110 Delikte pro Einwohner?! Was Basler Medien nicht alles aus der Kriminalstatistik herauslesen

Die «Basler Zeitung» verheddert sich im Zahlensalat und andere Medien lassen sich über den Straftaten-Import aus der Agglomeration aus. Eine Medienschau zur Basler Kriminalstatistik 2016.

Die Kriminalstatistik 2016 sorgte für knallende Schlagzeilen. Die lautesten lagen jedoch ziemlich daneben.

(Bild: Nils Fisch)

Die «Basler Zeitung» verheddert sich im Zahlensalat und andere Medien lassen sich über den Straftaten-Import aus der Agglomeration aus. Eine Medienschau zur Basler Kriminalstatistik 2016.

Wie immer wurde die Präsentation der polizeilichen Kriminalstatistik von den Medien ausführlich begleitet. Und wie so oft auch unterschiedlich interpretiert. Für besondere Aufmerksamkeit sorgte eine statistisch nicht verankerte Aussage, dass ein wesentlicher Anteil der Gewaltdelikte in der Stadt von alkoholisierten und mit anderen Drogen zugedröhnten Ausgangspendlern aus der Agglomeration verursacht werde.

Aber dazu später.

Die «Basler Zeitung» sah sich bereits am Morgen vor der Präsentation der Basler Statistik zu einer alarmierenden Meldung veranlasst: «In Basel lebt es sich gefährlich», verkündete die Zeitung am Dienstag auf der Frontseite. Im Lokalbund doppelte sie mit der Aussage «Der kriminellste Kanton der Schweiz» nach – eine Schlagzeile, über die der Chef der Kriminalpolizei «wenig Freude» gehabt habe, wie die BaZ am Tag darauf bemerkte.

Zahlensalat

Wenig Freude dürfte den Staatsanwälten aber nicht nur die Schlagzeile bereitet haben, sondern auch der Zahlensalat, den die «Basler Zeitung» angerichtet hatte. So war zum Beispiel zu lesen:

«Pro Einwohner kam es 2016 zu 110,1 Delikten. Der zweitkriminellste Kanton ist Genf mit 107,1 Delikten, gefolgt von Neuenburg (75,1), Waadt (70,5) und Zürich (59,8). Das Baselbiet ist mehr als halb so kriminell wie der Partnerkanton: Hier beläuft sich die Deliktrate pro Einwohner bloss auf 42,1.»

110,1 Delikte pro Einwohner? Zum Glück natürlich nicht. Es sind 110,1 pro tausend Einwohner, die Basel-Stadt den Spitzenplatz unter den Schweizer Kantonen bescherte. Da ist der Redaktion ein happiger Kommafehler unterlaufen, wie auch «barfi.ch» bemerkte:

«Für ein böses Erwachen sorgte heute früh die Basler Zeitung, die Basel zum kriminellsten Kanton der Schweiz hochschrieb. Allerdings hat die Lokalzeitung die Zahlen verwechselt. Bei der Präsentation der Kriminalstatistik 2016 bei der Staatsanwaltschaft mussten die Verantwortlichen dennoch eine leichte Zunahme der Kriminalität eingestehen.»

Ansonsten relativiert «barfi.ch» den Kriminalrekord. Der kriminellste Kanton sei gar nicht so kriminell: «In Basel werden vor allem Velos geklaut.»

Gewalt von aussen

Da sind die anderen Medien der Region anderer Meinung. Für Schlagzeilen sorgten in vielen Blättern und auf vielen Portalen vor allem die Aussage von Beat Voser, dem Chef der Basler Kriminalpolizei, dass die hohe Anzahl an Gewalttaten in Basel nicht zuletzt der Tatsache geschuldet sei, dass die Stadt viel gewaltbereites Ausgehpublikum aus der Agglomeration anlocke.

Das «Regionaljournal Basel und Baselland» von SRF zitiert Voser mit den Worten:

«Wenn ich in einen Agglozug steige nach Basel um 23 Uhr, sehe ich kaum jemanden, der nicht betrunken oder zugedröhnt ist.»

An dieser Aussage hängte auch die «Basler Zeitung» ihre Berichterstattung am Tag nach der Medienpräsentation auf:

«Ausländer und Baselbieter sind laut Staatsanwaltschaft hauptsächlich für den Anstieg der Gewaltdelikte im Stadtkanton verantwortlich. Die Ursache liege bei Basels Zentrumsfunktion.»

Hauptsächlich verantwortlich? Das wurde in dieser Absolutheit an der Medienkonferenz nie gesagt. (Die verrutschten Zahlen aus der Berichterstattung vom Vortag korrigierte die BaZ übrigens nicht.) 

Knackige Schlagzeilen

Auch die «bz Basel» liess sich durch Vosers Aussage zu markigen Schlagzeilen verführen: «Gewalttouristen aus der Agglo machen Basel unsicher», ist auf der Front zu lesen, und im Lokalbund wird mit dem Titel «Zugedröhnt, gewaltbereit und vom Land» nachgedoppelt.

Die Zeitung bat in diesem Zusammenhang den Baselbieter Jugendanwalt Lukas Baumgartner zum Interview, der sich aber sehr zurückhaltend zu den angeblichen «Gewalttouristen aus der Agglo» äussert:

«Es ist normal, dass Jugendliche sich viel in der Stadt aufhalten und dementsprechend dort etwas anstellen. Eine deutliche Zunahme solcher Fälle – insbesondere im Gewaltbereich – kann ich jedoch nicht bestätigen. Meistens handelt es sich um Delikte gegen das Betäubungsmittelgesetz, also den Konsum unerlaubter Substanzen.»

Auch «20 Minuten» nimmt die pendelnden Straftäter ins Visier:

«Die Spassgesellschaft wird, je später die Stunde, immer enthemmter und gewalttätiger. Das schlägt sich in der polizeilichen Kriminalstatistik des vergangenen Jahres nieder.»

«Telebasel» schliesslich fragte beim Vorsteher des Justiz- und Polizeitdepartements, Baschi Dürr, nach, was er als Polizeichef des «kriminellsten Kantons» zu tun gedenke. Und nahm dessen Antworten quasi bereits vorweg:

«Unangenehm für Baschi Dürr: Ob Tätlichkeit, Drohung, Körperverletzung oder Gewalt und Drohung gegen Beamte: Basel-Stadt ist führend. Bei den Gewalttaten wurde mit insgesamt 1537 Fällen im 2016 eine Zunahme um fünf Prozent gegenüber dem Vorjahr verzeichnet – die Zahlen des letzten Höchststandes von 2011 wurden knapp übertroffen.»

Auch der lokale TV-Sender zeigte Schwierigkeiten bei der richtigen Einordnung der Zahlen. Die Zahl von 1537 Gewalttaten stammt aus dem Agenturbericht der SDA und betrifft nicht alle Gewaltstraftaten, sondern nur die Delikte gegen «Leib und Leben». Die Anzahl aller statistisch erfassten Gewaltstraftaten ist mit 2515 höher, aber nicht so hoch wie in den Jahren 2011 und 2012.

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