Basel: Kein Platz für alte Leute

Die Leidtragenden von Sanierungen und Massenkündigungen sind häufig ältere Mieter. Sie fallen auf dem Basler Wohnungsmarkt durchs Raster. Das liegt auch an der Politik – und an klischierten Vorstellungen über das Wohnen im Alter.

Wollen nicht ins Altersheim: Margrit Benninger, Urs Wiget und Eliette Pillonel, gekündigte Bewohner der Mülhauserstrasse 26.

(Bild: Nils Fisch)

Die Leidtragenden von Sanierungen und Massenkündigungen sind häufig ältere Mieter. Sie fallen auf dem Basler Wohnungsmarkt durchs Raster. Das liegt auch an der Politik – und an klischierten Vorstellungen über das Wohnen im Alter.

«Alte Bäume verpflanzt man nicht.» Der schöne Satz könnte einer handelsüblichen Zitatefibel entnommen sein, ist er aber nicht. «Alte Bäume verpflanzt man nicht» – dieser Imperativ stammt von Ursi Wiget, Rentnerin, noch wohnhaft im Block an der Mülhauserstrasse 26. 

Wiget wird wie weitere Pensionierte aus ihrer Wohnung an der Mülhauserstrasse 26 geworfen. Sie muss, Stand heute, bis September 2017 eine neue Bleibe gefunden haben. Die Pensionskasse Basel-Stadt als Besitzerin plant eine komplette Entkernung, nicht nur des Sechzigerjahrebaus, sondern auch der Mieterschaft. Nach der umfassenden Sanierung, während der die Wohnungen komplett umgebaut werden, steigt der Mietzins um das Zwei- bis Dreifache. 

Seniorenverband schlägt Alarm

Mit alten Bäumen geht der Basler Wohnungsmarkt derzeit nicht gerade pfleglich um. Nicht nur an der Mülhauserstrasse, sondern in der ganzen Stadt. Beim Mieterverband häufen sich die Krisensitzungen. 14 Massenkündigungen mit mehr als zehn betroffenen Parteien landeten seit 2015 auf dem Tisch von Beat Leuthardt, Leiter der Rechtsabteilung. Betroffen seien sehr häufig alte Menschen, die oft jahrzehntelang in ihrer Wohnung gelebt haben.

Das zumindest sagt der Mieterverband. Vom Kanton werden entsprechende Daten nicht bereitgestellt. Dass die Situation für ältere Menschen derzeit schwierig ist, bestätigt aber auch der Verband 55+, die Dachorganisation für Senioren, der 15’000 Personen in Basel angeschlossen sind. Dort hat man die Problematik zum Kernthema erhoben – und schlägt Alarm. 

Druck auf Regierung steigt

Der Verband sammelt derzeit Fälle und Fakten zum Thema. Hat er alles beisammen, will er an die Regierung herantreten und seine Forderungen stellen. Max Gautschi, Sprecher der Organisation, berichtet von Fällen, in denen Senioren gezwungen waren, die Stadt nach dem Wohnungsverlust zu verlassen, weil bezahlbare und geeignete Wohnungen Mangelware sind. «Wir hören in letzter Zeit vermehrt von Situationen, wo ältere Menschen mit Luxussanierungen konfrontiert werden, die sie zwingen, ihre Wohnung zu verlassen, in der sie 50 Jahre lang gewohnt haben», klagt Gautschi.

Von Politik und Behörden ist das Problem bislang kaum erkannt worden. Die Linkspartei BastA! stösst nun vor und verlangt von der Regierung an der Mülhauserstrasse eine aktive Vermittlerrolle. Die Regierung solle sich dafür einsetzen, dass die Sanierung so ablaufe, dass die Bewohner ihre Wohnungen nicht aufgeben müssen. Denn Massenkündigungen würden dazu führen, «dass vielfach Vertreibung in Pflege- und Heimstrukturen droht, sodass bisherige ‹Nettozahlende› in neue Abhängigkeiten geraten können».

