Basler Flüchtlingshelferin Anni Lanz steht vor Gericht

Sie wollte einen schwerkranken Flüchtling zurück in die Schweiz bringen, dabei wurde sie von der Polizei erwischt. Doch Anni Lanz weigert sich, die Strafe zu akzeptieren. Eine Helferikone kämpft.

«Niemand steht über den Menschenrechten»: Anni Lanz kämpft vor Gericht gegen die Schweizer Ausschaffungspraxis.

«Bitte zünden Sie sich eine an», flüstert Anni Lanz. Sie hat das Rauchen aufgegeben, aber das Rauchen sie nicht, also schnuppert sie ein bisschen mit. Lanz, Mitte 70, ikonische Basler Kämpferin für Flüchtlingsrechte, sitzt in einem Café im Gundeli auf der Aussenterrasse und streckt den Kopf in den Rauch.

Eigentlich hat sie genau das schon immer getan: sich dahin gestellt, wo es brennt. Anni Lanz kämpft unermüdlich für die Rechte von Flüchtlingen, sie besucht sie in Gefängnissen, organisiert unbürokratische Hilfe. 2004 hat sie für ihr Engagement die Ehrendoktorwürde der Universität Basel erhalten. Sie steht seit über 30 Jahren bei den Brandherden der Schweizer Asylpolitik.

Ausschaffung trotz Arztzeugnissen

Und manchmal auch mittendrin: Anni Lanz ist im Kanton Wallis angeklagt, weil sie einem Flüchtling über die Grenze helfen wollte. Die Staatsanwaltschaft hat eine Busse ausgesprochen, doch Lanz hat sie nicht akzeptiert. Jetzt muss das Gericht ihren Fall verhandeln. Und ihren Anspruch, notleidenden Menschen zu helfen – auch mal ausserhalb des nationalen Rechts.

Die juristische Eskalation beginnt mit einem Gefängnisbesuch im Februar dieses Jahres. Lanz trifft im Basler Ausschaffungsgefängnis Bässlergut den Afghanen Tom*. Sie schildert ihn in einem Gastbeitrag für die WOZ und den «Infosperber» als «schwer traumatisiert und psychisch krank». Tom soll mehrere Selbstmordversuche hinter sich haben, gleichwohl wollen ihn die Schweizer Migrationsbehörden nach Italien ausschaffen. Dort wurden seine Fingerabdrücke registriert, ein Asylgesuch hat er in Italien nicht gestellt.

Das Bundesgericht bestätigt die Ausschaffung, obwohl mehrere Arztzeugnisse dringend davon abraten und eine Aufnahme des jungen Afghanen empfehlen. Er solle bei seiner Schwester bleiben können, die in der Schweiz lebt.

Sechs Tage nach dem Besuch von Lanz wird Tom per Flugzeug nach Mailand ausgeflogen. Das Aufnahmezentrum akzeptiert ihn allerdings nicht, da er kein Asylgesuch gestellt hat. Tom versucht daraufhin, mit dem Zug zurück in die Schweiz zu gelangen. Grenzwächter entdecken ihn, holen ihn aus dem Zug, bringen ihn nach Domodossola zurück. Dort verharrt er tagelang im Bahnhof, in Eiseskälte und ohne jegliche Betreuung.

Erfrierungen am ganzen Körper

Als Anni Lanz davon erfährt, fährt sie sofort nach Italien und macht sich auf die Suche nach Tom. Sie findet ihn in einem Versteck am Bahnhof, den Körper übersät mit Erfrierungserscheinungen. Lanz nimmt Tom mit, will ihn mit dem Auto in die Schweiz bringen. In Gondo stoppt die Grenzpolizei ihren Wagen. Sie erhält ein Strafverfahren aufgebrummt, Tom wird nach Domodossola zurückgebracht.

Später erhält sie Bilder zugeschickt von Tom. Er wurde in Italien nach schwerer Selbstverstümmelung in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, wo er medikamentös behandelt wird. Auf ein Asylverfahren wartet Tom nach wie vor, und die Klinik will ihn entlassen, weil sie notorisch überbelegt ist.

Dagegen, sagt Lanz, mute ihre Strafe lächerlich an. Trotzdem akzeptiert sie den Strafbefehl gegen sie nicht. 300 Franken Busse hätte sie bezahlen müssen für die Förderung eines illegalen Grenzübertritts, dazu 400 Franken Gebühren. Dagegen hat Lanz Beschwerde eingelegt.

Auch eine Aufsichtsbeschwerde hat Anni Lanz eingereicht. Beim Baselbieter Sicherheitsdirektor Isaac Reber, weil der Afghane Basel-Landschaft zugeteilt war. Dort sei man der Auffassung, Tom hätte nie ausgeschafft werden dürfen, erzählt Lanz. Nach der Beschwerde wurde sie zum Gespräch mit Rebers Generalsekretär Stephan Mathis eingeladen. Mathis habe sich erschüttert gezeigt über die Situation von Tom, sagt Lanz. Gleichwohl hätte der Kanton kaum intervenieren können, weil Asylentscheide in die Kompetenz des Bundes fallen.

Anni Lanz kann die Sache nicht ruhen lassen. Im Wallis will sie vor Gericht das Schweizer Asylsystem anprangern. «Ich will die unmenschliche Dublin-Praxis kritisieren», sagt sie. Dabei wird sie als Argument anführen, was für sie immer oberste Handlungsmaxime war. Nicht der Schweizer Rechtsrahmen oder behördliche Anordnungen – sondern die Menschenrechte. «Niemand steht darüber», sagt sie.

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