Die Handys von Teenagern sind verseucht von Sex und Gewalt. So stellen sich das viele Erwachsene vor. Christian Ritter weiss es besser. Der Kulturwissenschaftler erzählt, was er für die Ausstellung «Handyfilme – Jugendkultur in Bild und Ton» herausgefunden hat.
Jugendliche und ihre Smartphones, das ist so eine Sache. Eine Sache, über die sich Erwachsene und die Fachleute viel Sorgen machen. Beim Stichwort «Handyfilme» kommen wilde Assoziationen zu Porno, Cybermobbing oder Happy-Slapping-Zwischenfällen hoch. Doch so hoffnungslos verdorben ist die Smartphone-Welt der Teenies nicht, das zeigt die Wanderausstellung «Handyfilme – Jugendkultur in Bild und Ton» der Universität Zürich, die ab dem 10. Mai in Basel gastiert.
Wir haben mit Kulturwissenschaftler Christian Ritter von der Universität Zürich über Vorstellungen und Realität rund um Handyfilme und Jugendliche gesprochen.
Christian Ritter, was filmen Jugendliche mit ihren Handys?
Die Filme auf den Smartphones sind ebenso vielfältig wie der Alltag der Jugendlichen. Da die Handy-Kamera so gut wie immer mit dabei und einsatzbereit ist, bilden die Handyfilme quasi das gesamte Spektrum des Alltagslebens ab: Von lustigen Tieren im Zoo über Experimente im Schulunterricht, Tanzeinlagen im Ausgang, Wetter-Phänomenen bis zu Blödeleien unter Freunden ist alles dabei. Dabei ist oft nicht nur das Bild, sondern auch der Ton wichtig, etwa beim Filmen von Konzertbesuchen oder, um den Sound eines Sportwagens zu dokumentieren.
Also ist vor allem Alltag zu sehen?
Jein, gefilmt wird alles, was in der Optik der Jugendlichen als aussergewöhnlich und darum als «filmenswert» gilt. Umgekehrt werden gewöhnliche Situationen durch ihre filmische Dokumentation auch zu aussergewöhnlichen Ereignissen gemacht. Das Filmen mit dem Handy stellt also eine Möglichkeit dar, den eigenen Alltag bedeutsam zu machen.
Das Klischee der pornoverseuchten Handys bestätigt sich nicht?
Es gibt diese Filme. Die damit verbundenen Konsequenzen für die Opfer von Mobbing und Missbrauch sind oft besonders gravierend, weil von den Vorfällen ein filmisches Dokument existiert. Nur stellen solche Filme zum Glück Einzelfälle dar.
Weshalb haben Handyfilme dann einen so schlechten Ruf?
Dass Handyfilme in den massenmedialen und gesellschaftlichen Debatten oft negativ diskutiert werden, hat zwei Gründe: Einerseits war das Aufkommen neuer Medien historisch gesehen immer von Ressentiments und Warnungen begleitet, die sich oft an die angeblich besonders gefährdete Jugend gerichtet haben. Das war beim Radio so, beim Fernsehen oder auch bei Comics und zuletzt bei Computerspielen. Dabei geht es auch um die Angst der Erwachsenen, durch fehlende Kenntnisse der neuen Medien Macht und Kontrolle einzubüssen. Andererseits verweist das «Sex and Crime»-Klischee auch auf eine Lust an der Skandalisierung, die der Treibstoff der Boulevard-Medien ist.
Sie haben für die Ausstellung an die 90 Jugendliche zu ihrem Umgang mit Handyfilmen interviewt. Die Jugendlichen haben Ihnen die Filme freiwillig zur Verfügung gestellt. Ist die Auswertung trotzdem wissenschaftlich vollständig?
Dass wir in erster Linie Filme bekommen haben, die den Jugendlichen keinen Ärger einhandeln, ist klar. Für unseren Ansatz ist das aber nicht entscheidend: Uns interessierten gerade diejenigen Filme, die von den Jugendlichen als «gewöhnlich» und «nicht der Rede wert» bezeichnet wurden – die sie aber dennoch machen und auf ihren Handys behalten. Hinzu kommt, dass die jungen Männer und Frauen in den Interviews oft engagiert und detailliert Auskunft über ihren Umgang mit Sex- und Gewaltfilmen gesprochen haben.
