Apokalypse, anschliessend Publikumsgespräch

Gestern fand der Weltuntergang statt. Die Probephase zum Mammutprojekt «Apokalypse 2012» dauerte insgesamt mehrere tausend Jahre. Ob sich der Aufwand gelohnt hat? Die TagesWoche war exklusiv für Sie bei der Premiere dabei. Eine Rezension.
Da waren die Feuer speienden Baby-Robben schon durch: Apokalypse 2012.

Was hatte man sich von diesem Weltuntergang nicht alles an regelrechten Neuanfängen versprochen! Was war nicht alles an Erwartung gepackt worden in diese Apokalypse. «Hope! Change! Death! Soddom!», schalmeite es aus den vorfreudig suizidalen Feuilletons. Nun, sagen wir es gleich vorweg: Überzeugt hat diese Apokalypse leider niemanden. Was als finales Schauspiel des Untergangs angekündigt war, wurde zum plumpen Gedöns im gängigen Mainstream. Aber ganz der Reihe nach. Also: Enter: Apokalütze!
Und da ist sie auch schon. Die Endzeit. Nur: Bereits die erste Enttäuschung lässt nicht lange auf sich warten. Madame Weltuntergang kommt in relativ konventionellem Kleid dahergelatscht. Denn die Apokalypse ist auch hier eintönig schwarz, dunkel, endend. Zudem riecht sie schlecht und ist übelst gelaunt. Auch bei diesem Weltuntergang (Bühnenbild: Rolf Knie) herrscht die gängige Dreifaltigkeit Finsternis und Tod und Elend. Naja. Das ist zwar solid gemachtes Handwerk, aber leider auch nichts wirklich bahn- oder vor allem Genick Brechendes. Das ist noch nicht der grosse Wurf, auf den die verlorenen Seelen der Kritik gehofft hatten. Aber was noch ist, kann ja noch enden, denkt der Pessimist fidel.

Eine gröbere Sauerei

Und, tatsächlich: da und dort torkelt plötzlich noch ein lustiger übriggebliebener Untoter durchs einsame Nichts, und ja, ein paar Milliarden Höllenhunde streunen noch grollend durchs Baselbieter Purgatorium, während vom Himmel zuverlässig Feuer speiende Baby-Robben fallen, flankiert von eigentümlich rudernden Ufos aus angesengtem Schweinefleisch (wahrscheinlich Massentierhaltung). Auch die Sonne ist nur noch ein Häufchen Asche; das Weltmeer lediglich ein Schwall von erstarrter Lava, zwar einwandfrei vermint mit filigranen Schädeldecken von Laktose-intoleranten japanischen Skispringern – Aber sonst? Jenseits der Allgemeinplätze? Jenseits dieses aufwändig zusammengecasteten, aber doch voraussehbaren Geräteparks aus der Hölle? Mit Verlaub, aber sonst ist da leider nicht viel. Alles in allem bleibt dieses Weltuntergangs-Spektakel vor allem eins: Eine gröbere, dabei herkömmliche Sauerei. Und das bis zum bitteren Ende.

Dass so ein Weltuntergang durchaus kein Kindergeburtstag ist, dass in dem Stoff durchaus Potenzial stecken würde, will niemand bestreiten. Aber was einem bei diesem Weltuntergang geboten wird, ist nichts anderes als eine Zumutung für jeden Freund der gepflegten Apokalypse. Geradezu fahrlässig wird etabliertes Personal aus der Fassung gestrichen. Vergeblich sucht man zum Beispiel die Aas fressenden Apothekerinnen, vergeblich hält man Ausschau nach dem Höllenchor der tollwütigen Iltis-Nutten, nirgends auch nur eine Spur des böswilligen Cherubs mit dem blöden Grind. Und was ist, fragt man sich staunend, eigentlich aus der Flutwelle aus Beulen-Eiter geworden? Wo bleibt der geile Luzifer? Der blonde Doktor Tod? Die Degen-Zwillinge? Überall: Fehlanzeige! Die Endzeit zeigt hier Mut zur Lücke – nur ist diese Lücke zum desaströsen riesigen Höllenschlund missraten. Da kann ich nur sagen: Nein!

