Anders als viele Firmenchefs fordert Anton Gunzinger eine radikale Umsetzung der Energiewende. Aus ökologischen Gründen. Aber auch, weil es ökonomisch unsinnig sei, an fossilen und atomaren Energieträgern festzuhalten, sagt der Unternehmer und ETH-Professor: «Ich habe das gerechnet.»
Anton Gunzinger weiss, wie man für positive Stimmung sorgt. Der 59-Jährige eilt an diesem Tag von Termin zu Termin, lässt sich für unser Gespräch eine knappe Stunde abringen und wirkt trotz allem tiefenentspannt. Ein Lachen zur Begrüssung und ein paar träfe Worte in sympathischem Solothurner Dialekt – die gute Laune des Unternehmers, ETH-Professors und Buchautors ist ansteckend.
Gunzinger entwirft nicht nur hyperschnelle Rechnersysteme für komplexe Aufgaben, er selber ist auf Höchsttempo getaktet. Der Mann spricht doppelt so schnell wie herkömmliche Zeitgenossen; kommt er einmal in Fahrt, dann ist höchste Konzentration gefordert.
Im Zürcher Technopark hat er für seine Firma Supercomputing Systems ein ganzes Stockwerk gemietet. Vom Empfang bis zum Sitzungszimmer gehen wir erst mal gut 70 Meter quer durch ein helles Grossraumbüro. Rund 100 Leute arbeiten hier an Datenmanagement, Sensor- und Messsystemen sowie neuerdings auch an einem umfassenden Smart-Grid-Konzept, mit dem die elektrischen Verteilnetze der Schweiz für die Zukunft fit gemacht werden sollen. Geschlossene Räume gibt es hier kaum, dafür viel Platz. Grosse Gedanken brauchen Raum.
Herr Gunzinger, Sie erhielten in den 1990er-Jahren vom amerikanischen «Time Magazine» als erster Schweizer die Auszeichnung eines «Global Leaders». Wie ist es zu dieser Ehrung gekommen?
Mein Team und ich kamen in den Final im internationalen Wettbewerb für die schnellsten Computer der Welt und wurden Zweite – hinter Intel, aber vor IBM. Weil so etwas für Nicht-Amerikaner sehr aussergewöhnlich war, nahm uns das «Time Magazine» in seine jährlich erscheinende Liste der «100 Future Global Leaders» auf. Das war also eher ein Zufall. Aber noch 20 Jahre später haftet mir diese Ernennung offenbar an. Das Besondere an unserem Computer war aber eigentlich, dass er als damals schnellster Computer der Schweiz 500-mal weniger Energie brauchte als der zweitschnellste, der SX-3 in Manno.
Wie kommt denn ein Sprössling aus einer jurassischen Bauernfamilie dazu, einen Supercomputer zu bauen?
Ich fand es schon als Kind spannend, intelligente Maschinen zu kreieren. Deshalb landete ich an der ETH. Da wollte ich Computer bauen und wählte das auch als mein Dissertationsthema. Es war kein Plan, sondern es ergab sich ganz natürlich aus all dem, was ich vorher gemacht hatte, und aus den damaligen technischen Möglichkeiten, zum Beispiel den ersten Parallelrechnern.
Seit einiger Zeit feiern Sie mit Ihrer Tüftlerei auch kommerzielle Erfolge. Was sind Sie eigentlich mehr, Unternehmer oder Wissenschaftler?
Beides ist für mich interessant. Es fasziniert mich, Lösungen zu finden in Fachgebieten, von denen ich nichts verstehe und in verschiedene Universen einzutauchen, zum Beispiel in das Bahnuniversum oder in die Automobilindustrie, und dort mit den besten Leuten zusammenzuarbeiten. Da lernen wir wirklich, wie Systeme funktionieren. Nehmen wir den Energiebereich: Wir haben nicht einfach irgendwann mal was von einem Smart Grid gehört, sondern wir bauen selbst ein solches und wissen, worauf es ankommt.
In Ihrem neuen Buch «Kraftwerk Schweiz» plädieren Sie für eine rasche Umsetzung der Energiewende. Wie sind Sie zum Thema Energie gekommen?
Ich frage mich seit Längerem, ob wir etwas zur Energiewende beitragen können. Gleichzeitig dachte ich mir immer: Wir sind keine Energiefachleute, das ist nicht unser Thema. Über einen Auftrag des Bundesamts für Energie und dank der Zusammenarbeit mit dem Elektrizitätswerk der Stadt Zürich und der Berner BKW Energie AG kamen wir tiefer mit der Materie in Kontakt, und wir begannen aus reinem Interesse zu simulieren, wie ein sinnvolles Elektrizitätssystem für die Schweiz aussehen müsste. Ich war selbst überrascht über das enorme Potenzial, das auch ohne gigantische Investitionen möglich ist. Je länger ich mich damit befasste, desto klarer sah ich, dass die erneuerbare Energie tatsächlich ausreicht und dass wir künftig auf fossile Energieträger und auf Atomkraftwerke verzichten können.
Die Idee tönt gut. Aber im Kanton Basel-Stadt zum Beispiel hätte man bei einem solchen Plan sofort die Denkmalpfleger am Hals.
Klar. Aber es macht ja auch keinen Sinn, ein paar heimatgeschützte Häuser mit ein paar Quadratmetern Solarpanels zu bestücken. Das ist auch viel zu teuer. Ich spreche von anderen Flächen, von Bauernhäusern oder grossen Flachdächern, wie sie heute alle neuen Bürohäuser haben.
Was ist eigentlich effizienter: Wind- oder Solarenergie?
Es ist die Kombination von Wind, Solarenergie und Biomasse. Hier können verschiedene Kombinationen sinnvoll sein – je nach Situation. Und das ist für mich auch der Punkt, wo die Politik ansetzen muss: Es muss entschieden werden, wie viele Windräder wir bauen wollen, wie viele Biokraftwerke etc.
Glauben Sie wirklich, dass die Schweiz parat ist für Ihre radikalen energiepolitischen Ideen?
In einer «Blick»-Umfrage fanden 25 Prozent der Leserinnen und Leser meine Idee eines Benzinpreises von 10 Franken pro Liter gut. Die Redaktion drehte das Ganze dann um und schrieb: Nur 25 Prozent der Leser fänden das gut. Ich sage: 25 Prozent Zustimmung – das ist doch super! Ich hatte mit einer Ablehnung von 99 Prozent gerechnet. Ich glaube, dass immer mehr Menschen Ja sagen zu sauberer Energie.
Sie legen sich vehement für die Energiewende ins Zeug: als Unternehmer oder als Mensch, der sich um die Umwelt sorgt?
Als Mensch, der sich Sorgen macht. Ich finde, meine Enkel sollten wie ich ihre Zeit in einer lebenswerten Welt verbringen können. Aber auch als Unternehmer, denn ich bin überzeugt davon, dass die Energiewende wirtschaftlich viele Vorteile bringt.