«Viele Jugendliche fühlen sich für ihren Umgang mit Handyfilmen vorverurteilt.»
Was haben Sie da erfahren?
Viele der von Handy zu Handy geschickten Pornos stammen ursprünglich aus dem Internet und haben oft skurrile Situationen zum Inhalt. Beim Konsum solcher Filme geht es nicht um sexuelle Erregung, sondern um den Unterhaltungswert. Zudem können sich die Jugendlichen innerhalb ihrer Gruppe als «Insider» positionieren, die den Film kennen. Sich selbst oder andere beim Sex zu filmen und solche privaten Filme auch noch herumzuschicken, kommt für die meisten Jugendlichen überhaupt nicht infrage. Auch Gewaltfilme kennen alle, aber auch hier haben die Jugendlichen betont, dass sie solche Handyfilme nie machen würden.
Was hat Sie bei der Auswertung der Handyfilme überrascht?
Zwei Dinge: Zum einen die eindrückliche Bandbreite der gefilmten Anlässe und Motive, in denen sich ja oft nicht nur der jugendkulturelle Alltag widerspiegelt, sondern auch die Kultur- und Mediengeschichte. Zum anderen waren wir doch etwas überrascht, wie stark sich viele der Jugendlichen die Skepsis und Vorurteile der Erwachsenen gegenüber dem Filmen mit dem Handy zu Herzen nehmen.
Wie meinen Sie das?
Viele der Jugendlichen fühlen sich vorverurteilt, was Handyfilme und ganz allgemein ihren Umgang mit den digitalen Medien wie zum Beispiel Facebook angeht. In den Interviews mit den Jugendlichen ist mir auch eine gewisse Frustration über die pauschalisierte Sicht der Erwachsenen auf Handyfilme begegnet. Nur weil es immer wieder grenzwertige Handyfilme gebe, hätten sie solche noch lange nicht auf ihren Smartphones.
«Das Filmen mit dem Handy hat nichts mit der ‹Vereinzelung› zu tun.»
Keine Gewalt, keine Pornos also, dafür aber Skurriles und Freunde: Warum also greifen Jugendliche zur Handykamera?
Wir haben verschiedene Hauptfunktionen identifizieren können: Die Jugendlichen selbst sagen meist, sie würden zur Kamera greifen, um sich später an die gefilmte Situation erinnern zu können. Dies ist sicher ein zentraler Grund, der als solcher auch aus der Fotografie oder dem analogen Amateurfilm bekannt ist. Daneben gibt es noch weitere Gründe: Handyfilme dienen beispielsweise als Kommunikationsmittel unter den Jugendlichen und auch als Beweis dafür, etwas «tatsächlich» erlebt zu haben.
Und die weiteren Funktionen?
Gefilmt wird auch, um seine besonderen Fähigkeiten festzuhalten und sich den Kolleginnen und Kollegen zu zeigen – etwa beim Sporttreiben oder beim Musizieren. Junge Frauen und Männer nutzen Handyfilme aber nicht nur, um ihr Können zu zeigen, sondern auch als «Werkzeug» zur Selbst-Optimierung, indem sie sich beim Üben filmen lassen. Oft wird das Filmen mit dem Handy auch genutzt, um langweilige Leerstellen im Alltag zu überbrücken und mit Sinn zu füllen: Etwa wenn Jugendliche beim Pendeln in der S-Bahn oder in der Mittagspause gemeinsam kleine Mini-Szenen oder Tanz-Choreografien inszenieren und filmen.
Sie beschrieben die Handyfilme als eine Art sozialen Kitt zwischen den Jugendlichen. Können Sie erklären, wie soziale Beziehungen beim Filmen gefestigt werden?
