Elmex-Herstellerin Gaba, die ihre Produktion nach Polen verlegt, wird kein Einzelfall bleiben: Weitere Schweizer Industriefirmen werden folgen – bereits jede sechste plant den Wegzug.
Manchmal sind es die Pausen, die mehr sagen als Worte. Eine solche legt Moritz Borer ein nach dem Satz: «Es tut weh, obwohl ich nicht mehr betroffen bin …» Nicht mehr betroffen ist er von der Schliessung der Produktion des Elmex-Zahnpasta-Herstellers Gaba. Weh tut es ihm trotzdem, denn er hat sein halbes Leben in dieser Firma verbracht. 32 Jahre.
Als er in den 1960er-Jahren 26-jährig in die Schweizer Familienfirma eintrat, steckte die Zahnpasta Elmex noch in den Kinderschuhen. Nur 50 000 Tuben musste er damals einkaufen, erinnert er sich. Als er sich mit 58 Jahren als Vizedirektor vorzeitig pensionieren liess, waren es längst Millionen.
Inzwischen ist er schon mehr als zehn Jahre weg, doch das Schicksal der Firma lässt ihn nicht los. Gaba, das war ein Traditionsbetrieb, der sich im hart umkämpften Zahnpasta-Markt einen Platz erkämpft hatte und sich erfolgreich behauptete. Als Angestellter gehörte man nicht zum «Personal», sondern war Mitarbeiterin oder Mitarbeiter.
Sonderschicht nach Feierabend
Immer wieder wurde die Belegschaft zu Ausflügen mit dem Verwaltungsrat eingeladen – als Dank für den geleisteten Einsatz. Und am Abend spielten schon einmal Kinder eines Familienaktionärs auf dem Hackbrett Appenzellermusik vor. «Es war immer eine Wärme vorhanden», erinnert sich der ehemalige Vizedirektor. Als es einmal knapp wurde mit einem Liefertermin, revanchierten sich die Büroangestellten: Nach Feierabend halfen sie freiwillig noch ein paar Stunden in der Produktion aus.
Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Die Aktionäre verkauften Gaba für über eine Milliarde Schweizer Franken vor ein paar Jahren an den amerikanischen Multi Colgate-Palmolive. Dieser gab Anfang November bekannt, die Produktion der Zahnpasta Elmex und der Mundspülung Meridol in Therwil und Lörrach zu schliessen. Die Produktion soll komplett nach Polen verlagert werden. Allein in Therwil verlieren hundert Angestellte ihre Stelle.
Die Massenentlassung sei Bestandteil der von der US-Mutterfirma angestossenen «Effizienzstrategie» und habe nichts mit mangelndem Einsatz der Arbeitskräfte in Therwil zu tun, gab eine Gaba-Sprecherin «20 Minuten online» zu Protokoll. Elmex und Meridol werde es weiterhin geben – an deren Verfügbarkeit ändere sich nichts.
Der Baselbieter Regierungsrat Peter Zwick nimmt die Schliessung des Produktionsstandortes «mit grossem Bedauern zur Kenntnis». Die Gewerkschaft Unia spricht von einem «schmutzigen Stellenabbau» und verurteilt das «verantwortungslose Vorgehen» scharf: Dem Unternehmen Colgate-Palmolive gehe es blendend. Die Schliessung des Produktionsstandorts sei wirtschaftlich nicht notwenig, sondern vielmehr die Folge einer «extremen Gewinnoptimierungsstrategie».
Aufgebrachte Streikende stürmten das Büro des Chefs
Bruno Baumann, zehn Jahre lang Unia-Gewerkschaftssekretär Nordwestschweiz bis diesen Herbst, war schon bei manchem Stellenabbau dabei. Er weiss, was dies für die Betroffenen bedeutet: Oft setzt ein Stellenverlust eine Abwärtsspirale in Gang. Das Geld wird knapp, die psychische Belastung kann ganze Familien auseinanderreissen. Und wer von der Entlassung verschont bleibe, den plage oft ein schlechtes Gewissen.
