf die Frauen in Köln schiessen.» Diese Bemerkung sollte wohl ein Scherz sein; die vorwiegend männlichen (und ausschliesslich weissen) Zuhörer lachen jedenfalls laut.
Seit den Vorfällen in Köln gebärdet sich auch Marine Le Pen als Frauenrechtlerin. FNJ-Vertreterin Marion verteidigt sogar den Feminismus von Simone de Beauvoir. Ein Widerspruch zu ihrer zuvor geäusserten Kritik an Mai 68? Marion lenkt ab; gegenüber dem Schweizer Journalisten spricht sie lieber über die Vorzüge der direkten Demokratie und natürlich der Durchsetzungsinitiative. Auch ist sie voll des Lobes über den eidgenössischen «‹Résistance› gegen den EU-Riesen».
Langsam geht der offizielle Teil der FNJ-Versammlung zu Ende, und Loup lädt die Parteimitglieder (und nur sie) zum geselligen Dîner ins nächste Restaurant. Ein Frontist ruft scherzend in den allgemeinen Aufbruch: «Saucisson et pinard» – Wurst und Wein! So heissen die Apéros rechter Kreise mit alkoholisierten Schweinefleisch-Menüs. Was natürlich, wie der rundum sympathische FNJ-Vorsteher Gaëtan klarmacht, keineswegs gegen Muslime, Ausländer oder den Islam gerichtet sei.