Die Population der Leseratten scheint offensichtlich nicht erst in jüngster Zeit ernsthaft bedroht.
Mit ihrem Auftritt 1961demonstrierten die Fernseh-Lieblinge Heidi Abel und Mäni Weber (rechts) zusammen mit dem Kolumnisten Hanns U. Christen ihre Freude am guten Buch. (Bild: Kurt Wyss)
Wer hätte in Basel besser für das Lesen interessanter Bücher werben können als ein stadtbekannter Journalist in Gesellschaft zweier ebenfalls am Rheinknie verwurzelter Fernseh- und Radiostars, die mit ihrer Ausstrahlungskraft zu den Lieblingen der Nation avancierten? Wer anders als Heidi Abel, Hanns U. Christen alias «-sten» oder «Mäni national» Weber, die in der Publikumsgunst über ihren Tod hinaus bis heute unvergesslich und mit ganz wenigen Ausnahmen auch unerreicht blieben?
In der Buchhandlung Helbing und Lichtenhahn (später Jäggi, heute Thalia) an der Freien Strasse stellten sie sich als chronisch hungrige Leseratten in den Dienst des geschriebenen und gedruckten Worts. Der Konsum spannender und bildender Lektüre hatte bereits vor über fünfzig Jahren prominente Unterstützung zunehmend nötig.
Kein Zufall, dass die drei Basler Medienprofis auf dem Archivbild von Kurt Wyss mit einem Erinnerungswerk an «Die Gartenlaube» posierten. Diese 1853 in Leipzig erstmals als Familienblatt herausgegebene Zeitschrift galt über Jahrzehnte hinweg als Inbegriff einer gesellschaftlichen Entwicklung, die sich die Bildung breiter Volksschichten als zentrale Forderung des 19. Jahrhunderts zum Ziel setzte.
Eine ständig steigende Leserschaft und ein explodierender Bücher-, Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt waren das Resultat: Literatur, Belletristik, Fachbücher, Broschüren, Kataloge, Zeitschriften, Monatshefte, Wochenblätter, Tageszeitungen und, und, und. Dazu alles, was sich als Schatz oder Schutt elektronisch herbeibeamen, herunterladen und natürlich ebenfalls wieder (aus-)drucken lässt.
Dass das Lesen in seiner unendlichen Vielfalt wesentlich zu unserer Bildung beiträgt, steht ausser Frage. Doch noch nie stand der Mensch der Erweiterung seiner Horizonte derart aussichtlos gegenüber wie heute. Nie zuvor wurde er – und im wahrsten Sinne des Wortes buchstäblich – derart unter Druck gesetzt.
Parallel zu der ins Unendliche gestiegenen Leseflut jedoch scheinen sowohl die Leselust als auch die durchschnittliche Lesekompetenz laufend zu sinken. Die Testergebnisse multikulturell aufgemischter Schülerscharen geben den düsteren Prognosen recht.
Das gedruckte hochdeutsche Wort ist im Vergleich zu den Ausdrucksformen und zum Kommunikationsstil im Alltag zur schwierigsten aller Fremdsprachen geworden, und das bei Weitem nicht nur für uns Dialektinsulaner in der Schweiz.
Was wäre daraus zu lernen? In einem Lexikon für Zitate, Sprichwörter und Redensarten aus dem Jahr 1968 findet sich passend dazu folgender Spruch: «Viel lesen und nicht durchschauen ist (wie) viel essen und nicht verdauen.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12