Auf der Erlenmatt treten die Mängel der Planung immer offener zutage. Nach langem Stillstand kommt nun wenigstens wieder eine Entwicklung in Gang.
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Die Siedlung Erlentor liegt in der brachen Landschaft der Erlenmatt wie ein Raumschiff auf der Fahrt ins Nirgendwo. Auch bald drei Jahre nach der Fertigstellung wirkt die Umgebung weit und wüst und die Erfüllung der Vision eines neuen Stadtquartiers für Basel Lichtjahre entfernt.
Bereits erweisen sich frühere Einschätzungen als zu optimistisch. Der Kantonsbaumeister Fritz Schumacher brachte in einer unlängst herausgekommenen Jubiläumsschrift zur Erlenmatt seine Befürchtungen zum Ausdruck. «Es wäre jammerschade, wenn hier am Ende keine Familien wohnen würden», sagt er mit Sicht auf die Erlentor-Siedlung. Dort würden kaum Familien einziehen. So sollen auch die grossen Vierzimmerwohnungen vor allem von finanzstarken Expats belegt sein. Die Folgen sind augenscheinlich: Die Fluktuation ist hoch, ein soziales Gefüge, ein Quartierbewusstsein kann nicht entstehen.
Doppelt so viele Wohnungen
Den Grund für diese Entwicklung sieht Schumacher darin, dass sich der Bau einer Primarschule verzögert und der Park zu spät angelegt wurde. Das habe Familien davon abgehalten, auf die Erlenmatt zu ziehen. Den Park gibt es mittlerweile, ebenso einen kleinen trabantenartigen Spielplatz. Genutzt wird beides nur spärlich.
Der Spielplatz soll eigentlich den Quartierkindern maximale Gestaltungs- und Bewegungsfreiheit bieten. Die Stadtgärtnerei rechnet mit einer anderen Nutzergruppe. Sie hat ein Schild aufgestellt: keine Hunde, keine Velos, keine Spritzen.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen auf der Erlenmatt zehn Jahre nach feierlichem Abschluss der Verhandlungen zwischen Basel-Stadt und der ehemaligen Besitzerin Deutsche Bahn, die dort einen Güterbahnhof unterhielt, weit auseinander. Man liegt mehrere Jahre hinter dem Entwicklungsplan zurück. Das sorgt für Unruhe. Eine Frage ist immer wieder zu hören: Nimmt der Kanton noch genügend Einfluss?
Der für das Gebiet zuständige Planer Robert Stern wirkt angespannt. Schuld an der langsamen Entwicklung seien die vielen Eigentümerwechsel. Längst gehört das Land nicht mehr der deutschen Firma Vivico, sondern einem Unternehmen namens Bricks Immobilien. Bricks will entlang des Riehenrings, an der Stelle der bisher von der Messe genutzten E-Halle, eine Altersresidenz bauen als Teil eines langen Blocks mit vielen weiteren Wohnungen. Total sollen bis in drei Jahren gegen 700 gebaut werden, wie Verwaltungsratspräsident Daniel Fluri sagt.
So viele Wohnungen waren ursprünglich auf dem ganzen Gebiet vorgesehen – jetzt werden es insgesamt fast doppelt so viele.
Offenbar ist man vom Gedanken weggekommen, ein Familienquartier zu schaffen. Statt wenige grosse werden mehr kleinere Wohnungen erstellt. Stern sagt, darauf habe er keinen Einfluss: «Dieser Entscheid ist dem Investor überlassen.»
Wie die Modalitäten im Detail ausschauen, ist unbekannt. Das Baudepartement verweigert die Herausgabe des Rahmenvertrags zwischen der früheren Landbesitzerin Vivico und dem Kanton. Das entspreche dem Willen der jetzigen Besitzerin Bricks Immobilien, heisst es.
Überholtes Konzept
Doch die Frage ist auch, ob sich überhaupt noch etwas umbiegen lässt. Der frühere Stadtplaner Roland Zaugg befürchtet, dass es zu spät ist. Zaugg war lange für den Kanton tätig. Heute sagt er, müsse er auf niemanden mehr Rücksicht nehmen. Zaugg ist Dozent für Stadtentwicklung an der Uni Basel. Die Erlenmatt ist fester Bestandteil seiner Kurse. Er führt die Studenten auf dem Areal herum. Anschauungsunterricht zum Thema Fehlplanung.
«Moderner Städtebau konzentriert sich auf Vernetzung. Die isolierte Areal-Entwicklung ist gescheitert.» Im Konzept Erlenmatt komme ein Verständnis längst überholter Stadtgestaltung zum Ausdruck. Die wichtigsten Fragen hätten lauten müssen: Gelingt der Anschluss an die umliegenden Quartiere Rosental und Matthäus? Kann die Erlenmatt allenfalls Motor sein für eine positive Entwicklung der wirtschaftlich schwachen Stadtviertel? Stattdessen fokussierte man auf die politische Idee der Schaffung von teurem Wohnraum – von jeder Wohnung aus sollte ein Platz oder der Park zu sehen sein. «Das führt zu einer Privatisierung des Innenraums», sagt Zaugg.
Wenn es nicht gelinge, Familien auf das Areal zu locken, sei das gravierend, sagt Zaugg: «Das ist ein entscheidender Pfeiler für den Erfolg des Projekts.» Hoffnung machen ihm die Ideen der Wohnstiftung Habitat, neben Bricks und der Pensionskasse Publica der andere grosse Landeigentümer. Habitat will den ursprünglichen Bebauungsplan, der eine «einfach zu bewirtschaftende Wohnmaschine» (Zaugg), einen Häuserriegel auch auf der Ostseite vorsah, abändern. Die 300 Wohnungen sollen in kleinere Strukturen kommen. Vielleicht kommt ein Hallenbad hin, vielleicht ein Kino. «Man muss dem Raum Funktionen geben, sonst wird er zum Unraum», sagt Zaugg.
Das haben auch die Investoren von Bricks und der Kanton realisiert: Der Sonntagsmarkt vor der E-Halle, als Zwischennutzer mehr geduldet als gewünscht, darf bis auf Weiteres bleiben.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12