Momentan ist ja der drohende Weltuntergang hip. Trump, Putin und China brechen den dritten Weltkrieg vom Zaun, das Ökosystem Erde kollabiert und geht in einer Sintflut unter, der Mensch starrt nur noch auf Bildschirme und degeneriert. Viele glauben, dass die einzige Art, das alles zu vermeiden, eine Umkehr ist.
Ähnlich wie sich der Mensch im Christentum bekehren und abwenden muss von den Versuchungen der Welt, soll auch der moderne Mensch sich besinnen und zurückkehren. Aufhören, dem Überfluss zu frönen, aufhören mit dem Autofahren und dem Aufs-Handy-starren. Zurück zur Natur sozusagen.
So sehr ich Einigem von dem zustimme und so sehr gewisse globale Missstände alarmierend sind – ich glaube nicht, dass der Mensch umkehren wird. Ich glaube aber nicht, dass das zwingend schlecht ist.
Der Mensch wird nicht aufhören, fliegen und autofahren zu wollen. Er wird nicht auf die neuesten Gadgets verzichten und schon gar nicht dem Konsum abschwören. Natürlich könnten selbstverursachte und zufällige Katastrophen und Kriege die Menschheit temporär in ihrer Entwicklung zurückwerfen, in der Tendenz strebt der Mensch aber immer nach vorne.
Schluss mit freier Mobilität?
Wer glaubt, der Mensch werde in Zukunft darauf verzichten, wieder und wieder um den Globus zu fliegen, liegt völlig falsch. Mobilität wird in den nächsten Jahrzehnten nach wie vor ein Hauptfokus der Entwicklung sein. Mehr Menschen werden weiter und schneller fliegen (wollen).
Die Lösung für das Klimaproblem wird also nicht der Flugstopp sein, sondern umweltfreundliches Fliegen. Selbiges gilt für den motorisierten Verkehr. Alle Transportmittel werden leichter dank modernsten flexiblen Materialien. Ausserdem wird die Grenze zwischen Auto und Flugzeug fliessender und das Fliegen individueller. Omnipräsente Drohnentechnologie und neue Energiequellen (oder die effizientere Nutzung der bestehenden) werden die Mobilität der Menschen ins für uns heute noch Unvorstellbare steigern.
Statt den Zügel-Service kommen zu lassen, schwebte man ganz einfach mit der ganzen Wohnung an einen neuen Ort.
Auch heute noch starre Objekte werden zunehmend mobiler. So kann ich mir zum Beispiel vorstellen, dass Städte in Zukunft mutieren können. Das heisst: Breite Wohnblöcke ziehen sich tagsüber zusammen, wenn die Bewohner am Arbeiten sind, oder wechseln vom Breit- ins Hochformat und machen somit Platz für den Verkehr, der seinerseits besser koordiniert, fliessender, platzsparender vonstattengehen wird. Die Extremversion davon wären schwebende Gebäude.
Alles wird schweben. Führt man den Gedanken von immer leichter werdenden Materialien, hypermoderner Drohnentechnologie und völlig neuen Energiequellen ins Extreme, könnte ich mir sogar vorstellen, dass auch ganze Städte permanent schweben werden. So liesse sich das Stadtbild auf Knopfdruck ändern, wären Gefahren wie Erdbeben und Flutwellen locker zu bewältigen und statt den Zügel-Service kommen zu lassen, schwebte man ganz einfach mit der ganzen Wohnung an den Ort, wo es einen hinzieht.
Weniger Atomkraft?
So grotesk es klingen mag: Atomstrom könnte die Rettung der Menschheit sein. Blicken wir beispielsweise nach China, wo in den vergangenen Jahrzehnten dank Stromversorgung die Lebensqualität (Hygiene, Gesundheit etc.) von Millionen Menschen gestiegen ist. Will es im selben Tempo wachsen und den Lebensstandard für seine ebenfalls wachsende Bevölkerung weiterhin gewährleisten oder gar steigern (was gerade wir dieser nicht absprechen sollten), muss es die Stromproduktion ausbauen. Tut es das mit Kohlekraftwerken, von denen es noch viele betreibt, sind wir in ein paar Jahrzehnten alle tot.