Häbse machte es besser

Zwar wird bei der dargereichten Apokalypse durchaus munter und fidel in alle Himmelsrichtungen hineingeschrieen, gestorben und verdammt. Ja, es stürzen die Alpen ein, ja, es tanzen die Derwische der Unterwelt auf den verrotteten Eingeweiden unser aller Mütter den Tango, und ja, es wird der ganze Planet zerfräst in siebenhunderttausend Teile, aber, ganz ehrlich: Das hat man auch im Basler Schauspielhaus schon unterhaltsamer inszeniert gesehen  – und zwar mit deutlich weniger Statisten. (Ich sage nur: Solberg! Düggelin! Häbse!)

Überhaupt, das Personal: Dass die Vier Reiter der Apokalypse als freches Fricktaler Damenturnverein-Quartett mit lustig getönten Kurzhaarfrisuren daherkommen, ist zwar ein charmanter Kniff der Regie, doch bleibt es bei diesem einen kurzen Aufblitzen dessen, was man vielleicht noch dramaturgische Finesse nennen könnte. Die Hungersnöte aber: Zum Vergessen. Die Seuchenpest: Durchgefallen. Der Höllensturz: ein plumper Gruss aus der Stanislawski-Küche.

Das, was hier geboten wird, ist eine Apokalypse, die sich längst von ihrem eigentlichen Publikum entfernt hat. Dringlichkeit, oder gar – oho- Relevanz sind hier beim besten Willen nicht zu erkennen. Es bleibt, pardon, bei der reinsten Unterhosenapokalypse. Wenn zum Beispiel die Todesengel das jüngste Gericht als nicht enden wollende Basler Fasnacht exerzieren, fragt man sich, was diese apokalyptische Frau Fasnacht eigentlich nach Harmagedon getrieben hat. Hat sie mal im Bett mit einer lesbischen Freundin gekifft?

Die Macher schwänzten

In medias res: Es gab einmal eine Zeit, da war der Weltuntergang auch in unseren Gefilden noch eine Institution, ein Citoyen. Damals, als der Apokalypse noch eine gesellschaftliche Rolle zukam, als noch nicht jeder dahergelaufene Luzifer meinte, die nächstbeste Szenen-Vorlage irgendeines guatemaltekischen Dschungel-Völkleins auf das ganze Universum ummünzen zu müssen.  Vielleicht hätten sich die Macher der gestrigen Apokalypse erst mal an etwas Übersichtlicheres wagen sollen, an eine handelsübliche Plage vielleicht, an eine Dürre, an die ewige Eiszeit, oder auch ans Gellert. Gerne hätte man den Verantwortlichen diesbezüglich noch ein paar Fragen gestellt, doch hielten es die Macher dieses misslungenen Spektakels offenbar nicht für nötig, am grossmündig angekündigten anschliessenden Publikumsgespräch aufzutauchen.

Nun, um es mit Götz von Berlichingen zu sagen: Mit dieser Apokalypse ist der Weltuntergang definitiv im beliebigen Mainstream angekommen. Die gestrige Apokalypse ist ein Endzeitszenario, das sich, wenn ich hier zum Schluss auch einmal blumig werden darf, als eine Art dümmlicher Delfin der Beliebigkeit im Brackwasser der Popkultur tummelt, und sich schliesslich an der Schiffsschraube der Anbiederung die letale und längst fällige Quittung für seine generelle Einfallslosigkeit einholt.

Eine gute Seite hat die gestrige Apokalypse aber noch durchaus: Denn wäre die Welt gestern nicht  untergegangen, hätten wir wohl bald die Weiterverarbeitung des ärmlichen Stoffes als «Apokalypse – Das Musical – On Ice»  zu erdulden. Insofern: Gut, dass es vorbei ist.

– Der Rezensent vergibt für diesen Weltuntergang zwei mickrige Todessterne und ein deutliches Pfui!

Gabriel Vetter ist Hausautor des Schauspiels am Theater Basel

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