Studie widerspricht Basler Strategie

Doch die Wurzeln des Problems liegen tiefer, namentlich in der Wohnraumstrategie der rot-grünen Regierung. Dort kommen die Bedürfnisse älterer Mieter bestenfalls am Rande vor. Thomas Kessler, Leiter der Stadtentwicklung, sieht sie gewahrt, indem auch auf Alterswohnen spezialisierte Wohnbauträger von Fördermassnahmen profitieren könnten. «Zudem haben ältere Menschen mit bescheidenem Einkommen Anspruch auf Ergänzungsleistungen», sagt Kessler.

Mit staatlicher Unterstützung ins Altersheim – dass diese Strategie falsch sein könnte, dafür gibt es durchaus Hinweise. Eine aktuelle Studie der Hochschule Luzern kommt zum Schluss, dass «die Immobilienbranche Pensionierte klischeehaft einschätzt». Studienleiterin Joelle Zimmerli, die 200 Interviews geführt und vorhandene Erkenntnisse ausgewertet hat, sagt: «Der Wohnungsmarkt braucht keine spezifischen Lösungen für das Wohnen im Alter.» Vielmehr müsse das Älterwerden bei allen Um- oder Neubauprojekten und vor allem bei der Vermarktung und Vermietung mitgedacht werden – «egal ob im hoch- oder niederpreisigen Segment».

Sind mehr Alterswohnungen die Lösung?

In der Studie wird deshalb die Wichtigkeit des intakten Umfelds, der Nachbarschaft, hervorgehoben. So wie die Mieter an der Mülhauserstrasse 26 – sie wollen gerade deshalb bleiben, weil sie sich in ihrer Hausgemeinschaft sicher und gut aufgehoben fühlen.

In Basel scheint der Wert solcher Netzwerke nicht erkannt zu sein. Stadtentwickler Kessler antwortet nicht auf die Frage, ob er derartige Systeme als schützenswert erachte. Bei der SP erkennt man zwar Handlungsbedarf, fokussiert aber auf Alterswohnungen als Abhilfe. Grossrat Tim Cuénod, für das Dossier zuständig, fordert etwa, der Kanton müsse vergünstigtes Alterswohnen ermöglichen. Cuénod will dazu einen Vorstoss einreichen.

Klar ist, alte Bewohner passen nicht in die Gesamtstrategie des Kantons, der dem Aufwertungsdruck in der Stadt vor allem Genossenschaftswohnungen entgegensetzt. Denn diese sind vor allem an potenziell langjährigen Mietern interessiert.

Hoher Sanierungsbedarf

Auf dem privaten Wohnungsmarkt zeigen sich laut Mieterverband derzeit die grössten Probleme im Umgang mit gealterten Mietern. Andreas Zappalà, Geschäftsführer des Hauseigentümerverbands, räumt Schwierigkeiten ein: «Für ältere Menschen ist es schwierig, eine neue Wohnung zu finden. Emotional, aber auch, weil der Wohnungsmarkt für sie begrenzt ist.»

Müsste man bestehende Wohnverhältnisse folglich nicht besser schützen? Nein, findet Zappalà. «Gerade bei Wohnungen, in denen über viele Jahre diesselbe Person gewohnt hat, besteht ein hoher Unterhaltsbedarf», sagt der FDP-Grossrat. Diesem lasse sich besser und schneller nachkommen, wenn die Wohnungen leer sind.

Dass derzeit besonders viel saniert wird, hat für Zappalà zwei Gründe. Zum einen sei das Kapital dafür gerade sehr günstig zu haben, zum anderen gebe es viele ältere Liegenschaften, die eine schlechte Energiebilanz aufwiesen. «Dass wir diese Häuser sanieren, darauf pocht der Kanton doch immer», sagt Zappalà. Und so schliesst sich der Kreis. 

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