Der internationale Tag der behinderten Menschen steht im Zeichen der Selbstbestimmung. An einem Strassenstand sollte eine Auseinandersetzung mit dem Thema stattfinden.
Es duftet nach Gewürzen, der Himmel ist strahlend blau. Der Stand, den das Behindertenforum Basel gemeinsam mit Impulse Basel an der Schifflände aufgebaut hat, steht allerdings im Schatten. Georg Mattmüller vom Behindertenforum begrüsst uns.
«Keine Ahnung, weshalb der internationale Tag der behinderten Menschen ausgerechnet im Dezember stattfinden muss», sagt Mattmüller, «wahrscheinlich eignet sich die Adventszeit besonders gut für das Sammeln von Spenden, für Aussenaktivitäten ist die Jahreszeit aber völlig ungeeignet.»
Es könnte allerdings schlimmer sein, finden wir. Die wärmende Linsensuppe und der Glühwein werden auf Herdplatten warmgehalten. Die Passanten scheinen an diesem sonnigen Tag gut gelaunt, einige bleiben stehen und nehmen sich Zeit, selbst am Drücker zu sein und im «Foto-Buzzer-Studio» ein Foto von sich selbst zu schiessen. Sie sollten die Gelegenheit haben, bei einem Glühwein über den Begriff «Selbstbestimmung» nachzudenken und zu diskutieren.
Ein junger Passant gibt mit einem Becher Linsensuppe in der Hand ein ausführliches Statement dazu ab. Auch eine Gruppe Jugendlicher, die wohl soeben vom Münster-Gymi runterkommen, haben sich neugierig unter dem Zelt breit gemacht. Bei ihnen fällt das Statement zum Thema Selbstbestimmung eher knapp aus, dafür sind sie umso motivierter beim Foto-Schiessen.
Auch der Präsident des Behindertenforum Basel Francesco Bertoli nimmt am Aktionstag teil. Er ist Rollstuhlfahrer. Im Gespräch erzählt er, was ein selbstbestimmtes Leben für ihn bedeutet.
Mehr Selbstbestimmung dank selbstverwalteter Assistenz
Selbstbestimmung ist in der Behindertenpolitik momentan ein wichtiges Schlagwort, vor allem vor dem Hintergrund des Assistenzbeitrags, der 2012 eingeführt wurde. Den monatlichen Betrag verwalten die Behinderten selbstständig. Ziel dieser IV-Leistung ist, dass Behinderte ihr Pflegepersonal selbst aussuchen können. Bertoli erhält den Assistenzbeitrag seit 2006, als er als Pilotprojekt geprüft wurde. Er habe ihm enorm geholfen.
«Das ist für mich Selbstbestimmung – dass ich entscheiden kann, um wie viel Uhr ich aufstehe, wann ich schlafen gehe, und wer dabei ist.»
Er wohne schon seit vielen Jahren alleine, doch früher sei er auf die Hilfe und Unterstützung von Bekannten, Freunden und Familienmitgliedern angewiesen gewesen. Er arbeite zwar 50 Prozent, doch ohne Assistenzbeitrag konnte er es sich nicht leisten, täglich mehrere Arbeitsstunden des Pflegepersonals aus eigener Tasche zu bezahlen. «Früher konnte ich den Leuten, die mich unterstützten, nur etwa 20 Franken pro Einsatz zahlen» sagt er.
Er sei ständig ein bisschen in ihrer Schuld gestanden, und habe sich daher nicht getraut, etwa um zwei Uhr früh noch jemanden zu sich zu bestellen, um ihn beim Zu-Bett-Gehen zu unterstützen. «Heute habe ich ein flexibles Team, die meisten wohnen in der Nachbarschaft, und alle erhalten einen guten Stundenlohn und sind versichert. Das ist eine ganz andere Situation.»
Selbstbestimmung bedeute für ihn, dass er entscheiden könne, um wie viel Uhr er aufstehe, wann er schlafen gehe, und wer dabei sei: «Diese Dinge sind für Fussgänger eine Selbstverständlichkeit, für behinderte Menschen leider noch nicht.»
Er wünsche sich ausserdem, dass Behinderte auf dem Arbeitsmarkt mehr integriert würden. Die Arbeitgeber würden Behinderung oft mit Krankheit und Schwäche verbinden. «Viele denken, sie müssten ein halbes Lazarett einrichten, wenn sie einen Behinderten einstellen. Das stimmt einfach nicht!», sagt Bertoli. Das eigentliche Ziel sei für ihn, dass die ganze Diskussion über die Selbstbestimmung überflüssig würde. «Es sollte selbstverständlich sein, dass jedem das mögliche Maximum an Selbstbestimmung garantiert wird.»