Auf Wiedersehen, Wildwuchs! Eine neue Generation von Clubbetreibern möchte die Basler Ausgehorte institutionalisieren.
Es waren emotionale Szenen, die sich samstagnachts auf der Erlenmatt abspielten: Da fielen sich DJs und ehemalige Stammgäste, Clubbetreiber und Servicepersonal in die Arme, da wurde die Bar gestürmt und auf den Tresen getanzt. Zum allerletzten Mal füllte man den «Erlkönig», Kernstück der elf Jahre «nt/Areal», mit Leben. Im Frühling öffnet hier das Parkcafé der Erlenmatt seine Türen – Partys sind dann passé. «Die Alternativkultur macht den guten Steuerzahlern Platz», kommentiert Soziologe und Stadtplaner Philippe Cabane, Mitinitiant des «nt/Areals», die Entwicklung trocken.
Doch in Basel wird weitergefeiert: Auch gleich nebenan, an der Erlenstrasse 5, wo seit August «Das Lokal» indirekt die Nachfolge des «Erlkönigs» angetreten hat. Dort fand am Samstag ebenfalls eine Party statt, mit den angesagten polnischen Newcomern Catz’ n’ Dogs. In den frühen Morgenstunden erwies das Leitungsteam um Jakob Kaya (24) dem «Erlkönig» die letzte Ehre und gesellte sich zur «Uustrinkete» zu den alten Hasen.
Eine Art Stabübergabe, denn eine neue Generation steht bereits in den Startlöchern, um das Vakuum zu füllen, das die Schliessung von legendären Clubs wie «Erlkönig» oder «Presswerk», Szenetreffpunkten wie «Schlachthof» und «Satisfactory» in den letzten zwölf Monaten verursacht hatte. Die Merkmale dieser neuen Machertypen: Offenheit, Flexibilität, Pragmatismus. Die mangelnde Erfahrung – alle sind unter 30 – kompensieren sie durch Unternehmergeist, das knappe Kapital durch eine klare Do-it-yourself-Attitüde.
So reicht Sven Glaser (21) beim Baustellenbesuch zur Begrüssung nur den kleinen Finger – die anderen sind farbverschmiert. Gemeinsam mit seinen Kumpels Yannick Frich (22) und Henning Grebe (25) baut er seit Wochen Tag und Nacht in Eigenregie das zuletzt vernachlässigt wirkende «Annex», das mit «Kuppel» und «Acqua» zu Simon Lutz’ Trias traditioneller Treffpunkte im Nachtigallenwäldeli gehört, um – oder zurück. Denn die hier neu entstehende «Garage» soll den ursprünglichen, rustikalen Geist des Ortes wiederbeleben.
Dieses Wochenende wird der Ausgehort wiedereröffnet – und das blutjunge Team hat sich viel vorgenommen. «Wir wollen kein beliebiger Schickimicki-Tempel sein, sondern der jungen, alternativen Basler Szene ein Zuhause bieten», erklärt Frich. «Wir setzen auf lokale und nationale Acts, auf gute Underground-Musik und eine gepflegte Barkultur mit erschwinglichen Preisen. Bei uns soll eine warme, familiäre Atmosphäre herrschen, kein ‹Sehen-und-Gesehen-Werden›.»
Voller Einsatz, volles Risiko
Dafür riskiert das Trio einiges: Alle haben ihre Studienpläne auf Eis gelegt, Privatvermögen eingeschossen und Familie, Freunde und Bekannte zu freiwilligen Helfern umfunktioniert. «Sonst wäre es nicht möglich gewesen, diese einmalige Chance zu nutzen», sagt Frich. Er hofft: «Wer sich ehrenamtlich bei der Entstehung engagiert, der wird sich auch nach der Eröffnung für den Club einsetzen.»
Ähnlich argumentiert Jakob Kaya, der sein «Lokal» im Sommer ebenfalls mithilfe von Freunden umgebaut hat, und spätestens im nächsten Frühsommer wieder schliessen muss: «Der ganze Aufwand lohnt sich nur, wenn man Optimist ist und langfristig denkt. Sobald wir etabliert sind, geht ‹Das Lokal› zu. Aber dasselbe gilt auch umgekehrt: Wenn ‹Das Lokal› schliesst, sind wir etabliert – und haben bessere Chancen auf eine neue Location.»
Vorreiter und Vorbild dieser neuen Club-Generation ist der «Hinterhof». Voller Einsatz, volles Risiko, keine ideologischen Scheuklappen: «Wir machen einfach», lautet zu Beginn das Motto der fünf Freunde, alle Mitte zwanzig, die das «Safruits»-Lager beim Dreispitz in nur eineinhalb Jahren in einen Tummelplatz der Alternativkultur verwandelt haben – in einen Club mit exklusiver Bar, wo Konzerte stattfinden, eine Dachterrasse sowie ein Kunstraum angeschlossen sind.
