Friedensapostel nannte man ihn – einige mit spöttischem Unterton. Max Daetwyler, 1886 geboren, 1976 gestorben, zog mit einer weissen Fahne durch die Welt und rief zum Frieden auf.
Man wäre sozusagen vergeblich dort gewesen, wenn man unterwegs in wichtiger Mission an wichtigem Ort war und kein Fotograf dann ebenfalls da gewesen wäre, um der Welt den Auftritt weiterzugeben.
Mit der Friedensfahne um die Welt
Dieser Mann reiste mit seiner Friedensfahne ein Leben lang um die ganze Welt. 1964 war er, wie ein anderes Bild zeigt, auf dem Roten Platz in Moskau. 1962 war er hier in New York und im Vorjahr, wie nochmals ein anderes Bild belegt, in Havanna. Wir wissen fast zufällig, wer diesen Mann ebenfalls fast zufällig hier in New York abgelichtet hat: Es war eben der Basler Fotograf Kurt Wyss nach einer Zufallsbegegnung beim Frühstück in der CVJM-Absteige beim Grand Central Terminal. Der Mann wünschte ein Bild – natürlich vor der Freiheitsstatue.
Kurt Wyss liess es mit sich machen. In Moskau vor dem Kreml und in Havanna vor dem dortigen Kapitol dürfte es kaum der gleiche Fotograf gewesen sein. Für einen Moment fragt man sich, aus welchen Zufallsbegegnungen die Bilder dort entstanden sind. Den Mahatma Gandhi hat der Berufspazifist, der in Zumikon zusammen mit seiner Frau eine kleine Bioproduktion betrieb, gemäss höherer Fügung in Genf vielleicht auch nur zufällig getroffen.
Jeder Rückweg auch ein Hinweg
Hier nun das Bild – ohne Freiheitsstatue – in den weiten und bei dieser Kälte stets leicht dampfenden Schluchten von Manhattan. Hinweg oder Rückweg? Jedenfalls alleine, einsam. Der Mann, Max Daetwyler aus Arbon, bei uns als Friedensapostel bekannt, als Kauz toleriert, darum aber auch nicht ernst genommen und seit seinem ersten Auftritt von 1917 unterwegs. Hier, bereits 75-jährig, befindet er sich auf dem Rückweg. Für ihn ist aber jeder Rückweg auch ein Hinweg. Das Bild entstand an einem 31. Dezember, Silvester, passt also ins heutige Blatt.
31.12.62: Zugleich ist das aber auch eine zeitlose Ikone. Der selbst ernannte Missionar geht, nicht wie ein strahlender Held, mit Blick leicht nach unten und leicht gebeugt, wie ein Kreuz tragender Jesus seinen Weg, ein Fuss fest am Boden, der andere, den nächsten Schritt vorbereitend, bereits leicht abgehoben. In der Linken die Fahne, nicht eingerollt, aber auch noch nicht aufgesteckt. Wie andere Bilder belegen, in der Rechten immer das gleiche Mäppchen mit der gleichen, so einfachen wie ernsten Botschaft unterwegs.
Eine Inkarnation von Lukas 2/14: «Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.» Inzwischen geht nicht mehr Daetwyler, sondern – gleichsam an seiner Stelle – sein Bild weiter um die Welt.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 30/12/11