Baselbieter Schule wird zum Spielball von Interessengruppen

Der Baselbieter Lehrerverein kündigt die Lancierung zweier Volksinitiativen an. Damit wächst im ehemaligen Harmos-Pionierkanton die Liste der hängigen bildungspolitischen Volksbegehren. Die Baselbieter Schule läuft Gefahr, zum Spielball politischer Interessengruppen zu werden.

Vor lauter Initiativen droht der schulische Durchblick verloren zu gehen.

(Bild: Nild Fisch)

Der Baselbieter Lehrerverein kündigt die Lancierung zweier Volksinitiativen an. Damit wächst im ehemaligen Harmos-Pionierkanton die Liste der hängigen bildungspolitischen Volksbegehren. Die Baselbieter Schule läuft Gefahr, zum Spielball politischer Interessengruppen zu werden.

Der Basler Erziehungsdirektor Christoph Eymann zeigte sich nach der Abstimmung über die Wahlpflichtfach-Initiative am 28. Februar in Sorge. Dies weniger wegen der Initiative selber, sondern weil er ganz allgemein befürchtet, dass sich durch den Erfolg nun auch andere Interessengruppen motiviert fühlen könnten, ihre Anliegen per Volksinitiative durchzusetzen: «Initiativen sind nicht das geeignete Mittel», sagte Eymann gegenüber der TagesWoche. «Sie bringen, wie sich das in anderen Kantonen zeigt, viel Unruhe in die Schule.»

Mit den «anderen Kantonen» dürfte Eymann vor allem das Baselbiet gemeint haben. Dort ist spätestens seit der Neuwahl der Regierung und damit der Neubesetzung der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion eine wahre Flut von Volksinitiativen zu Bildungs- und Schulthemen lanciert worden. Besonders aktiv im Unterschriftensammeln ist das Komitee Starke Schule Baselland um den streitbaren Lehrer und Landrat Jürg Wiedemann (Grüne-Unabhängige). Es hat schon über ein Dutzend Bildungsinitiativen selber lanciert oder massgeblich mitgetragen.

Drei Bildungsinitiativen an einem Abstimmungs-Wochenende

Am nächsten Abstimmungstermin, dem 5. Juni, wird in Baselland gleich über drei Bildungsinitiativen entschieden:

  • «Verzicht auf kostentreibende Sammelfächer»: Die Parlamentarische Initiative will die im Lehrplan 21 vorgesehenen Sammelfächer auf der Sekundarstufe I verhindern. Einzelfächer wie Biologie, Geschichte und weitere Fächer sollen explizit im Bildungsgesetz verankert werden.
  • «Einführung Lehrplan 21»: Diese Parlamentarische Initiative möchte, wenn auch etwas verklausuliert, genau das Gegenteil von dem erreichen, was ihr Titel verspricht. Konkret geht es darum, die Kompetenzen zur Umsetzung des umstrittenen Lehrplans 21 vom Bildungsrat an den (rechtsbürgerlich dominierten und damit nicht sonderlich reformfreundlichen) Landrat zu übertragen.
  • «Bildungsqualität auch für schulisch Schwächere»: Die unformulierte Volksinitiative will den mit dem Entlastungspaket der Regierung beschlossenen Verzicht auf die Kaufmännische Vorbereitungsschule verhindern.

Frontalangriff gegen Harmos

Das ist aber nur ein Teil der bildungspolitischen Vorlagen, die in Baselland mittelfristig zur Abstimmung kommen werden. Eine der gewichtigsten und symbolträchtigsten Vorlagen dürfte die Volksinitiative für einen «Austritt aus dem überteuerten und gescheiterten Harmos-Konkordat» sein. Pikant ist diese Vorlage, weil damit das Baselbiet, das die Schulharmonisierung als Pionierkanton einst in Gang brachte, nun als einer der ersten Kantone den Austritt beschliessen könnte.

