Was darf man noch glauben von der «grössten Geschichte aller Zeiten»? Der Schweizer Rockmusiker und Filmemacher Luke Gasser hat mehrere Jahre an dem Film «The Making Of Jesus Christ» gearbeitet und Fakten wie Stimmen zur Wirkungsgeschichte Jesu zusammengetragen. Ein subjektiver Filmessay mit einem dezidierten Bildungsauftrag.
«The Making Of Jesus Christ» läuft in einer gekürzten Version am Karfreitag, 29. März, mit anschliessender Diskussion in der Sendung «Sternstunde Religion» auf SRF 1.
Buch zum Film: Luke Gasser, «Sein Gesicht möchte ich sehen», Weltbild-Verlag.
Osternzeit, Jesuszeit. Auch im Film: Während der Feiertage sieht man im Fernsehen regelmässig Jesus von Nazareth sein Kreuz nach Golgotha hoch schleppen. Die «grösste Geschichte aller Zeiten» ist seit den Frühtagen des Kinos ein stets neu verwertetes Thema. Die visuellen Standards gesetzt haben die Monumentalfilme der sechziger Jahre, die Jesus als Friedensstifter inszenierten, aber die Frohe Botschaft hat bis in die Gegenwart Neuaneignungen erfahren: als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, als Zauderer vor seinem Schicksal, als Rockstar.
2013 kommt ein weiterer Beitrag hinzu. Der Obwaldner Rockmusiker und Filmemacher Luke Gasser (47) hat mit «The Making Of Jesus Christ» allerdings keine Neuerzählung des Stoffs geschaffen, sondern richtet seinen Blick hinter die Kulissen und will in Erfahrung bringen, wie diese Geschichte entstanden ist.
Gasser, katholisch getauft und mit dem Wissen um das Christentum aufgewachsen, ist in den vergangenen Jahren mehrmals ins Heilige Land gefahren, hat Bücher gelesen und mit Theologen und Historikern, Bibelwissenschaftlern und interessierten Laien Gespräche geführt. Die Summe seiner Eindrücke und Erkenntnisse hat er in einen eineinhalbstündigen Filmessay verdichtet, der nach der Entstehung der «grössten Geschichte» fragt.
Gassers Blick ist persönlich, und seine Fragen und Thesen, wo sie spekulativ bleiben, sind klar subjektiv gehalten. Dabei bleibt seine Arbeit jedoch nicht stehen, sondern verfolgt auch einen klaren Bildungsauftrag: Vermittlung des Wissens über Jesus für ein säkulares Publikum, dem religiöse Bildung abhanden gekommen ist – mittels der Bildkraft des Mediums Film.
Luke Gasser, Ihr Film ist als «Making Of» tituliert und deutet damit an, eine konstruierte Geschichte zu entlarven. Ist das korrekt?
Nein. Der Filmtitel hat eine provokative Note. Doch mich interessiert das Thema seit meiner Kindheit. In meinem Leben habe ich alle Stadien in der Beziehung zu Jesus Christus durchgemacht, vom Gläubigen zum Zweifler, vom Anhänger einer historisch-kritischen Lesart der Bibel bis zum Skeptiker der akademischen Erforschung des Lebens und Wirkens Jesu, die meines Erachtens derart reduzierend vorgeht, dass kaum mehr etwas von dieser Figur übrig bleibt. Mein Film ist keine journalistische Recherche, die ein mir fremdes Thema erschliesst, sondern ein Ergebnis von Fragen, die mich mein ganzes Leben beschäftigten.
Die Blicke hinter die Kulissen dieser «grössten Geschichte aller Zeiten» gibt es bereits, Archäologie und Bibelkritik befassen sich seit über hundert Jahren mit ihr. Was fügt Ihr Film hinzu?
Das reicht eben nicht. Die kritische Lesart der Bibel hat, könnte man sagen, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Beispielsweise, dass der Autor des Johannes-Evangeliums ein erfundener Autor sei, oder dass die vier kanonischen Evangelien reine Propagandaschriften zur Verbreitung der christlichen Lehre seien. In der Bibelkritik geht man davon aus, dass das älteste Evangelium, dasjenige nach Markus, rund siebzig Jahre nach Christi Geburt verfasst wurde, um der von Jesus angekündigten und kurz zuvor erfolgten Zerstörung des Jerusalemer Tempels den prophetischen Charakter zu nehmen.
