Basler Wissenschaftler nähren die Hoffnung, Autismus bald mit Medikamenten behandeln zu können. Entsprechende Ergebnisse wurden im Fachjournal «Science» publiziert.
Forscher am Biozentrum der Universität Basel haben möglicherweise einen ersten Erfolg in Richtung einer medikamentösen Behandlung von Autismus verbucht. Diese ist bis jetzt nicht möglich. Am Freitag erschien ein entsprechender Artikel im Fachjournal «Science».
Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung des menschlichen Gehirns. Das Gehirn entwickelt sich beim Menschen besonders in den ersten drei Lebensjahren, wenn sich die verschiedenen Bereiche untereinander verbinden und die «neuronalen Netzwerke» entstehen. Neurologen bezeichnen diese Fähigkeit des Gehirns, neue Verbindungen zu schaffen, als «Plastizität». Mit steigendem Alter nimmt diese Plastizität rapide ab; ein Zeichen dafür ist, dass Kinder bedeutend schneller lernen als Erwachsene. Bei Autisten findet der Aufbau der neuronalen Netzwerke lückenhaft statt. In der Folge haben autistische Menschen Mühe, die Regeln und Mechanismen zwischenmenschlicher Kommunikation und sozialem Verhalten zu erkennen. Sie kapseln sich ab und sind stets bemüht, Veränderungen in ihrem Umfeld zu vermeiden.
Eine Forschungsgruppe um die beiden Basler Professoren Peter Scheiffele und Kaspar Vogt stellte sich nun die Frage: Sind diese fehlerhaft entstandenen neuronalen Verbindungen wieder rückgängig zu machen?
Versuche an Mäusen
Die Forscher simulierten an Mäusen solche gestörte neuronale Netzwerke. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Autismus durch eine Reihe von mutierten Genen hervorgerufen wird, eines dieser Gene ist Neuroligin-3. Bei den Versuchstieren am Biozentrum hat man dieses Neuroligin-3 mit einer Art On/Off-Schalter versehen. Verabreicht man den präparierten Tieren ein bestimmtes Antibiotikum, wird das Neuroligin-3 deaktiviert. So kommt es in den Gehirnen der Mäuse zu einer dem Autismus vergleichbaren, gestörten Entwicklung der neuronalen Verbindungen. Die Abschaltung des Gens hat eine erhöhte Aktivität eines bestimmten Rezeptors zur Folge und diese schädigt die Entwicklung des Gehirns.
Nach dem Absetzen des Antibiotikums drosselten die Rezeptoren ihre Aktivität wieder. Zur grossen Überraschung der Forscher korrigierte sich danach die gestörte Entwicklung des Gehirnes – der Beweis, dass eine fehlerhafte Entwicklung der neuronalen Netzwerke rückgängig gemacht werden kann.
Doppelt wertvolle Erkenntnisse
Diese Erkenntnis ist laut Studienautor Peter Scheiffele gleich aus mehreren Gründen eine gute Nachricht. Es bedeute, dass auch bei bereits verminderter Plastizität (die Absetzung des Antibiotikas erfolgte bei den Mäusen im Erwachsenenalter) noch eine Korrektur der neuronalen Netzwerke möglich sei. Zweitens ist der nachweislich grosse Einfluss dieser Rezeptoren erfreulich, weil Rezeptoren einen einfacheren Ansatzpunkt für Medikamente darstellen als Gene. «Denn medizinische Eingriffe direkt in die menschlichen Gene sind wohl erst in mehreren Jahrzehnten möglich», sagt Scheiffele.
«Hoffnung für die Betroffenen»
Professor Klaus Schmeck, Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK), findet die Erkenntnisse seiner Kollegen am Biozentrum «sehr beeindruckend». Im Klinikalltag sehe er täglich das Leid der Familien autistischer Kinder, «sie alle wünschten sich eine medikamentöse Behandlung».
Schmeck gibt aber zu bedenken, von den ersten erfolgreichen Tierversuchen bis hin zu einem marktreifen Medikament sei es ein grosser Schritt. «Wir sprechen von Jahren, nicht von Monaten», sagt der Ordinarius für Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Derweil planen die Forscher um Peter Scheiffele ihre nächsten Schritte: «Nun geht es darum, die verschieden Möglichkeiten einer pharmakologischen Beeinflussung dieser Rezeptoren zu prüfen».