Auch gegen die neue Fremdsprachenregelung auf Primarschulstufe laufen die Reform-Skeptiker im Landkanton Sturm. Dazu hat das Komitee Starke Schule Baselland im Oktober 2015 gleich zwei Initiativen lanciert: Eine fordert den Ausstieg aus dem Passepartout-Fremdsprachenprojekt, die zweite will grundsätzlich verhindern, dass in der Primarschule zwei Fremdsprachen auf dem Lehrplan stehen.

Weitere Initiativen im Köcher

Das waren noch immer nicht alle bereits eingereichten und laufenden Initiativen. Auch der Baselbieter Lehrerinnen- und Lehrerverband kündigt die Lancierung zweier Volksinitiativen an, «die sich gegen eine verfehlte und einseitige Sparpolitik» im Schulbereich wenden. Genaueres möchte der Geschäftsführer und Vizepräsident des Vereins, Michael Weiss, zu den Initiativen, die am Mittwoch, 16. März, der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen, noch nicht sagen. Er verrät nur, dass es bei diesen Initiativen nicht um Partikularinteressen gehe.

Dass eine ganze Reihe von Initiativen zur Debatte stehen, mit denen eben gerade Partikularinteressen verfolgt werden, löst bei Weiss aber keine Abwehrhaltung aus. «Das ist die demokratische Folge davon, dass der Diskurs über die zahlreichen Reformvorhaben in der Öffentlichkeit bis jetzt nicht genügend geführt wurde», sagt er. «Wir haben zwar über einen Beitritt zum Harmos-Konkordat abgestimmt, aber damals wusste man nicht wirklich, worauf wir uns damit einlassen.»

Monica Gschwind hätte gerne mehr Ruhe

Die Bildungsdirektorin Monica Gschwind, die sich selber als Kritikerin des Lehrplans 21 ins Amt hieven liess, gibt sich alle Mühe, etwas Ruhe in die verwirrende Debatte zu bringen. Sie rief deshalb kurz nach ihrem Amstantritt im Sommer 2015 einen «Marschhalt» bei der Umsetzung des Lehrplans auf Sekundarstufe aus, damit sich alle Akteure aus dem Bildungsbereich an einem runden Tisch aussprechen können.

«Das Ziel sind mehrheitsfähige und breit abgestützte Lösungen für unser Bildungssystem im Kanton und letztlich auch die Vermeidung weiterer Bildungsinitiativen», sagte sie am 28. Oktober, als sie vor den Medien eine erste Zwischenbilanz ihrer noch jungen Regierungszeit zog.

Das Ziel, weitere Initiativen zu vermeiden, wurde (noch) nicht erreicht, wird aber nach Auskunft der Mediensprecherin der Baselbieter Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion, Deborah Murith, weiter angestrebt: «Das Ziel der Bildungspolitik von Regierungsrätin Monica Gschwind ist es, in der Zusammenarbeit mit den Anspruchsgruppen dahin zu gelangen, dass die empfundene Notwendigkeit für Initiativen wegfällt», schreibt sie auf eine Anfrage der TagesWoche. «Dieser Weg ist anspruchsvoll und braucht Zeit sowie gemeinsame Erfahrungen.»  

Lehrerverein hat nichts gegen die Unruhe

Die Unruhe wird also wohl noch einige Zeit andauern. Der Lehrerverein empfindet dies nicht als negativ. In der aktuellen Ausgabe der seiner Zeitschrift «lvb-inform» bezeichnet der Präsident Roger von Wartburg die «kollektive Sehnsucht nach Ruhe» gar als «erdrückend».

«Wer weiterhin unbeirrt bildungspolitische Massnahmen hinterfragt, dem wird bald einmal vorgeworfen, durch sein Verhalten Unruhe zu provozieren, ja ein veritabler Unruhestifter zu sein», schreibt von Wartburg. Dabei sind es seiner Meinung nach gerade diejenigen, die gegenwärtig am lautesten nach mehr Ruhe rufen, die «durch ihre reformistische Endlosschlaufe für eine nachhaltige Unruhe an den Schulen sorgten».

 

 

 

 

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