Die Backstube von Alain Wischlen ist zum letzten Mal ausgekühlt. Die Bäckerei, seit 23 Jahren an der Ecke Dammerkirch- / Burgfelderstrasse, hat die Bilanz deponiert und allen Angestellten per Ende November gekündigt. Heute Freitag um 13 Uhr schloss der Laden. Als Grund für das Aus nennt Wischlen die grosse Baustelle an der Burgfelderstrasse. Und dass man ihn beim Baudepartement nicht unterstützt habe.
«Es war immer mal wieder schwierig in den vergangen Jahren», sagt Alain Wischlen im Gespräch mit der TagesWoche (Mitschnitt zum Nachhören am Ende des Artikels), «meistens wegen Baustellen». Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Wischlens Laden ist seit Ende August umzingelt von baustellenbedingten Verkehrsbeschränkungen.
Seit dem 20. August ist die Burgfelderstrasse in Richtung Frankreich eine Sackgasse. Ab Höhe Felix-Platter-Spital gibt’s zum Luzernerring kein Durchkommen mehr. Glaserberg-, Largitzen- und Dammerkirchstrasse sind ebenfalls Sackgassen, ihre Verbindungen in die Burgfelderstrasse sind mit Bauabschrankungen gekappt. Mitten in diesem vom Baudepartement geschaffenen schwarzen Verkehrsloch: Alain Wischlens Bäckerei, der Veloladen «Brino» und die Burgfelder-Apotheke.
Hoffen auf bessere Zeiten
Alle drei Geschäfte spüren die Folgen der Baustellen seit dem Sommer deutlich. Der eigentlich bereits pensionierte Apotheker hat seinen eigenen Lohn drastisch reduziert, keine Praktikantin und keine neue Lehrtochter eingestellt und einer Mitarbeiterin das Pensum reduziert. So kann er den Umsatzrückgang einigermassen auffangen. «Und ich hoffe einfach auf bessere Zeiten», sagt Peter Kettiger zur TagesWoche.
Für den Veloladen ist Laufkundschaft nicht ganz so wichtig wie für die anderen beiden. Brino spürt aber die Baustellen ebenfalls. Alain Wischlen allerdings hat Konkurs angemeldet. Heute ist der letzte Arbeitstag für seine Angestellten und ihn. «Ich wusste gar nicht, dass da etwas gemacht wird. 10 Tage vor Baubeginn kam der Projektleiter mit einem Zettel und erklärte, ‹so sieht’s aus: Wir sperren die Burgfelderstrasse, und sämtliche Seitenstrassen, Glaserberg-, Largitzen- und Dammerkirchstrasse.› Da bin ich in die Luft und habe gesagt, das könnt ihr nicht machen!»
Konnten sie aber. Am 20. August war Baubeginn, die Sperren wurden errichtet. Die Folge für Wischlen kurz danach: ein täglicher Nettoverlust von mindestens 500 Franken. Denn seine Bäckerei war ein beliebter Zwischenhalt für Pendler aus dem Elsass und andere Laufkundschaft im Auto, auf dem Velo oder zu Fuss. Und die allermeisten blieben seit Ende August aus.
Konnte Alain Wischlen nicht ahnen, was da auf ihn und sein Geschäft zukommt? Marc Keller, Sprecher des Bau- und Verkehrsdepartements, findet klar: Doch! Gegenüber der TagesWoche erklärt er, dass mehrfach allgemein über das Projekt informiert worden sei. Am 6. März habe es einen Anwohneranlass gegeben, zu dem natürlich auch die Bäckerei Wischlen eingeladen gewesen sei. 10 bis 14 Tage vor der Sperrung sei die Bäckerei persönlich begrüsst worden. Und ca. eine Woche vor Beginn der Sperrung habe es ein offizielles Schreiben gegeben.
«Während der Sperrung war das Geschäft grundsätzlich immer auch für Autofahrer zugänglich», so Keller. «Das Tiefbauamt hat diesbezüglich einigen Aufwand betrieben.» Alain Wischlen widerspricht kopfschüttelnd: «Mehr als die Hälfte der Zeit war der Laden nicht zugänglich! Und wenn die Leute nicht mehr herkommen können, egal von welcher Seite, rennen sie vielleicht zwei Mal an und dann gehen sie weiter. Das ist normal.» Dann hätten sich die Leute verlaufen. Niemand sei gewillt von der Flughafenstrasse her zu ihm zu kommen, das sei ein Umweg, der sich nicht rechne. «Letzte Woche kam nicht mal mehr ein Fussgänger zu mir durch.»
Kein Gehör im BVD
Als erste Reaktion auf die Sperrung wandte Alain Wischlen sich im Laufe des Sommers an die Arbeitslosenversicherung und stellte Antrag auf Kurzarbeitsentschädigung. Von dort erhielt er einen negativen Bescheid. Der Kanton sei zuständig, habe man ihm erklärt. Wischlen schrieb also Anfang September an die baselstädtische Regierung und schilderte sein Problem. Einen Monat später erteilte ihm Baudirektor Hans-Peter Wessels ebenfalls eine Absage. Wischlen stellte ein Wiedererwägungsgesuch. Erfolglos.
