Atompioniere in Basel

Ende der 1950er-Jahre destillierte eine Apparatur im Treppenhaus des Physikalisch-Chemischen Instituts schweres Wasser für die Atomproduktion. Abnehmer des Produkts war auch die französische Armee.

Atomforschung in Basel: Die Anlage im Physikalisch-Chemischen Institut produzierte schweres Wasser. Dieses wurde zur Herstellung von Nuklearenergie genutzt. (Bild: Kurt Wyss)

Ende der 1950er-Jahre destillierte eine Apparatur im Treppenhaus des Physikalisch-Chemischen Instituts schweres Wasser für die Atomproduktion. Abnehmer des Produkts war auch die französische Armee.

Man stelle sich vor: Diese Konstruktion diente der Atomproduktion und stand Ende der 1950er-Jahre mitten in Basel. Mit ihr konnte schweres Wasser aufgrund seines um 1,4 Grad Celsius höheren Siedepunkts vom gewöhnlichen Wasser getrennt und für die Gewinnung von Atomenergie eingesetzt werden.

Die im Treppenhaus des Physikalisch-Chemischen Instituts installierte Destillations­apparatur produzierte innert anderthalb Jahren etwa 120 Kilogramm 99,8-prozentiges schweres Wasser. Zum Vergleich: Der damalige Weltbedarf wurde auf 1000 Tonnen jährlich geschätzt.

Anfänge der Nuklearwissenschaft

Die Basler Pilotanlage wurde vom Bund unterstützt und von der Wirtschaft (Sulzer) auf die industrielle Nutzung geprüft und sollte ein französisches Reaktorzentrum beliefern – Tricastin im damals 4000 Seelen zählenden Ort Pierrelatte in Rhône-Alpes. Die Anfänge der Nuklearwissenschaft galten weniger der zivilen als der militärischen Nutzung. Charles de Gaulle, Präsident der eben gegründeten V. Republik, hatte 1958 beschlossen, sein Land mit einer «Force de frappe» auszustatten – und in Basel betätigte man sich als Zulieferer.

Das Bild erschien am 16. Februar 1959 in ­einer Reportage über die Basler Pilotanlage in der «Schweizer Illustrierten» – in einer Zeit, in der solch Aussergewöhnliches auffallend gewöhnlich daherkam und Journalisten noch mit grosser Selbstverständlichkeit über den Segen des Fortschritts berichten konnten.

Man würde gerne wissen, wer der Mann auf dem Bild ist. Offenbar ist es eine nicht identifizierbare technische Hilfskraft. Als erfinde­rischer Kopf ­zeigte sich in der Reportage Werner Kuhn, ­Or­di­narius für Physikalische Chemie. In den greifbaren Würdigungen – zum Beispiel bei der Verleihung des Marcel-Benoist-Preises im Jahr 1961 – steht zwar viel anderes, aber nichts ­direkt zu diesem Bereich.

Besser als Kommunismus

Im Artikel ist auch nicht vom Professorenkollegen Paul Huber die Rede, der, wie man in seiner Rektoratsrede von 1958 nachlesen kann, in der Kernenergie ein legitimes und nötiges Kampfmittel sah. «Die Gefährdung der Mensch­heit infolge der zunehmenden Radio­aktivität ist unvergleichlich viel geringer als jene infolge der politischen Unterjochung, der persönlichen Entrechtung und der kommunistischen Sklaverei.»

Die Reportage zeigte dagegen Max Thürkauf, der damals Assistent war, dann ebenfalls zum Physikprofessor aufstieg, später aber wegen seiner Opposition gegen Atomkraftwerke in dicht besiedelten Gebieten, zum Beispiel in der Region Basel, seinen Posten aufgab.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 29.06.12

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