Als diesen Juni bekannt wurde, dass in ihren Räumlichkeiten bald ein Gassenzimmer entstehen soll, ebbte eine Welle der Solidarität durch die Stadt. Mittlerweile konnten die Hinterhöfler ihren Vertrag erfolgreich um ein Jahr, bis Ende 2012, verlängern. Die Aufbruchstimmung der jungen Konkurrenz beurteilt Leiter Philippe Hersberger positiv: «Wir sind froh, wenn wir mit unserer Einstellung nicht mehr alleine sind, unser Stammpublikum mehr Optionen hat, als jedes Wochenende zu uns zu pilgern. Konkurrenz belebt das Geschäft, davon kann die Kulturstadt Basel nur profitieren.»
Kein Einzelfall: Erstaunlich reife, ja: fast bürgerliche Voten prägen diese neue, pragmatische Partyszene. Statt Anarchie und Autonomie lobt man Jungunternehmertum und Eigeninitiative, statt Staat und Mitkonkurrenten zum Feindbild zu küren, wird die Zusammenarbeit mit Behörden, der Zusammenhalt untereinander gross geschrieben. Denn in einem sind sich alle Befragten einig: Die allgemeinen Rahmenbedingungen für das Basler Nachtleben müssen verbessert werden.
Der Run auf Raum
Einer, der in dieser Hinsicht kein Blatt vor den Mund nimmt, ist Jonas Lottner. «Basel ist ein sehr schwieriges Pflaster für alternative Ausgehorte», meint der ehemalige Betreiber des «Schlachthofs», welcher diesen Sommer seine Tore schloss. «Die Behörden sehen in den Clubs in erster Linie mögliche Problemzonen. Sie verkennen deren grosses Potential: nämlich mit wenig Aufwand das Stadtleben aufzuwerten, Basel attraktiver zu machen.» Längst bedeute Ausgehen keine Flucht mehr vor dem Alltag, im Gegenteil: es gehöre zur Realität der Generation, die mit Techno, Handy und Partyportalen gross geworden sei: «Nur die Politik hat das noch nicht verstanden.»
Zurzeit würden neue Clubs als junge Start-up-Unternehmen mit kaum zu erfüllenden Auflagen überhäuft, kritisiert Lottner – anstelle der Devise «gleiche Spiesse für alle» herrsche oft behördliche Willkür, anstelle guter Rahmenbedingungen kämpfe jeder Betrieb für sich ums Überleben. «Dabei holen die Clubs die Menschen ab, bieten ihnen Raum. Schliessen die Clubs, steht die junge Generation auf der Strasse, die Szene taucht in die Illegalität ab.»
Es sind im Kern immer dieselben drei Problemkomplexe, an denen sich alternative Treffpunkte die Zähne ausbeissen. Erstens: der Mangel an Raum. «Es ist fast unmöglich, eine gänzlich neue Location zu eröffnen», erklärt Lottner, selber seit einem halben Jahr auf Raumsuche. Freie Flächen seien im Stadtkanton knapp, die Boden- und Immobilienpreise dagegen meist zu hoch für alternative Betriebe. Also weichen Partyveranstalter auf Zwischennutzungen aus, die zeitlich begrenzt sind, wo es an Planungssicherheit mangelt. Dabei fehle eine einheitliche Handhabung, ein Leitbild oder Standardprozedere: «Oft fängt jeder Interessent wieder bei null an.»
Feierrausch oder Friedhofsruhe?
Hier kommt der zweite Punkt ins Spiel: das Bewilligungsverfahren. «Es kann nicht sein, dass Zwischennutzungen von ein, zwei Jahren dieselben Auflagen erfüllen müssen wie reguläre Bauprojekte», betont Stadtplaner Philippe Cabane. Doch damit nicht genug: Auch nach der Eröffnung muten die Massnahmen für Sicherheit und Lärmschutz teilweise willkürlich an. Eine Party kann etwa trotz Bewilligung mit einem Anruf bei der Polizei beendet werden – auch wenn sie mit dem gemeldeten Lärm gar nicht oder nur indirekt im Zusammenhang steht. So geschehen kürzlich im «Lokal», wo eine Gruppe grölender FCB-Fans vor dem Haus einen Anwohner auf den Plan rief. Die eben erst angelaufene Party wurde daraufhin von den Ordnungshütern abgebrochen.
