«Basel belegt bei der Architektur einen Spitzenplatz»

Regula Lüscher, oberste Planerin Berlins, stellt der Architektur ihrer Heimatstadt ein gutes Zeugnis aus. Mit Ausnahmen: Der Messeneubau überschreite mit dem Eingriff in den öffentlichen Raum eine Grenze.

Regula Luescher Gmuer, Schweizer Architektin, Stadtplanerin, Senatsbaudirektorin, im Eingangsportal des Maerkischen Museums, Portrait, Einzelportrait, Europa, Deutschland, Berlin, 2011 (Bild: Dominik Butzmann/laif)

Regula Lüscher, oberste Planerin Berlins, stellt der Architektur ihrer Heimatstadt ein gutes Zeugnis aus. Mit Ausnahmen: Der Messeneubau überschreite mit dem Eingriff in den öffentlichen Raum eine Grenze

Senatsbaudirektorin von Berlin heisst der offizielle Titel, den Regula Lüscher seit dem Jahr 2007 trägt. 1961 in Basel geboren, arbeitete sie nach ­ihrem abgeschlossenen Architekturstudium an der ETH in verschiedenen Zürcher Architekturbüros. 1998 wechselte sie in die Verwaltung und stieg im Rekordtempo von nur drei Jahren zur stellvertretenden Direktorin des Zürcher Amts für Städtebau auf. Sie war massgeblich beteiligt an der Umnutzung des ehemaligen Industriequartiers «Zürich West» zum boomenden Wohn- und Dienstleistungsviertel.

Frau Lüscher, Sie sind in Basel aufgewachsen. Welches ist Ihr Lieblingsplatz?

Am Rhein bin ich sehr gerne und am Theaterplatz beim Tinguely-Brunnen. In letzter Zeit bin ich aber nicht mehr so häufig in Basel, und wenn, dann meist nur für zwei, drei Stunden.

Wann waren Sie das letzte Mal hier?

Vor rund sechs Wochen. Wenn ich in der Schweiz bin, besuche ich meine Mutter, die in Basel lebt.

Kommen Sie mit dem Zug?

Ja. Immer.

Wie gefällt Ihnen der Bahnhofsvorplatz?

Das ist kein Platz, auf dem man sich aufhält, sondern ein Verkehrsumschlags­platz.

Auf unseren Online-Aufruf, uns die grössten Fehlplanungen in ­Basel zu melden, wurde dieser Platz am häufigsten genannt. Er sei nicht schön und gefährlich, meinen Leute aus der Community.

Immerhin hat es in Basel an den Rändern des Platzes Hotels, wo man einen Kaffee trinken kann – ein grosser Vorteil gegenüber vielen anderen Städten. Ich persönlich fühle mich auf dem Platz auch nicht unsicher. Aber natürlich muss man bei gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern aufmerksamer sein. Ich kann nachvollziehen, dass Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, sich unsicher fühlen. Dafür hat der Platz den grossen Vorteil, dass er barrierefrei ist.

Es gibt unzählige Tramschienen, die man überqueren muss.

In Basel sind wir verwöhnt, weil wir ein Tram haben. Das Tram ist ein wunderbares Fortbewegungsmittel, aber es hat natürlich grossen Einfluss auf die Gestaltung des öffentlichen Raums: Es tritt – nur schon wegen der Schienen – viel einschneidender auf im Stadtraum als ein Bus. Trotzdem fahre ich viel lieber Tram als Bus.

Was fällt Ihnen sonst noch auf an Basel mit zunehmender Distanz?

Ich kenne die neue Basler Architektur nur noch aus der Entfernung, weil ich in Basel privat unterwegs bin und ­keine architektonischen Sightseeing-Touren mehr mache. Ich kann aber grundsätzlich sagen, dass in den Schweizer Städten an vielen Stellen ein Massstabsprung spürbar wird.

Ein Sprung? Das sehen ehemalige Basler Stadtplaner anders.

Es ist ein Sprung, auch im Vergleich zu Berlin. In ­mittelgrossen Städten wie Zürich, ­Basel oder Luzern hält die Verdichtung in Ballungsräumen Einzug, und bei Neubauten und Neuplanungen wird ein grossstädtischerer Massstab angewendet. Im Gegensatz zu Berlin ist es übrigens in der Schweiz viel selbstverständlicher, in einer zeit­genössischen Architektur zu bauen.

Auch in Basel?

Die Stadt hat eine hohe Baukultur. Viele wichtige Vorhaben laufen über Architekturwettbewerbe. Das ist wichtig, denn Basel ist nicht eimal so gross wie ein einziger der zwölf Bezirke ­Berlins. Damit hat in Basel jedes neue Bauwerk eine sehr grosse städte­bau­liche Relevanz.

Fachleute aus Basel behaupten, dass man hier nicht mit der gros­sen Kelle an­rühren dürfe. Sollen also grosse ­Flä­chen nicht um­gestaltet werden?

Überhaupt nicht. Jede Stadt, die innerstädtische Reserven an Flächen hat, sollte diese nutzen. In Basel hat zum Beispiel das DB-Areal solches ­Potenzial. Hier kann die Stadt noch zusammenhängende Flächen für ein gemischtes Quartier aus Wohnungen und Arbeitsplätzen, für Freizeit und Einkaufen planen. Während sich die Stadtplanung sonst häufig auf punk­tuelle Eingriffe beschränken muss. Auf keinen Fall hätte man das DB-­Areal als Brache liegen lassen sollen.

In einem Interview mit der ­Zeitschrift «Bilanz» (pdf der Gesamtausgabe, Interview Seite 54) nannten Sie New York als Ihre architek­tonische Lieblingsstadt. Weshalb nicht Basel?

Basel ist meine Heimat.

Sie weichen aus.

Heimat bleibt etwas Spezielles. Zur Stadt, in der ich geboren wurde, habe ich einfach eine ganz speziell positive Beziehung. Basel ist Kindheit, meine Jugend und Baseldeutsch meine Sprache.

Und die Architektur?

Wenn es um qualitätsvolle, zeitgenössische Architektur geht, belegt Basel einen Spitzenplatz.

Auch beim Städtebau?

(überlegt lange) Ich finde, dass sich Basel gut entwickelt in den eng gesteckten Grenzen der Stadt. Basel schafft den Spagat, indem sich die Stadt einerseites noch im Massstab an der historischen Struktur orientiert und sich gleichzeitig Neuem stellt und dort einen neuen, grösseren Massstab anwendet.

Mit Ausnahmen, wie dem Messeneubau …

Es gibt immer Ausnahmen. Ich persönlich finde die Überbauung des Messeplatzes auch nicht die gross­artigste städtebauliche Leistung.

Das finden auch viele Architekten.

Ja. Man hat es dort verpasst, vor dem öffentlichen Raum haltzumachen. Damit ist eine Grenze überschritten. Aber zum Glück ist dies eine Ausnahme.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 21.09.12

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