Aachener Aktion gegen eine Angst

Am Samstag lehnt sich Alemannia Aachen gegen das belgische Atomkraftwerk Tihange auf, das gleich hinter der Grenze für Angst in der deutschen Grenzstadt sorgt. Für das Spiel gegen Köln planen die Aachener eine spezielle Aktion – die 25’000 statt der üblichen 5000 Zuschauer ins Stadion lockt.

Pilz des Anstosses – der Fussball wehrt sich gegen die Atomkraft, die in Nähe des Aachener Stadions produziert wird.

(Bild: Nils Fisch)

Am Samstag lehnt sich Alemannia Aachen gegen das belgische Atomkraftwerk Tihange auf, das gleich hinter der Grenze für Angst in der deutschen Grenzstadt sorgt. Für das Spiel gegen Köln planen die Aachener eine spezielle Aktion – die 25’000 statt der üblichen 5000 Zuschauer ins Stadion lockt.

Da will man den eigenen Ohren nicht trauen: Auf der Website des einstigen Fussball-Bundesligisten Alemannia Aachen, ansonsten im Dunstkreis von Männerbündlertum und Wirtschaftsgrotesken beheimatet, läuft ein professionell gemachter Anti-Atomkraft-Jingle.

Untermalt von dramatischer Musik hört man erst Nachrichtenschnipsel zu den Katastrophen in Tschernobyl und Fukushima. Dann postuliert eine appellierende Stimme: «Alemannia Aachen sagt: Stoppt Tihange.»

Protesttrikots werden versteigert
Am Montag nach dem Spiel kommen die Trikots mit der Aufschrift: «Stop Tihange» auf Ebay unter den Hammer. » Link zur Seite von Alemannia Achen

Tihange ist der marode Atommeiler nebenan bei Lüttich mit seinen ständigen Störfällen, abenteuerlichen Schlampereien bei der Baudokumentation und Abertausenden Rissen in der Betonhülle, weshalb er auch «Bröckelreaktor» heisst. Am Samstag kommt es nun zum ersten Fussballspiel in Deutschland, das unter einem politischen Motto steht: Die Erzrivalen Alemannia und die zweite Mannschaft des 1. FC Köln spielen in der Regionalliga West gemeinsam gegen den Schrottmeiler an, beide Teams mit der Trikotaufschrift «Stop Tihange».

Politik dankt dem Fussball

Die Textilsponsoren treten zurück. Eintrittskarten kosten einheitlich fünf Euro. Alle Einnahmen gehen an grenzüberschreitende Bürgerinitiativen. Das Tivoli-Stadion wird voll sein als sei Bayern München zu Gast.

Tihange liegt in Hauptwindrichtung 57 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Aachen steht, Bürger wie Politiker, in ausnahmsloser Geschlossenheit gegen die belgischen Atomspalter. «Wir sind sehr dankbar, dass der Traditionsverein sich diesem gesellschaftspolitischen Auftrag stellt. Das ist beispiellos», rühmt Helmut Etschenberg, der Städteregionsrat von der CDU.



epa05209066 A general view from a cemetary of the nuclear power plant in Tihange, Belgium, 13 March 2016. Technical problems with Belgium's ageing nuclear plants have created tensions with neighbouring Germany, which is moving toward clean and sustainable energy sources and has passed legislation that requires the closure of all its commercial nuclear reactors by 2022. EPA/JULIEN WARNAND

Aachen hat Angst. Die Stadt ist seit Monaten voller gelber Anti-Tihange-Plakate. Eben hat die Uni Wien ein Gutachten für den Fall einer Nuklearkatastrophe vorgelegt, das, mindestens, alle Befürchtungen bestätigte. (Bild: Keystone/JULIEN WARNAND)

Die Idee hatte Alemannia-Aufsichtsratschef Christian Steinborn. Fussball habe doch auch «eine soziale Verantwortung» für die Heimat, meint der Technologie-Manager. «Die einzige Strahlung, die wir uns für diesen Spieltag wünschen, sind strahlende Gesichter für ein gutes, wichtiges Projekt».

Aufsichtsratskollege Tim Hammer wundert sich derweil, wie wenig Tihange in Belgien selbst kümmert. «Wir werden laut genug auf das Thema hinweisen.»

Erstmals klagen Kommunen gegen einen Nachbarstaat

Aachen hat Angst. Die Stadt ist seit Monaten voller gelber Anti-Tihange-Plakate. Eben hat die Uni Wien ein Gutachten für den Fall einer Nuklearkatastrophe vorgelegt, das, mindestens, alle Befürchtungen bestätigte.

