Die Digitalisierung der Fotografie verlangt nach neuen Strategien beim Bildersammeln. Ein erster Versuch.
Auf Flohmärkten, in Brockenhäusern, in verstaubten Schachteln auf Estrichen, im Antiquariat oder im Sperrgut entdeckt man immer wieder, aber immer seltener: Fotos. Photographien.
Man findet sie auf dickem oder dünnem, auf glänzendem oder mattem Fotopapier, auf Glasplatten oder Negativstreifen, in Farbe und Schwarzweiss. Man stösst auf Diamagazine mit hunderten Kleinbild-Dias, angeschrieben oder auch nicht. Kinderfotos, Ferienfotos, Hochzeitsfotos, Klassenfotos, Tierfotos. Und man entdeckt hie und da auch Besonderes, wie auch schon in dieser Kolumne beschrieben.
Seit 175 Jahren ist die Fotografie ein Bestandteil der Kultur. Zig Milliarden Bilder wurden auf zig Millionen Tonnen Fotomaterial aufgenommen, aufbewahrt, vererbt, archiviert oder wieder vernichtet.
Durch die Digitalisierung der Fotografie verschwindet das Fotomaterial nun aber aus der Welt. An künftigen Flohmärkten drohen Fotos zur Mangelware zu werden. Einzig auf Computerfestplatten oder verstaubten Speicherkarten wird man noch alten Aufnahmen begegnen.
Ein Programm aus dem Netz macht Unsichtbares wieder sichtbar.
Ich habe kürzlich auf dem Petersplatz eine Flashkarte für 50 Rappen erstanden. Die rote SanDisk mit 128 Megabyte Kapazität musste über zehn Jahre alt sein. Mein Computer wollte anfänglich die Karte gar nicht erkennen, nach einigem Fluchen und Versuchen stellte sich heraus, dass nichts, aber auch gar nichts darauf gespeichert war. Oder vielleicht war alles gelöscht?
Doch das Löschen und Formatieren der Karte überschreibt lediglich die Verzeichnisstruktur. Bilder, Filme und Audiodateien lassen sich dank spezieller Software wiederherstellen. Im Netz fand ich ein simples Programm, das mir nach ein paar Klicks und ein paar Minuten Rechenzeit 89 intakte und 22 defekte Bilddateien anzeigte.
Doch das Glücksgefühl, das ich beim Wühlen in Kartonkisten und Finden eines tollen Fotos empfand, stellte sich nicht ein. Keines der Bilder war auf den ersten Blick besonders: unscharfe Babyfotos, die sehr wahrscheinlich von Kindern aufgenommen wurden.
Geh an den nächsten Flohmarkt und finde verborgene Schätze!
Beim nochmaligen Betrachten fiel mir aber etwas auf, das speziell war. Eine tanzende, unscharfe Figur auf einer Bühne. Gewand und Bühnenrand deuten auf eine Eurythmie-Vorführung hin. In der Datei ist ein Aufnahmedatum vermerkt, 19. Juni 2002.
Ausgedruckt auf Fotopapier hängt es jetzt in meiner Wohnung nebst den anderen analogen Fotofunden und fordert mich beim Betrachten auf: Geh an den nächsten Flohmarkt und finde verborgene Schätze!
Und wenn Ihr sicher sein wollt, dass die Bilder auf Euren Flashkarten später mal keine Wiedergeburt erleben: Füllt die Karten mit unbedenklichen Daten, bis sie voll sind. So wird es fast unmöglich, ältere Bilder wiederherzustellen.