Aus dem Foto­archiv von Kurt Wyss: Als die Welt noch in Ordnung war

Etwas haben die Bundesratswahl dieser Woche und jene vor 44 Jahren gemeinsam: Beide fanden am 14. Dezember statt. Sonst aber ist vieles nicht mehr so wie damals.

Vereidigung des neu gewählten Bundesrats im Jahre 1967. Keiner war zurückgetreten, alle sind wiedergewählt worden. Wenn der Eid abgelegt ist, können sie weiterregieren. (Bild: Kurt Wyss)

Etwas haben die Bundesratswahl dieser Woche und jene vor 44 Jahren gemeinsam: Beide fanden am 14. Dezember statt. Sonst aber ist vieles nicht mehr so wie damals.

Wenn man die Kalenderzahl an der Wand lesen könnte, wüsste man es: Es ist der 14. Dezember 1967. Damals war die helvetische Welt noch in Ordnung. Eine neue Legislaturperiode beginnt, Vereinigte Bundesversammlung, alle bisherigen Bundesräte treten zur Bestätigungswahl an, zwar in leicht sonderbarer Aufstellung, das heisst nicht ganz nach Anciennität.

Aus der Sicht des Plenums rechts aussen neben dem Weibel der erst im September 1962 gewählte Roger Bonvin (CVP/VS). Daneben stehen drei Magistraten, die schon im Dezember 1959 bei der Schaffung der sogenannten Zauberformel zu Landesvätern gemacht wurden: Willy Spühler (SP/ZH), Ludwig von Moos (CVP/OW) und Hans Peter Tschudi (SP/BS). Es schliessen an: der im Juni 1961 gewählte Hans Schaffner (FDP/AG), der im Dezember 1965 gewählte Rudolf Gnägi (SVP/BE) und der im Dezember 1966 hinzugekommene Nello Celio (FDP/TI). Der Letzte, wiederum neben einem Weibel, müsste, gleichsam als 8. Bundesrat, der Bundeskanzler Charles Oser (FDP/BS) sein – er gleicht ihm allerdings nicht. Ein parteipolitisch nach der Zauberformel 2:2:2:1 komponiertes und nach regionalen Aspekten die deutsche Schweiz leicht überrepräsentierendes Gremium von Landesvätern.

Der «rote Lord»

Diese Details machen das Bild nicht aus. Man sieht den Magistraten die Landes- und Parteizugehörigkeit nicht an – auch nicht ihre Fähigkeiten. Der Zweite in der Reihe, der Sozialdemokrat Spühler, trug wegen seiner «vornehmen» Erscheinung den Übernamen der «rote Lord» des Zürcher Arbeiterquartiers Aussersihl. Uns geht dagegen ins Auge: Das ist ein reines Männerparlament! Frauen, deren 11, werden erst in der nächsten Legislatur, 1971, einziehen. Heute sind immerhin 67 mit von der Partie.

Die meisten Nationalräte und Ständeräte (hinten entlang der Wand) stehen nicht stramm, sondern wie im Militär oder in der Kirche in Ruhestellung. Es ist schliesslich ein feierlicher Moment. Das kommt in der einheitlichen Haltung zum Ausdruck und signalisiert das Blitzlicht im Hintergrund. Nur einer steht lässig da, wahrscheinlich ein Journalist (aber ebenfalls mit Krawatte) rechts neben der Kamera. Damals alles noch ohne Fahne und Landeshymne, aber mit rigorosem Dresscode: dunkler Anzug, weis-ses Hemd, Kravatte.

Wo bleibt der Eid? Noch wird hier nicht geschworen. Man hätte gerne die Tonspur zu diesem Bild, denn ewig können diese Männer ja nicht so dastehen und sich frontal anschauen. Vielleicht wird gerade die Schwurformel verlesen. Es ist jedenfalls ein wichtiger Moment, sozusagen der Anfang einer Ära, die man, wie gesagt, Legislaturperiode nennt. Im Namen des hier abwesenden und nicht einmal als Tribünenstatisten wahrnehmbaren Volks werden in den folgenden vier Jahren Gesetze gemacht und wird das damals noch in reichem Masse vorhandene gemeinsame Geld ausgegeben.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 16/12/11

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