Der Basler Staatsanwalt Alberto Fabbri will mit harten Strafen Einbrecher und Diebe abschrecken. Das Baselbiet will sich dem Trend anschliessen. Genf ist einen anderen Weg gegangen – mit Erfolg.
Es war ein Dutzendfall, als vor Kurzem ein Dieb in Basel ein Portemonnaie mit 60 Franken klaute und dabei erwischt wurde. In seinen Akten liess sich bloss eine alte Vorstrafe aus dem Ausland finden, nachweisen konnte man ihm nur den einen Diebstahl. Er hatte eine empfindliche, aber abgewogene Strafe zu befürchten: eine Geldstrafe, bei einem besonders strengen Richter bedingt Gefängnis. Doch der Dieb hatte Pech. Er zählt zu einer Täterschicht, für die in Basel andere Regeln, andere Massstäbe zu gelten scheinen als für den Rest: Er wurde als Kriminaltourist eingestuft. Ein ausländischer Tunichtgut, der nur aus einem Grund nach Basel kommt: um die Leute hier nach Kräften zu erleichtern.
Der Dieb war damit nicht mehr nur Dieb, er war ein Phänomen unserer Zeit, dem mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln beizukommen ist. Den Hintergrund bildet die seit Monaten hochtourig laufende Sicherheitsdebatte in Teilen der Basler Medien und Politik, die man als Wahlkampfgeheul oder als Aufschrei der Gesellschaft interpretieren kann, je nachdem wie es einem in den Kram passt.
Die Basler Staatsanwaltschaft, seit über einem Jahr unter der Führung des CVP-Mitglieds Alberto Fabbri, verknurrte den Mann per Strafbefehl, einem Expressverfahren, zu sechs Monaten Gefängnis unbedingt. Sie argumentierte, er komme aufgrund seiner Vorgehensweise für eine Reihe weiterer Delikte als Täter infrage. Es blieb bei der Anschuldigung, Beweise konnte die Stawa keine präsentieren.
«Äusserst extrem»
Annina Gegenschatz hat den Dieb als amtliche Verteidigerin vertreten. Ihr Mandant sei vorverurteilt worden, sagt die Basler Anwältin. «Nur weil einer auf der Durchreise ist, kann nicht leichtfertig angenommen werden, er sei einzig gekommen, um zu stehlen», sagt sie. Gegenschatz hat das Urteil angefochten. Die verhängte Strafe stuft sie als «äusserst extrem und nicht verhältnismässig ein».
Der frühere Basler Gerichtspräsident und Strafrechtler Peter Albrecht teilt diese Einschätzung: «Sollte der verurteilte Täter nicht zum x-ten Mal gestohlen oder Gewalt angewendet haben, scheint mir – ohne den Fall im Detail zu kennen – die Strafe als massiv übersetzt.» Eine Geldstrafe wäre angebracht gewesen, sagt Albrecht.
Die Stawa begründet ihr hartes Urteil auf Anfrage so: «Relevant für die Strafzumessung ist eine Vielzahl von Faktoren, die in der Person und/oder der Tat liegen können.»
Gleich ist nicht gleich
Gegenschatz hat eine Begründung, die nicht in den Falldetails liegt. Sie ist überzeugt, dass «das kein Einzelfall» war. In den letzten Monaten habe die Stawa die Schraube stark angezogen. Sogenannte Kriminaltouristen würden für die gleichen Delikte deutlich härter bestraft als Schweizer oder Ausländer mit Wohnsitz in Basel. «Es handelt sich um Ungleichbehandlung», sagt sie.
Der aufs Strafrecht spezialisierte Basler Anwaltskollege Nicolas Roulet will zwar keinen neuen Trend ausgemacht haben – dafür kenne er zu wenige Fälle. «Aber es ist schon auffällig, dass in Basel für relativ simple Sachen sehr harte Strafen verhängt werden», sagt Roulet.
Gegenschatz hat eine gewagte Vermutung für dieses Vorgehen: «Es gibt keinen Straftatbestand ‹Kriminaltourismus› in der Schweiz. Durch eine exzessive Rechtsprechung will die Basler Staatsanwaltschaft einen solchen durch die Hintertüre etablieren.»
Abschreckung unzulässig
Die Stawa weist diesen Vorwurf zurück. Angesichts der Grösse von Basel-Stadt sei nicht ersichtlich, «dass und wie die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt eine neue Rechtsprechung in welchem Bereich auch immer erzwingen könnte».
Ein Sonderpassus für Kriminaltouristen wäre auch «schlicht nicht zulässig», sagt Strafrechtsprofessor Marcel Niggli im Interview mit der TagesWoche. Einerseits müsse die Strafe für Schweizer und Ausländer gleich sein, anderseits orientiert sich die Strafzumessung am Delikt. «Ein Gericht kann nicht sagen: Die Schuld des Täters ist zwar X, wir bestrafen aber X+Y, damit alle sehen, dass wir hart durchgreifen.»