«Das ist natürlich Gift für die Reputation eines jungen Betriebs», ärgert sich Kaya. «Aber gleichzeitig symptomatisch für diese Stadt.» Eine völlige Ungerechtigkeit, findet auch Lottner: «Oft wird Primär- und Sekundärlärm überhaupt nicht unterschieden, werden keinerlei Nachmessungen angestellt, ob sich die Emissionen im Rahmen des Erlaubten bewegen.» Ein Querulant oder missgünstiger Konkurrent könne so einen friedlichen Anlass mit mehreren Hundert Besuchern beenden.
Eine Problematik, die auch Mich Gehri, seit Frühling neuer Programmleiter des «Sud» (vormals «Sudhaus») kennt. «Niemand käme auf die Idee, die Polizei zu rufen, weil ein Tram nach Mitternacht zu laut um die Kurve fährt, oder als lärmempfindlicher Mensch neben ein Fussballstadion zu ziehen. Kulturlärm hingegen ist in Basel ein Dauerthema, auch wenn jedes Wochenende Tausende im Ausgang unterwegs sind und es bis zu einem gewissen Grad zum städtischen Dasein dazu gehört.»
Kultur statt Kommerz
Der Berner ortet noch eine weitere Problematik: die Subventionen. «Einerseits ist es toll, dass gewisse Betriebe subventioniert werden. Andererseits schafft es ungleiche Spiesse – und ein falsches Bewusstsein für die tatsächlichen Kosten eines Kulturbetriebs.»
Mich Gehris Aussage stösst bei Basler Clubbetreibern auf offene Ohren – öffentlich will sich aber kaum einer äussern. Zu gross ist die Angst vor negativen Reaktionen, vor Neidvorwurf und Kollegenschelte. Hinter vorgehaltener Hand votieren hingegen viele für ein Umdenken, für Anschubfinanzierungen und Zuschüsse an einzelne Veranstaltungen statt Betriebe.
Heute wird viel innerbetriebliche Quersubventionierung betrieben: Kommerzielle Events ermöglichen experimentelle Abende. Diese Situation kann allerdings auch zum Teufelskreis führen. «Oft mündet es in einer aggressiven Schlacht um grosse Namen», bedauern Kaya wie Lottner. «Die Zusammenarbeit zwischen den Clubs wird so erschwert.» Kleinere Beiträge, niederschwellig und flächendeckend verteilt, würden die Situation entspannen, Veranstalter mit kleinem Budget entlasten – und die Qualität des Nachtlebens allgemein verbessern.
Generation ohne Grabenkämpfe
Eines ist augenfällig: Die junge Generation, die sich erwachsener gibt als ihre Vorgänger, scheint bereit, mit den alten Grabenkämpfen untereinander abzuschliessen. Zwar fehlen ihnen im Vergleich grosse Zukunftvisionen, herrscht bezüglich der Breite des Angebots oft eine gewisse Beliebigkeit oder gar Opportunismus. Doch gerade diese offen-flexible Haltung könnte den Weg frei machen für die bisher vergeblich angestrebte Institutionalisierung der Clubs.
Eine engere Zusammenarbeit, das zeigt die Recherche der TagesWoche, wird von Befragten nicht nur gewünscht, sondern schon praktiziert. So tauschen sich «Hinterhof» und «Das Lokal» über Probleme wie Vandalismus, aber auch über geplante Events aus. «Die Zeit ist reif für einen Club-Verband als gemeinsames Sprachrohr», betont Kaya: «Ein Instrument, das beweist, dass die Clubkultur in der Bevölkerung breit abgestützt ist, dass alle Betreiber am selben Strick ziehen.» Auch Philippe Hersberger spricht sich für die Idee aus, «unter der Bedingung, dass ein neutraler Vorstand gewählt wird, der für einen Ausgleich zwischen den Anbietern sorgt».
«Clubstadt Jetzt!»
Eigentlich sollte sich die bereits bestehende Organisation «Kulturstadt Jetzt» vermehrt für die Clubszene einsetzen, relativiert Lottner. «Doch die Gründung eines ‹Partyverbandes› mit möglichst allen Clubs als Mitglieder wäre sicher interessant. Damit ergibt sich die Chance, ein lebendiges Nachtleben als Standortvorteil herauszustreichen, statt nur mit dem Kulturargument herumzufuchteln.»
Immer schon für eine politische Vertretung der alternativen Szene eingesetzt hat sich Philippe Cabane. Entsprechend zeigt sich der Doyen des hiesigen Nachtlebens erfreut über die Bestrebung der Jungen, die Kräfte zu bündeln. «Sich zu organisieren, Bedürfnisse anzumelden, das ist der Schlüssel zu mehr Mitsprache. Wo kein Druck aufgebaut wird, passiert nichts», lautet sein Fazit. «You got to fight for your right to party», sangen die Beastie Boys vor einem Vierteljahrhundert. Vielleicht stossen diese Forderungen jetzt, wo die Feierszene flügge geworden ist, bald auch politisch auf Gehör.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04/11/11