Aus dem Fotoarchiv von Kurt Wyss: Feuerwerk, Folklore und Floskeln

Wie patriotisch darf eine 1.-August-Rede sein, damit sie nicht in Selbstgefälligkeit und Eigenruhm endet?

Bundesfeier 1962 beim St.-Jakobs-Denkmal. Die Festansprache hielt der damalige Basler Ständerat Eugen Dietschi. Für den pathetischen Hintergrund inklusive Eichenlaubkranz über dem Haupt des prominenten Festredners sorgte «Landesmutter» Helvetia persönlich (Bild: Kurt Wyss)

Wie patriotisch darf eine 1.-August-Rede sein, damit sie nicht in Selbstgefälligkeit und Eigenruhm endet?

Vorbei sind die Zeiten, in denen strammschenklige Nachwuchsturner am Nationalfeiertag in bengalisch beleuchteten drei- und vierstöckigen Leiber-Pyramiden ihre körperliche Kraft, sprich Wehrfähigkeit, demonstrierten. Vorbei wohl auch die andächtige Stille, in der die versammelte Eidgenossenschaft den markigen Worten der Festredner lauschte, die Winkelried wieder aufleben liessen, den heiligen Bruder Klaus beschworen oder an den unbändigen Widerstandswillen der schon unter General Guisan besten Armee der Welt erinnerten.

Kaum ein Mahnfinger rührt sich mehr, wenn die Kernpassagen der heutigen 1.-August-Reden im Heulen der Heuler und im Krachen der Kracher untergehen wie weiland das Häufchen tolldreister Eidgenossen, das zu St. Jakob einen völlig hoffnungslosen Händel austrug, nur um damit Geschichte zu schreiben und – fast 400 Jahre später – neue, fast ebenso tragische Zwietracht auszulösen, als es darum ging, den Recken von damals ein Denkmal und, da dieses nicht einmal dem Wetter Trutz bot, wenig später sogar noch ein zweites zu setzen.

Doch zurück zu der im Vorspann gestellten Frage: Wie viel Patriotismus ist einer zum reinen Volksfest anmarschierten Bevölkerung am 1. August noch zuzumuten? Wo liegt das berühmt-berüchtigte «landesübliche Mass» zwischen der allgemeinen Lust am reinen Chilbibetrieb und dem durchaus noch legitimen Bedürfnis nach Rückbesinnung im Rahmen einer würdigen Feierstunde? Weg mit dem Jodelchörli? Dem Turnernachwuchs? Den Höhenfeuern? Staatsbegräbnis für den gemeinsam intonierten Schweizerpsalm? Maulkorb für Festredner, wenn doch (fast) keiner mehr hinhören will?

Eigene Identität wichtig

Die moderne Schweiz mit ihrer multikulturellen Ausrichtung in Ehren! Hin und wieder jedoch wäre auch die offene und vor allem überzeugte Darstellung der eigenen Identität ein nicht zu unterschätzender Beitrag zur Integration und zum gegenseitigen Verständnis. Bei aller Zurückhaltung gegenüber scheinbar überholtem Brauchtum: Der 1. August wäre auch heute noch eine ausgezeichnete Gelegenheit, uns so zu zeigen, wie wir einst waren und wie wir heute sind. Zwei verschiedene Feiern bräuchte es dafür nicht.

Was lernen wir daraus? Wer seine eigenen, neben vielen ungelösten Problemen unbestreitbar vorhandenen Qualitäten und Werte widerstandslos aufgibt, nur um nicht aufzufallen oder möglichst gefällig zu sein, demontiert seine eigenen Leitplanken am Weg in die Beliebigkeit.

Fast schon ein Thema für eine zeitgemässe 1.-August-Rede, finden Sie nicht auch? Vielleicht nächstes Jahr.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 03.08.12

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