Überhaupt ist es gemäss Niggli problematisch, wenn Gerichte strengere Urteile sprechen als Reaktion auf die Kriminalitätsstatistik. Und diese ruft in Basel nach Massnahmen. Die Zahl der Diebstähle ist im vergangenen Jahr um 15 Prozent gestiegen – nachdem sie zuvor stets zurückgegangen war. Wie stark der Kriminaltourismus dafür verantwortlich ist, wird durch die Statistik nicht ersichtlich. Klar ist nur, dass 2011 jede fünfte Straftat im Kanton von einem Ausländer ohne Wohnsitz in der Schweiz verübt wurde.
An die Grenze gestellt
Doch ob Abschreckung tatsächlich als probates Mittel taugt, ist höchst umstritten. Untersuchungen aus den USA deuten jedenfalls daraufhin, dass nur bessere Polizeiarbeit etwas bewirkt. Basel setzt dennoch eher auf Abschreckung, wie der Fall des Portemonnaie-Diebes dokumentiert. Dieser wurde seltsamerweise wenige Tage nach Haftantritt entlassen und mit einem Einreiseverbot an die Grenze gestellt. Die Botschaft: Trau dich ja nicht wiederzukommen, sonst buchten wir dich ein.
Ein weiteres Problem der überharten Basler Linie: Sie wird zum Vorbild genommen. Auch der Kanton Baselland hat im Einbruchbereich schwere Defizite – allerdings anderer Natur. Das Baselbiet weist schwindelerregend tiefe Aufklärungsquoten auf. Im Bereich Diebstahl wurden 2011 gerade mal 10 Prozent der Täter erwischt. Zum Vergleich: Die Kollegen in Basel konnten immerhin jeden vierten Diebstahl aufklären.
Trotzdem nimmt Polizeikommandant Daniel Blumer weniger die eigenen Leute in die Pflicht als vielmehr Stawa und Gerichte. Für ihn ist klar, dass hohe Strafen helfen, Verbrechen vorzubeugen: «Harte Gerichtsurteile haben eine abschreckende Wirkung. Wir müssen Kriminaltouristen solange wie möglich drinbehalten.» Wenn der Kanton Baselland zurückhaltender urteilt, ergibt sich laut Blumer ein weiterer Konflikt: «Die Gegenseite ist immer auf dem Laufenden, wie hohe Strafen die einzelnen Kantone aussprechen. Wenn im Baselbiet milder bestraft wird als im Umland, sind wir attraktiv für Diebe und Einbrecher.»
Verbrecherhauptstadt Genf
Einen anderen Weg geht Genf. Die Rhone-Stadt erlebte in letzter Zeit eine ähnlich heiss geführte Sicherheitsdebatte. Aufgeschreckt von durchschnittlich mehr als 15 Einbrüchen pro Tag, entwickelte sich die Problematik wie in Basel zum Wahlkampfthema. Der freisinnige Stadtpräsident Pierre Maudet machte die Problematik zum Kernthema seiner Kampagne: Er begab sich in stark betroffene Quartiere und demonstrierte Entschlossenheit, dieser Plage Herr zu werden – und wurde mit glänzendem Resultat in den Staatsrat gewählt.
Nach seiner Wahl besiegelte Maudet, verantwortlich für das kantonale Justiz- und Polizeidepartement, am 30. August ein «historisches Abkommen» mit Generalstaatsanwalt Olivier Jornot: Der Kampf gegen die Einbruchsdiebstähle wurde zur «höchsten Priorität» erklärt und steht damit im Zentrum der Bestrebungen, Genf sicherer zu machen. Denn schon im vergangenen Jahr hatte die Kriminalpolizei, die nach 30 Jahren neu organisiert wurde, der Bekämpfung der Einbruchdiebstähle dieselbe Wichtigkeit gegeben wie dem Kampf gegen Messerstechereien und die illegale Einwanderung: Mit diesen Schwerpunkten «wollen wir uns an die Entwicklung der Kriminalität anpassen», sagt Kripo-Chef François Schmutz.
Als eine der ersten Massnahmen hat die Kantonspolizei 2011 einen «Einbruch-Alarm» installiert. Ein Jahr später zeigt der Blick auf die Statistik, dass dieser Alarm durchschnittlich alle vier Stunden ausgelöst worden ist.
Verhaftungen verdoppelt
Die Bestrebungen zeigen erste Erfolge: Die Aufklärungsquote von lediglich 9,5 Prozent im Vorjahr steht der doppelten Zahl von Verhaftungen im laufenden Jahr gegenüber. Die Anzahl der Einbrüche hat von Januar bis April 2012 um 21 Prozent abgenommen.
Trotzdem verlangt man in der Region Basel nach höheren Strafen. Strafrechtsprofessor Niggli hat dafür eine einfache Erklärung: «Harte Strafen kosten nichts, Polizisten schon.» Populistische Politiker würden gerne härteres Durchgreifen vor Gericht fordern. Diese Tendenz sei auch international zu beobachten, sagt Kollege Albrecht. «Für mich ist der Ruf nach strengeren Strafen ein Ausdruck der Ratlosigkeit.»
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12