«Ich mache mir grosse Sorgen um den sozialen Frieden», sagt er. Wie brüchig dieser ist, spürte er hautnah, als er vor gut einem Jahr bei Swissmetal zu Hilfe gerufen wurde. In Dornach drohten Angestellte einer Abteilung nach der angekündigten Massenentlassung zu streiken. Mit deren Forderungen im Sack sprach Gewerkschafter Baumann beim Verantwortlichen vor. Doch dieser habe das Gespräch verweigert, was die Streikenden dermassen aufgebracht habe, dass sie das Chefbüro gestürmt hätten. Die Situation drohte ausser Kontrolle zu geraten. Die aufgebrachte Menge habe sich schliesslich doch noch beschwichtigen lassen. «Ich hoffe, dass sich Arbeiter wehren, aber gewaltfrei», sagt Baumann. Denn er befürchtet, dass in der Nordwestschweiz bald noch mehr Stellen verschwinden werden.
Arbeitsplätze verschwinden
Tatsächlich sind in der Schweiz schon Tausende Industriejobs verloren gegangen. Zwar entstehen in der Region auch neue Stellen, etwa im Life-Sciences-Bereich. Doch dort sind nicht Arbeiter mit flinken Händen gefragt, sondern Arbeitskräfte mit akademischer Ausbildung. Diese Entwicklung bereitet auch Hansjörg Dolder, Leiter des Amtes für Wirtschaft und Arbeit in Basel, Sorgen: «Die Arbeitsplätze in der Industrie verschwinden. Allein in der chemischen Industrie hat sich die Zahl der Arbeitsplätze in den letzten zehn Jahren halbiert.»
Und diese Entwicklung wird sich durch den starken Franken noch beschleunigen, wie eine Umfrage des Markenartikelverbandes Promarca zeigt: Jedes sechste Unternehmen plant, Teile der Produktion in den nächsten zwölf Monaten ins Ausland zu verlegen. Vor drei Jahren waren es noch zwei Prozent (Umfrage auf der Rückseite dieses Artikels). Lieber die Kosten senken statt «Made in Switzerland», heisst die Devise.
Starker Franken beschleunigt Entwicklung
Ähnliche Ergebnisse liefert auch eine Umfrage der Wirtschaftsberatungsfirma KPMG. Nur 57 Prozent der befragten Unternehmen halten am Produktionsstandort Schweiz fest. Hauptgrund, um zu bleiben: Eine neue Produktion im Ausland aufzubauen ist sehr teuer – erst an zweiter Stelle folgt die Stabilität der Schweiz.
KPMG-Industriespezialist Bryan DeBlanc rechnet denn auch damit, dass weitere Schweizer Industriebetriebe ihre Produktion ins Ausland verlegen werden. Der starke Franken beschleunige diese Entwicklung, entscheidend seien aber die hohen Kosten. «Viele Schweizer Firmenchefs wollen weiter hier produzieren. Doch wenn sie von ausländischen Konzernen aufgekauft werden, zählt oft nur noch, wo die Produktionsbedingungen insgesamt am günstigsten sind.»
Bleiben und investieren
Für den Emmentaler Biscuithersteller Kambly hingegen ist ein Wegzug nicht denkbar. «Die Produktion ins Ausland zu verlagern, steht bei uns nicht zur Debatte. Wir sind tief verankert in der Schweiz und gewichten als Familienunternehmen den Standort auch komplett anders als ein internationaler Konzern», sagt Rudolf Winzenried, Mitglied der Kambly-Geschäftsleitung.
Doch auch die Gutzi-Fabrik kommt nicht darum herum, ihre Kosten zu senken, um trotz starkem Franken wettbewerbsfähig zu bleiben. Denn die Hälfte des Umsatzes erzielt sie im Ausland. Doch die Massnahmen sollen nicht zu Lasten der Mitarbeiter gehen: Eine Lohnsenkung komme nicht infrage, heisst es bei Kambly. Stattdessen investiert die Firma in die Produktion mit dem Ziel, die Stückkosten zu senken.
Die Kosten senken will auch der Colgate-Konzern, indem er die Produktion der Zahnpasta-Firma Gaba nach Polen verlagert. Der ehemalige Gaba-Vizedirektor Moritz Borer kann dies nicht verstehen. «Am Ende produzieren wir hier gar nichts mehr, und die Schweiz besteht nur noch aus Versicherungen und Verwaltungen.»
Die Firmengeschichte von Gaba findet sich auf der Rückseite des Artikels oder auf der Website von Radio DRS als Radiobeitrag aufbereitet.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16.11.12