Kanton will mehr Rendite und stellt 91-Jährige vor die Tür

Die Mieter an der Mülhauserstrasse 26 werden per Massenkündigung aus ihren Wohnungen geworfen. Der kantonale Liegenschaftsverwalter Immobilien Basel-Stadt will umbauen und mehr Profite erwirtschaften. Betroffen von der Kündigung sind viele ältere Menschen, die seit fast 50 Jahren im Haus wohnen.

Auf Krawall gebürstet: Eliette Pillonel, Urs Wiget und Margrit Benninger kämpfen um ihre Wohnungen an der Mülhauserstrasse, in denen sie seit 48 Jahren leben.

(Bild: Hans-Jörg Walter)

Die Mieter an der Mülhauserstrasse 26 werden per Massenkündigung aus ihren Wohnungen geworfen. Der kantonale Liegenschaftsverwalter Immobilien Basel-Stadt will umbauen und mehr Profite erwirtschaften. Betroffen von der Kündigung sind viele ältere Menschen, die seit fast 50 Jahren im Haus wohnen.

Der Aufstand an der Mülhauserstrasse 26 ist in vollem Gang. In verschiedenen Schriften gestaltet und mehrfarbig prangt er an der gläsernen Eingangstür zum Block. «Herr René Wolf, Immobilien Basel, Sie sind unerwünscht in diesem Haus. Verarschen können wir uns selber. Die Hausbewohner», steht auf dem Blatt Papier.

Verfasst und angebracht hat ihn der 73-jährige Urs Wiget, einer der Rädelsführer der bedrohten Hausgemeinschaft. Herr Wolf, das ist der Vermittler, den die Verwalterin der Liegenschaft Immobilien Basel-Stadt (IBS) eingesetzt hat, ein pensionierter ehemaliger Mitarbeiter des städtischen Immobilienriesens.

Die Botschaft ist eine eigentliche Kriegserklärung. An Herrn Wolf, an Immobilien Basel-Stadt, aber mehr noch an das Prinzip der Renditenmaximierung auf dem Basler Wohnungsmarkt, das sich um persönliche Schicksale nicht schert. 

Befehl auszuziehen

Aber den Krieg erklärt, sagt Wiget, der jahrzehntelang «auf Lift» gearbeitet hat, als Servicetechniker für Aufzüge, «haben nicht wir, das hat Immobilien Basel-Stadt getan». Sämtlichen 22 Mietparteien im Haus hat Immobilien Basel-Stadt, das zu Eva Herzogs Finanzdepartement gehört, Mitte März die Kündigung auf September 2017 ausgestellt. Betroffen sind Familien, vor allem aber ältere Menschen, die teilweise seit dem Bau des Hauses 1968 dort wohnen.

Von der Kündigung erfuhren sie an einer Informationsveranstaltung im Kaffeehaus Mitte durch Vertreter von Immobilien Basel-Stadt. «Wir haben gedacht, sie würden dort bekannt geben, was alles saniert wird. Es wurde ja nie etwas investiert ins Haus», erzählt Margrit Benninger, 91 Jahre alt, pensionierte Sekretärin, Mutter zweier Töchter, Frau des früheren Leiters des Robi-Spielplatzes auf dem Voltaplatz.

Eine Sanierung wurde tatsächlich angekündigt, zugleich aber eben auch der Befehl auszuziehen. «Patsch hat es gemacht», erzählt Benninger und stellt nach, wie sie an der Veranstaltung zusammengesackt war. 

Die Zukunft an der Mülhauserstrasse 26 plant Immobilien Basel-Stadt mit zahlungskräftigeren Mietern. Warum, wird schnell klar, betritt man die Wohnung Benningers im siebten Stock: freie Sicht auf das Rheinknie, die Mittlere Brücke, das Münster. Knapp 1000 Franken Miete bezahlt die 91-Jährige für ihre 3,5-Zimmer-Wohnung.

Nach der Sanierung und dem Umbau – man will Wände einreissen, die Toilette versetzen – dürfte die Wohnung das Drei- bis Vierfache kosten. Genau sagen lässt sich das nicht, die künftigen Mieten sind geheim.

«Ja, es ist günstig», sagt Benninger, es sei aber auch kaum etwas gemacht worden seit ihrem Einzug 1968. 2004 wurden die Fenster ausgetauscht, 2009 ein neuer Lift eingebaut. Als sie einzog, war gegenüber noch die Abteilung Hautverwertung des Schlachthofes angesiedelt. «Das war kein schönes Quartier damals», sagt Benninger, «alle haben uns gefragt, ob wir verrückt seien, dorthin zu ziehen.» 

Die Liegenschaft, die im Besitz der Pensionskasse Basel Stadt ist, war ursprünglich nur Staatsangestellten und deren Familien vorbehalten. Wer einzog, musste verheiratet sein und mindestens zwei Kinder haben. Urs Wiget heiratete eigens, um eine Wohnung zu erhalten.