Der Umgang mit Handyfilmen ist zumeist eine gemeinschaftliche Praxis. Diese beginnt damit, dass sich die Jugendlichen darüber kurz verständigen, ob eine gemeinsam erlebte Situation gefilmt werden soll und durch wen und endet damit, dass die jungen Männer und Frauen gemeinsam den Film anschauen, kommentieren und gegebenenfalls an andere Personen weiterschicken. Sie pflegen und festigen Beziehungen also mit dem Teilen und Anschauen der Filme. Auf jeden Fall hat das Filmen mit dem Handy nichts mit der «Vereinzelung» zu tun, die dem Umgang mit digitalen Medien oft angedichtet wird.
«Die ethischen Massstäbe der Jugendlichen sind oft sehr hoch.»
Reflektieren Teenies eigentlich die Nutzung ihrer Smartphones?
Auf der technischen Seite ist dies bestimmt so, zum Beispiel bezüglich der Qualität der Bild- und Tonaufnahmen. Auf der inhaltlichen und ästhetischen Seite findet jedoch vieles unreflektiert statt. Derzeit ist das gemeinsame Verständnis, wann, was und auf welche Art und Weise etwas gefilmt wird, noch nicht im selben Masse ausdifferenziert, wie dies etwa bei der Handyfotografie der Fall ist. Im Unterschied zum gängigen Klischee reflektieren die Jugendlichen den sozialen Gebrauch des Mediums allerdings relativ weitreichend. Die ethischen Massstäbe der Jugendlichen sind oft sehr hoch.
In Bezug auf was konnten Sie das feststellen?
Wie gesagt distanzieren sich viele Jugendliche von Gewaltvideos und Schlägerfilmen. Viele äusserten Unverständnis, wie man an eine Gewaltsituation heranlaufen kann und dann erst einmal die Kamera zückt, anstatt einzugreifen. Es hat sich hier auch wieder gezeigt, dass es den Jugendlichen wichtig ist, als «seriöse» Mitglieder unserer Gesellschaft wahrgenommen zu werden, die ihre ethischen Massstäbe haben, auch sehr konservative Haltungen einnehmen können und sich zu Unrecht pauschalisiert fühlen.
Angesichts der Massstäbe der Jugendlichen können Sie also in der Ausstellung auf problematische Aspekte des Medienverhaltens verzichten?
Die Ausstellung präsentiert Handyfilme als kreative und soziale Ressource im Alltag von Jugendlichen. Es ist für uns aber klar, dass dabei auch problematische Aspekte Platz haben müssen. Thematisiert werden zum Beispiel die Persönlichkeitsrechte von gefilmten Personen oder die Urheberrechte von Musik. Diese Problematiken tauchen auf dem Radar der Jugendlichen oft gar nicht auf, verweisen aber auf drängende Themen der digitalen Gesellschaft.
Wo ist die Ausstellung zu sehen? Die Ausstellung «Handyfilme – Jugendkultur in Bild und Ton» ist vom 10. bis 31. Mai, jeweils von 10 bis 17 Uhr, in der Medien- und Theaterfalle im Gundeldingerfeld zu besichtigen. Der Eintritt ist frei.
Wie lief das Forschungsprojekt? Das Forschungsprojekt, auf dem die Ausstellung aufbaut, wurde von der Universität Zürich gemeinsam mit der Zürcher Hochschule der Künste durchgeführt. Die Forscher führten dazu Interviews mit 90 Jugendlichen und sammelten 380 Videos.
Wie spannen Kunst und Wissenschaft zusammen? Über die Unterschiede der wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeitsweisen sagt Christian Ritter: «Wir Wissenschaftler stützen unsere Analysen und Datenerhebungen auf relativ strengen methodischen Verfahren ab, um Objektivität zu gewährleisten. Diese Verpflichtung hat die Kunst nicht per se: Die KünstlerInnen können oftmals freier agieren und so ‹Bedeutungspuren› finden, die uns durch die Lappen gehen, denen es sich aber lohnt, nachzugehen. Umgekehrt brachte unser ethnologischer Ansatz die KünstlerInnen dazu, sich weniger isoliert nur mit den Filmen, sondern stärker mit dem soziokulturellen Kontext zu befassen, in dem diese Filme entstehen. Wir haben uns also gegenseitig an der Frage orientiert: Was seht ihr, was wir nicht sehen?»