Aus dem Foto­archiv von Kurt Wyss: L’art pour l’art

Die Geschichte ging um die Welt. Vor mittlerweile über 40 Jahren. Sie umfasste alle emotionalen Elemente, die uns tagtäglich bewegen – bis hin zum bewegenden Happy End. Ein wahres Kunst-Stück in drei Akten: «L’art pour l’art».

Pablo Picasso bei der Auswahl seiner Werke, die er der Basler Bevölkerung aus Freude und Respekt zum Geschenk machte. (Bild: Kurt Wyss)

Basel tickt anders: Selten hat der launige Werbeslogan besser zu dieser Stadt gepasst als 1967.

Die Geschichte ging um die Welt. Vor mittlerweile über 40 Jahren. Sie umfasste alle emotionalen Elemente, die uns tagtäglich bewegen – bis hin zum bewegenden Happy End. Ein wahres Kunst-Stück in drei Akten: «L’art pour l’art».

1. Akt: Am 20. April 1967 zerschellt ein mit 126 Menschen besetztes Flugzeug der Basler Chartergesellschaft «Globe Air» im Landeanflug auf Nikosia. Um sein Flugunternehmen vor dem totalen Absturz zu bewahren, steckt Hauptaktionär Peter G. Staechelin Millionen seines Privatvermögens in den Betrieb. Auch die familieneigene Kunstsammlung, deren wertvollste Stücke als Leihgabe im Basler Kunstmuseum hängen, sind vom «Ausverkauf» bedroht. Für 8,4 Millionen sollen neben anderen bereits verkauften Spitzenwerken auch die beiden Gemälde «Arlequin assis» und «Les deux frères» von Pablo Picasso veräussert werden. Den «Globe Air»-Konkurs verhindern sie nicht.

2. Akt: Zumindest die beiden Picasso-Gemälde sowie die restlichen Leihgaben sollen Basel erhalten bleiben. Sechs Millionen will die Stadt dafür aufwenden; die restlichen 2,4 Millionen sollen durch private Spenden zusammenkommen. Der angestrebte Betrag wird dank unzähligen kleinen «Bettlerfesten» und der Unterstützung namhafter Vereine und Institutionen innert kürzester Zeit erreicht und sogar übertroffen. Nur politisch wird das Vorhaben torpediert. Der Basler Garagist Alfred Lauper sammelt 2035 Unterschriften und erzwingt das Referendum gegen den vom Basler «Geldverschleuderungsverein» – gemeint ist damit der Grosse Rat – beschlossenen Kredit. Das Volk an der Urne jedoch sagt mit 32 118 gegen 27 190 Stimmen Ja. Staunend nimmt die überraschte Restwelt vom einmaligen Resultat Kenntnis.

3. Akt: Gerührt nimmt der grosse Pablo Picasso vom märchenhaften Ausgang der Abstimmung Kenntnis und lädt den damaligen Museumsdirektor Franz Meyer zu sich auf seinen Landsitz in der Nähe von Cannes ein. Dort darf sich Meyer vier Werke des begnadeten Künstlers aussuchen – nicht als Leihgabe, sondern als Geschenk. Fotograf Kurt Wyss ist exklusiv dabei, als Picasso Meyers Auswahl zum Transport nach Basel zusammenstellt. Schöne Bescherung! Applaus! Vorhang.

Was könnten wir aus obigem Kunst-Stück lernen? Sternstunden sind zwar selten, doch jederzeit möglich. Immer vorausgesetzt natürlich, dass sich die Politik zusammenrauft, die Kultur sich nicht vorwiegend im Elfenbeinturm einschliesst, die Wirtschaft weiter als nur an Selbst- und/oder allenfalls an Aktionärsbefriedigung denkt, das Volk sich für seinen Lebensraum über Arbeitsplatz und Haustür hinaus engagiert, die Medien sich nicht fast vorzugsweise und am allerliebsten mit sich selbst beschäftigen, und, und, und … 

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23/12/11

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