«Die Ergebnisse sind erschreckend», sagt Etschenberg: Bei ungünstigen Wetterbedingungen wird Aachen der gleichen Strahlenbelastung ausgesetzt sein wie Tschernobyl und Fukushima. Weite Teile der Region bis in den Köln-Düsseldorfer Raum würden langfristig unbewohnbar.

Alemannias Aufsichtsratsvorsitzender Christian Steinborn zur Aachener Aktion:

Längst versuchen Stadt und Kreis Aachen auch juristisch gegen Tihange vorzugehen, zusammen mit Köln, Maastricht und einer luxemburgischen Grenzstadt, insgesamt 80 Gemeinden. Erstmals in Europa klagen Kommunen gegen einen Nachbarstaat.

Der Bruch mit einem Tabu – gegen den Willen der Fifa

Ein Fussballspiel also als Mittel politischer Auseinandersetzung per Grossdemo im Stadion mit angegliedertem Spiel. Eigentlich ist so etwas tabu. Schon die Spielkleidung darf, so die Fifa, keinerlei politische, religiöse oder persönliche Botschaften enthalten.

Gerade erst hat die Fifa ein Dutzend Länder wegen unerlaubter Meinungsbekundungen jeweils fünfstellig abgestraft. Sogar bei Pfiffen von den Rängen hat der Weltverband schon ermittelt, der Verdacht: eine politische Willensbekundung.

Im Raum Aachen haben Schulen, Firmen und Vereine Grossmengen an Tickets geordert – so sorgt Fussball für energiepolitische Weiterbildung.

Noch in dieser Woche hat die Fifa den Spielern von England und Schottland verboten, beim WM-Qualifikationsmatch die traditionellen Mohnblüten-Silhouetten auf ihren Ärmeln tragen dürfen, zum Gedenken an die Opfer des 1. Weltkriegs wie immer am 11. November.

Die Fifa droht mit Punktabzug, notfalls für beide Kontrahenten. «Absolut empörend» kommentierte Premierministerin May. Die Teams sind wütend und wollen standhaft bleiben. 

Kein politisches, sondern ein gesellschaftliches Statement

Für die erste offizielle Anti-AKW-Begegnung im deutschen Fussball gab es jedoch überraschenderweise keine Probleme. Entscheidend war die Sprachregelung: «Wir geben mit dieser Aktion kein politisches, sondern ein gesellschaftliches Statement ab», muss Steinborn formulieren. 

Also wie Brot für die Welt oder Aufrufe zur Rettung des Feldhamsters. Ansonsen? «Wäre das nicht genehmigt worden.»



epa05559158 A general night view of the Tihange nuclear power plant near Huy, southern Belgium, 27 September 2016. The Tihange and Doel nuclear power plan are under critics of German, Dutch and Luxembourg after many failure and lack in the security systems of the plant. EPA/OLIVIER HOSLET

Das Kraftwerk Tihange bei Nacht. (Bild: Keystone/OLIVIER HOSLET)

Der zuständige Verband Mittelrhein bestätigt, man habe nur die Trikotaufschriften abnicken müssen. «Da gibt es in den Statuten ethische und moralische Grenzen», so der stellvertretende Geschäftsführer Laurenz Neumann. Auch er vermeidet das Reizwort Politik und spricht «lieber von einem gesellschaftlichem Thema».

Bedenken? «Nein, gab es nicht.» Anders, sagt er, sei das einmal bei Werbung für die Hell’s Angels gewesen und als ein Club die nazistische «88» unerlaubt auf die Trikots flocken liess.

Neumann verweist indes auf sanften Druck der Politik. Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) aus Aachen und die parteilose Stadtoberste Henriette Reker in Köln hätten sich «sehr stark gemacht» für das Spektakel.

25’000 statt 5000 Zuschauer im Stadion

Im Raum Aachen haben Schulen, Firmen und Vereine Grossmengen an Tickets geordert – so sorgt Fussball für energiepolitische Weiterbildung. Statt der zuletzt nur noch 5000 Zuschauer erwartet man an die 25’000.

Vor dem Match wird es leidenschaftliche Ansprachen geben aus Politik, Clubführung und der grenzüberschreitenden Bürgerinitiative. Nach Abzug der Kosten dürfen sich Anti-Tihange-Aktivisten auf einen erklecklichen fünfstelligen Betrag freuen.

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