Datiert auf den 21. November flatterte ihm die schriftliche Begründung ins Haus. Dazu schreibt Marc Keller: «Die Bauarbeiten erfolgten im öffentlichen Interesse und wurden auf ein Minimum beschränkt. Die unvermeidbaren Auswirkungen gehen nicht über das in einer Stadt übliche Ausmass hinaus. Der Kanton sieht deshalb und aus Gründen der Gleichbehandlung in solchen Fällen keine rechtliche Basis für eine Entschädigung. Diese Praxis wird durch das Bundesgericht gestützt.»
Alain Wischlen hat sich die Zahlen zusammen mit seinem Treuhänder genau angesehen. «Am Ende des Monats, als alles abgeschlossen war, sah ich: Monat für Monat sind da mehr als 10’000 Franken minus. Das ging nicht. Da musste ich sagen: Halt, Stop!» Aussicht auf baldige Besserung besteht kaum. Die Sperrung der Burgfelderstrasse in Richtung Frankreich kann vielleicht Ende 2012 aufgehoben werden. Aber danach kommt die andere Strassenseite dran. Dann wird sie für 6 Monate gesperrt in Richtung Stadt.
Alain Wischlen: «Finanziell verkrafte ich das nicht. Ich hab es mir anders vorgestellt, hier aufzuhören. Ich bin 59, ich muss noch 6 Jahre arbeiten. Ich dachte, weil’s jetzt einigermassen lief, ich könnte mit meinem Pensum etwas runterfahren. Ich arbeite bisher 7 Tage die Woche, 10 bis 12 Stunden täglich mindestens, seit Jahren, mache keine Ferien. Dann das.»
Wischlen zeigt nach draussen, zur Baustelle. «Ich könnt ja warten und Schulden machen und die Rechnungen nicht bezahlen, bis mich jemand in den Konkurs treibt. Aber das ist nicht der Sinn der Sache. Es ist mein Geschäft, ich hab bei meinen Lieferanten eingekauft, die haben die Ware geliefert. Ich will nicht, dass jemand darunter leidet. Ich will, dass ich die Löhne und die Rechnungen der Lieferanten zahlen kann bis zuletzt. Darum habe ich die Bilanz deponiert.» Auf den 11. Dezember ist das Verfahren vor dem Konkursrichter angesetzt.
Die offizielle Reaktion mit den Worten von Marc Keller: «Wir nehmen es mit Bedauern zur Kenntnis.»
Keine Illusionen
Wischlens Filiale Ecke Lothringerstrasse / Mülhausertrasse ist ab 1.12. weitervermietet, der Mietvertrag für den Laden an der Burgfelderstrasse läuft weiter bis Ende Mai 2013. Die meisten seiner Mitarbeitenden haben inzwischen eine andere Stelle gefunden. Alain Wischlen war nicht der einfachste Chef, wie man hört. Er arbeitete viel, aber redete wenig im Geschäft. Und wenn, dann war er meistens sehr streng. Ganz anders allerdings, was ab und zu vorkam, wenn er mit einem Teil seiner Angestellten in den Ausgang ging. Dann war er der witzig, riss Sprüche, unterhielt die ganze Runde. «Er hatte zwei Gesichter. Eines als Privatmann, und eines als Chef. Wir waren alle überrascht vom schnellen Ende», erzählt ein Mitarbeiter.
Wie’s für Alain Wischlen selber weitergeht, weiss er noch nicht. Er macht sich keine Illusionen: «Wer nimmt schon einen Mitarbeiter mit 60? Wenn die mit 50 schon Schwierigkeiten haben…!»
Die Lehren aus dem Ganzen fallen diametral unterschiedlich aus, je nach dem, wen man fragt. BVD-Sprecher Marc Keller: «Die Bauabläufe sind im Vorfeld bestmöglich optimiert worden. Das Tiefbauamt hat sich jederzeit absolut korrekt und sehr zuvorkommend um Herrn Wischlen bemüht.» Das Tiefbauamt habe auch für eine Anwohneraktion Grättimänner bestellen wollen, woran Herr Wischlen allerdings kein Interesse gehabt habe. «Es stellt sich hier unserer Ansicht nach nicht die Frage, was das Tiefbauamt anders oder mehr hätte tun sollen, sondern wo die Eigenverantwortung eines Ladenbesitzers liegt.»
Alain Wischlen sagt, er hege gegen niemanden einen Groll. Aber dass sein Lebenswerk so endet, dass hinterlässt bei ihm trotzdem viel Bitterkeit. Sein Laden, seine Bäckerei werden dem Quartier fehlen, bestätigen der TagesWoche mehrere Anwohner. «Ich kenne die Bäckerei und den guten Duft, habe dort schon viel eingekauft», meinte sogar ein leitender Angestellter aus dem Präsidialdepartement. Auch er, wie viele andere im Quartier, werden dieses kleine, aber wichtige Stück Lebensqualität in dieser ansonsten wenig verwöhnten Ecke der Stadt vermissen.