Aus Gras wird Beton

Die Agglomerationen fressen sich immer tiefer ins Land hinein. Solcher Raubbau an der Natur dürfte eigentlich nicht sein.

Die Horrorvision einer verschandelten Landschaft hing vor 40 Jahren in fast jedem Schulzimmer. Staunend betrachteten wir Kinder die sieben aufklapp­baren Zeichnungen von Jörg Müllers Bildmappe «Alle Jahre wie­der saust der Presslufthammer nieder». Mit detektivischem Eifer fahndeten wir auf den Bildern nach den baulichen Verän­derungen, die ein Dorf allmählich in eine Betonwüste ver­wan­delten – und realisierten nicht, dass die ersten Vorboten der gezeichneten Anti-Utopie direkt vor unserer Haustüre auftauchten.

Ich verbrachte meine Kindheit in Muttenz, einer Gemeinde, die in den 1970er-Jahren einen markanten Wachstumsschub erfuhr, vor allem im Gebiet zwischen dem Bahnhof und der St. Jakobs-Strasse. Hier gingen mei­ne Freunde und ich zur Schule. Vis-à-vis von unserem Wohnblock weideten Schafe, unser Schulweg, eine kleine Schotterstrasse, führte mitten durch Mais- und Kornfelder.

Wenn ich heute meinen ehemaligen Schulweg entlang gehe, sehe ich: Häuschen reiht sich an Häuschen, Carport an Carport, Vorgarten an Vorgarten … Wie Muttenz ging es vielen Gemeinden in den «Speck­gürteln» rund um die grossen Städte. Der Landhunger ist riesig, die Agglo­mera­tionen fressen sich immer tiefer ins Land hinein.

Solcher Raubbau dürfte eigentlich nicht sein. Seit 1969 verpflichtet die Bundes­ver­fas­sung Kantone und Gemeinden zum «haus­hälte­rischen Umgang mit dem Boden», und seit 1980 existiert ein Raum­planungs­gesetz, das der «Verhüslisierung» der Schweiz Schranken setzen soll. Ohne Erfolg.

Mit der Revision des Raumplanungs­gesetzes, über das wir am 3. März abstimmen, will der Bund die weitere Zersiedelung bremsen. Ob das gelingt, ist fraglich. Denn selbst bei einer Annahme der Vorlage bliebe die Entscheidungshoheit, wo künftig was gebaut wird, weiterhin bei den Kantonen und Gemeinden – und die kümmern sich vielerorts lieber um neue Steuerzahler als um den Schutz der Landschaft.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13

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