Allerdings fussen bereits die Paulusbriefe, die älteren Datums sind, auf den in den Evangelien festgehaltenen Ereignissen. Dass auch ausserbiblische zeitgenössische Chronisten wie Flavius Jospehus oder Tacitus über das Wirken Jesu berichtet haben und man mit den Evangelien über vier biografische Schriften verfügt, die jede seine Wundertätigkeiten erwähnen, ist viel für eine Person ohne führende gesellschaftliche Position zu Lebzeiten.
Sie wollen Jesus als Wundertätigen rehabilitieren?
Nein. Spekulationen sind Spekulationen. Die sind erlaubt, aber man soll sie auch entsprechend kennzeichnen. Ich stelle nur Fragen, und ich diskutiere sie im Film mit einem breiten Publikum, mit katholischen Priestern, Religionswissenschaftlern und skeptischen Theologen wie Eugen Drewermann. Theologisch ist der Film als Coproduktion mit dem Schweizer Fernsehen natürlich auf Herz und Nieren geprüft. Es ist kein Bekenntnis-, geschweige denn ein Sektenfilm.
Der Film kommt zur Osterzeit ins Kino und ins Fernsehen – zu einer Zeit, in der die Medien sich Jahr für Jahr biblischer Themen annehmen. Wozu braucht es Ihren Film?
Die meisten Menschen in unserer Gesellschaft haben das Wissen über die Jesusgeschichte verloren. Wer jünger als Vierzig ist, kennt kaum mehr die Bedeutung von Ostern. An den bisherigen Vorführungen des Films hatte ich Kontakt mit jungen Menschen zu diesem Thema, das übertraf meine schlimmsten Befürchtungen. Die wissen praktisch nichts. Als würde ich mit meiner Mutter über Fussball reden, obwohl sie noch nie ein Spiel im Fernsehen gesehen hat. Was nützt es diesen Menschen, wenn zu Ostern die Zeitungen und TV-Dokumentation mit den neusten Auslegetheorien hervorkommen, mit Thesen, ob Jesus ein politischer Terrorist oder ein Sozialethiker war? Das nützt gar nichts, wenn man die Hintergründe nicht kennt. Deshalb erzählt mein Film die ganze Geschichte von Grund auf.
Man könnte auch ein Buch dazu lesen.
Ja. Ich kann nicht in neunzig Minuten eine versaute Religionserziehung nachholen. Ich kann auch nicht die historisch-kritische Diskussion im Detail nachzeichnen. Aber ich kann Anstösse bieten. Ich weiss von Atheisten, die meinen Film schauten und sich danach eine Bibel kauften. Natürlich nicht, weil der Film sie bekehrt hat, sondern weil ihr Interesse geweckt wurde. Oder ich habe erlebt, dass junge Erwachsene aus dem Kino kamen und erstmals eine Vorstellung vom Leben und Wirken Jesu verinnerlichten. Das war es wert.
Von einem Jesus, wie ihn Luke Gasser sich vorstellt?
Wie gesagt, meine Fragen und Spekulationen sind im Film klar gekennzeichnet. Abgesehen davon bewegt sich der Film auf dem aktuellen Stand der Forschung. Ich wollte aber mehr als eine Gelehrtenversammlung, die Forschung zu Jesus ist verfügbar und derart vielfältig, dass man sich das Wissen auch ohne Theologiestudium aneignen kann. Ich denke, wer sich nicht ständig im akademischen Umfeld bewegt, entwickelt sogar eine kritischeren Blick.
Für den Film kommen Sie ohne die bekannten Bilder nicht aus. Sie sind mehrmals an die Stätten der Bibel gefahren, um vor Ort zu drehen, und haben zentrale Ereignisse der Evangelien nachgedreht. Laufen Sie damit nicht Ihrem eigenen Anspruch zuwider?
Eine Kreuzigung ist eine Kreuzigung, und eine Auspeitschung ist eine Auspeitschung. Man kann das nicht ins Abstrakte variieren. Allerdings haben wir auch hier in den Details die Forschungsresultate ernst genommen, etwa in der Haltung des Gekreuzigten, oder der Länge des Kreuzweges, die ja keineswegs mit der Via Dolorosa in der Jerusalemer Altstadt identisch ist. Die Landschaft vor Ort ist für mich jedoch ein essentielles Element. Landschaft formt Menschen, in Israel wird das sehr eindrücklich klar. Man darf nicht vergessen, dass die Evangelien eine orientalische Geschichte erzählen, mit einer Landschaft, die vor allem in Galiläa zu grossen Teilen noch unverbaut ist. Ein Film soll mit Emotionen arbeiten, und diese Landschaft vermittelt sehr starke Emotionen.