«Wir stören und müssen raus.»
Urs Wiget, Mieter 

Der Schlachthof ist längst weg, die Chemische stinkt nicht mehr und das St. Johann ist eines der angesagtesten Quartiere der Stadt. Deshalb drängt IBS auf die Sanierung und den Mieteraustausch: Es winken satte Gewinne.

In einer bereits leeren Wohnung im Erdgeschoss hat sich schon der Architekt des Umbaus, ein gewisser Herr Lupo eingerichtet. Dazu schaue regelmässig Herr Wolf von IBS im Haus vorbei. «Jedesmal, wenn er mich sieht, will er wissen, ob ich schon eine neue Wohnung gefunden habe», sagt Benninger zornig. Wolf und Lupo – «das passt», sagt Wiget und lacht los, während die 91-jährige Benninger ihre Hände zu einem grossen Maul formt und damit auf- und zuschnappt. 

Bereits wurden erste Sondierungsbohrungen durchgeführt, Landschaftsgärtner kamen, um den Hinterhof zu vermessen. «Die Botschaft an uns ist klar», sagt Urs Wiget, «wir stören und müssen raus.» Aber noch kämpfen sie dagegen an.

Bald nach der Kündigung meldeten sich Bewohner der benachbarten Wasserstrasse und versprachen Unterstützung. Ein ähnlicher Streit an der Wasserstrasse war dadurch beigelegt worden, dass die Genossenschaft Gnischter das Haus dem Kanton abkaufte. Jetzt wird eine Petition aufgesetzt, werden Transparente geschrieben. Am 12. November will man Kaffee und Kuchen auf der Strasse vor dem Haus servieren und die Quartierbewohner ansprechen.  

Immobilien Basel-Stadt bedauert und begründet die Kündigungen in dieser Stellungnahme: «Die Kündigungen sind unausweichlich»

Zudem laufen unter Anleitung des Mieterverbands zivilrechtliche Klagen gegen die Kündigung und ein Einigungsverfahren vor der Schlichtungsstelle für Mietstreitigkeiten. Diese will Ende Mai 2017 bekannt geben, ob es zumindest eine Fristerstreckung gibt. Der Termin ist so spät, dass sich die meisten Bewohner bereits eine neue Bleibe gesucht haben dürften. Auch das ärgert die Bewohner.

«Die Kündigung hat einen Keil zwischen uns getrieben», erzählt Wiget. Man stritt über das weitere Vorgehen. Neun Bewohner glaubten nicht an einen Erfolg und zogen aus. Dabei habe man zuvor einen grossen Zusammenhalt gelebt. Seit zwanzig Jahren gibt es Hausfeste; wenn ein Mieter Probleme hat, findet er beim Nachbarn Hilfe.

Für die 79-jährige Eliette Pillonel, auch sie wohnt seit 48 Jahren im Haus, ist das der Grund, weshalb sie auf keinen Fall ausziehen will. Eigentlich, erzählt sie, habe sie sich bereits mit ihrem Mann, einem pensionierten Polizisten, für eine Alterswohnung entschieden. Doch der Mann erkrankte schwer und starb vor ein paar Wochen. «Ich habe Angst, alleine zu sein», sagt Pillonel, die bei der Hausgemeinschaft Halt fand. 

Auch Margrit Benninger will nicht raus. Man habe ihr geraten, sich doch gleich vis-à-vis um ein Zimmer zu bewerben im Alters- und Pflegeheim Johanniter. «Aber was will ich dort? Ich brauche keine Pflege und im Kopf stimmt es auch noch», sagt die 91-Jährige und spannt ihre Arme an, um ihre Rüstigkeit zu demonstrieren. Weitergehende Unterstützung bei der Wohnungssuche durch Immobilien Basel-Stadt habe sie keine erhalten.

Von der eigenen Pensionskasse rausgeworfen

Mittlerweile hat sie damit begonnen, ihre Sachen für den Umzug zusammenzustellen, 48 Jahre in Kisten zu packen. Auch Urs Wiget schaut sich nach einer Wohnung um, vielleicht in Deutschland. «Ich hab keine Lust, hier noch meine Steuern zu bezahlen», sagt er, vom Vorgehen gekränkt:

Jahrelang haben die Bewohner an der Mülhauserstrasse 26, Lehrer, Abwarte, Sachbearbeiter, Polizisten, in die Pensionskasse Basel-Stadt eingezahlt. Unterdessen beziehen sie ihre Rente von derselben Pensionskasse – und werden von dieser nun auf die Strasse gestellt. 

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Immobilien Basel-Stadt bedauert und begründet die Kündigungen in dieser Stellungnahme: «Die Kündigungen sind unausweichlich»

Verschärfter Ton: Kampfansage an Immobilien Basel-Stadt an der Eingangstür.

Verschärfter Ton: Kampfansage an Immobilien Basel-Stadt an der Eingangstür. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Artikelgeschichte

Donnerstag, 3.11., wurde die Stellungnahme von Immobilien Basel-Stadt um 16.30 Uhr ergänzt. Die Anfrage dazu ging tags davor um 12 Uhr an IBS.

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