Die Wassermassen haben Tod und Zerstörung für Tausende gebracht. Hinter den Opferzahlen stehen Einzelschicksale. Eines davon ist jenes von Marko Dugonjic. TagesWoche-Leser Sven Lützelschwab hat seine Geschichte aufgeschrieben.
Marko Dugonjic ist 21 Jahre alt und studiert Agrarökonomie in Osijek, Kroatien. Dieses Studium ist bei der jungen männlichen Landbevölkerung sehr beliebt, da die Region Slawonien in Kroatien und die Vojvodina in Serbien gerne auch als das Getreidesilo des Balkans bezeichnet werden. Aufgewachsen ist Marko zusammen mit zwei kleinen Schwestern, seinen Eltern und der Grossmutter in Rajevo Selo, einem kleinen kroatischen Dorf direkt am Grenzfluss Sava. Bereits vor 23 Jahren kämpften die Eltern darum, ihr Haus nicht zu verlieren. Im Kroatienkrieg wurde es schwer beschädigt. Die Eltern mussten es aber nie verlassen, sondern konnten sich im sicheren Keller verschanzen.
Doch nun zwang die Flut die Familie, ihr Hab und Gut, das Haus, den Hof und alle Erinnerungsstücke zurücklassen. «Es ist schwer, nicht zu wissen, was davon noch übrig geblieben ist», sagt Marko, als von den Ereignissen der letzten Woche erzählt.
Es war der Freitag vor einer Woche als Marko von seinem Studium in Osijek über das Wochenende zu seinen Eltern zurückkehrte. Der Pegelstand der Sava stieg von Stunde zu Stunde, und die Menschen machten sich alle auf, um den Damm mit Sandsäcken zu verstärken. Auch Marko war mit von der Partie und hat zusammen mit seinen Freunden, die Einheimischen unterstützt. Bis tief in die Nacht schichteten sie Sack für Sack auf den Damm. Am nächsten Morgen feierte seine kleine Schwester die Erstkommunion und die Familie beging den Anlass mit Gästen und einem festlichen Mittagessen.
«Ich versuchte einen älteren Herrn zu erreichen, doch die Strömung wurde immer stärker. Ich musste schauen, dass ich nicht selbst mitgerissen werde. Als ich mich umdrehte, war der Mann in den Fluten verschwunden.»
Nach dem Mittagessen machte sich Marko erneut auf, um den Damm zu verstärken. Um etwa 15 Uhr fuhren Marko und sein Freund wieder zum Dorf zurück. Als die beiden in die Hauptstrasse von Rajevo Selo einbogen, sahen sie, das etwas nicht in Ordnung war. Menschen flüchteten, rannten und schrieen um ihr Leben: Der Damm war gebrochen! An einer Stelle, die als absolut sicher galt, klaffte ein Riss von 13 Metern. Mittlerweile ist die Öffnung 150 Meter breit und über zwölf Meter tief. Marko erzählt: «Der Damm war etwa 100 Meter von den ersten Häusern entfernt, welche in weniger als drei Minuten überschwemmt wurden. Ich habe sofort angefangen, Menschen aus ihren Häusern rauszuholen und ins Trockene zu bringen. Etwa 50 Meter von mir entfernt stand ein älterer Herr. Ich versuchte, ihn zu erreichen, doch die Strömung wurde immer stärker. Ich musste schauen, dass ich nicht selbst mitgerissen werde. Als ich mich umdrehte, war der Mann in den Fluten verschwunden. Bis heute gilt er als vermisst.»
Marko wird Zeuge einer Tragödie. Er begibt sich sofort nach Hause, wo seine Eltern und Geschwister noch immer die Kommunion feiern. Zuhause angekommen, sieht er wie das Wasser bereits in sein Elternhaus eindringt. Sein Vater und er packen die Familie in zwei Autos und fahren weg. Zehn Minuten später steht das Haus unter Wasser. Sie begeben sich in das einige Kilometer entfernte Dorf Zupanja, welches vom Wasser verschont bleibt. Mittlerweile sind alle wohlauf in einem Auffanglager in der örtlichen Schulsporthalle untergebracht. Marko fährt jedoch jeden Tag in sein Dorf und sucht mit einem Boot nach Überlebenden. Zwei Tage lang bringt unter anderem auch totes Vieh aus dem Wasser ins Trockene.
Überforderung alles Beteiligten
Nun, da das Schlimmste vorüber ist, tauchen Fragen auf: Warum hat der Damm, der erst vor vier Jahren renoviert worden war, nicht gehalten?
Marko will niemanden beschuldigen, sagt aber: «Jemand muss für die Katastrophe gerade stehen. Es ist nicht möglich, dass wir tagelang einen Damm verstärken, der zwei Tage später ein paar Hundert Meter weiter an einer ungeschützten Stelle bricht.» Die kroatischen Behörden schieben sich die Verantwortung gegenseitig in die Schuhe. Das Amt, das zuständig ist für die kroatischen Gewässer, lässt verlauten, dass die Dämme nicht dafür gebaut wurden, um solchen extremen Wassermassen standzuhalten. Der Pegelstand sei unerwartet hoch gewesen, die Katastrophe unvermeidlich.
Letztlich war der Dammbruch das Resultat einer Überforderung von allen Beteiligten. Marko kann als Betroffener nicht verstehen, wie es soweit kommen konnte: «Kein einziger Beamter oder Armeeangehöriger war im Dorf, um den Damm mit uns zu verstärken. Es war eine einzige Laienorganisation.»