«Atomstrom, nein danke», rufen heute vor allem Menschen, die eine Waschmaschine als selbstverständlich ansehen.
Es braucht – und deshalb gibt es sie wohl auch bald – sicherere, effizientere und mobile Atomkraftwerke, die nicht nur ohne CO₂-Ausstoss auskommen, sondern auch der technischen Evolution den Antrieb für den nächsten Quantensprung liefern werden. Ich schreibe solche Dinge immer im Bewusstsein, dass die Nebenwirkungen, wie hier zum Beispiel der Atommüll und die Gefahr eines GAU, fatal sein könnten.
Trotzdem, ich stelle mir gerne vor, was es für ein Potenzial wäre, könnte man hochpotente Mikrokraftwerke in Gebiete verfrachten, die noch ohne Strom und somit ohne die Standards auskommen müssen, die wir hier alle gewohnt sind. «Atomstrom, nein danke», rufen heute vor allem Menschen, die eine Waschmaschine, elektrisches Licht und ein Elektrovelo als selbstverständlich ansehen.
Fertig Materialismus?
Gegner des Materialismus können aufatmen (und doch irgendwie nicht), denn viele Objekte werden verschwinden. Während wir heute noch sehnsüchtig auf das neuste iPhone oder die neuste Spielkonsole warten, werden sich in Zukunft viele Gegenstände und Gadgets in Luft auflösen, oder besser gesagt im Cyberspace. (Ein Wort, das es spätestens dann auch nicht mehr geben wird). Das Smartphone wird irgendwie in uns implementiert sein. Viele Alltagsgegenstände werden verschwinden wie einst Kutsche, Schreibmaschine und Walkman.
Die Welt wird sich entrümpeln und paradoxerweise, je moderner und technisierter sie ist, mehr im Einklang mit der Natur sein. Beispiel gefällig? Experimente mit Pilzgewebe zeigen, dass sich daraus lederartiges Material erzeugen lässt, aus dem man dereinst Schuhe, aber auch Möbel und ganze Häuser herstellen könnte. Gleichzeitig wird sich die Architektur immer mehr der optischen und zweckmässigen Symbiose mit der Natur verschreiben.
In fünfzig Jahren wird unser Hirn ein Interface sein, das mehrere Körper gleichzeitig steuern kann.
Einhergehend mit der beschriebenen totalen Mobilität und der Auflösung des Objekts, wird sich auch das Subjekt, also der Mensch, auflösen. Besser gesagt: verteilen. Schon heute ist der Mensch zwar bei der Arbeit, schaut aber gleichzeitig seinem Kumpel bei einem Tauchgang auf den Malediven zu und tätigt parallel Online-Einkäufe.
Dieses Phänomen des gleichzeitig überall Seins wird sich noch verstärken und weiterentwickeln. Rechnet man beispielsweise noch die Fortschritte der modernen Medizin hinzu, ist nicht auszuschliessen, dass unser Hirn in fünfzig Jahren ein Interface sein wird, das mehrere Körper oder Körperteile gleichzeitig an zig Orten auf der Welt steuern könnte. Der Mensch der Zukunft wird nicht mehr an einen Ort gebunden sein, auch nicht an seinen Körper.
Ich könnte zum Schluss noch sagen, dass wir Menschen bald Götzen auf Sesseln sein werden, die sich in digitalen Traumwelten bewegen, während die Maschinen die Evolution weitertragen. Im besten Fall sehen sie uns als Teil ihrer Schöpfungsgeschichte und behandeln uns eben wie Götzen. Dann würde ich wohl definitiv die Grenze zum Wahn überschritten haben.
Aber ich kann euch beruhigen. Das sind alles Gedankenspiele und ich gehe davon aus, dass das Meiste nicht so eintreten wird. Überzeugt bin ich jedoch davon, dass der Mensch unter dem Gallier-Syndrom leidet und immer meint, der Himmel falle ihm auf den Kopf. Vor allem dann, wenn sich die Welt in grossen Schritten Richtung Zukunft bewegt.