Die Sonne leuchtet ins gelbe Blätterdach, ein Vogel fliegt aus der Krone einer hohen Esche. Der Dorenbach plätschert, Kinder juchzen – und elektrische Gitarren röhren durch den Allschwiler Wald.
Es ist Sonntagmorgen um neun Uhr. Rauch hängt über der grossen Feuerstelle, auf der Sitzbank stehen Musikboxen, aus denen Heavy Metal dröhnt. Am Boden schälen sich Männer und Frauen in schwarzen Kapuzenpullovern aus ihren Schlafsäcken. Rundherum liegen Bierdosen.
Daneben richtet sich eine Familie ein, Eltern hängen Ballone für einen Kindergeburtstag auf und beklagen sich über die Familie, die am Vortag Täfi- und Klöpfer-Papierli liegen gelassen hat. Ruhe sollte man in den Wäldern rund um Basel nicht erwarten. Dafür hat es zu viele Menschen zwischen den Bäumen.
Die Hälfte der Schweizer Bevölkerung geht im Sommer mindestens einmal pro Woche in den Wald, im Winter ein- bis zweimal im Monat. Das zeigen Umfragen des Bundesamts für Umwelt. Das war nicht immer so: Bis in die 1960er-Jahre war der Wald den Forstwarten überlassen. Dann suchten die Leute plötzlich Erholung in der Natur. Das dürfen sie, so steht es im Zivilgesetzbuch, Artikel 699: «Das Betreten von Wald und Weide und die Aneignung wildwachsender Beeren, Pilze und dergleichen sind in ortsüblichem Umfang jedermann gestattet.»
30 Tonnen Abfall
Das bedeutet allerdings nicht, dass der Wald allen gehört. Der Wald hat Eigentümer, private und öffentliche. In der Region Basel sind es vor allem die Bürgergemeinden. Sie geben ihren Bürgerinnen und Bürgern nicht nur den Heimatort und Ausländern häufig die Schweizer Staatsangehörigkeit, sondern verwalten oft auch Bürgergüter wie eben den Wald.
72 Prozent des Baselbieter und 43 Prozent des Basel-Städtischen Walds sind im Besitz von Bürgergemeinden, die Forstbetriebe betreiben. Der Rest gehört vor allem Privaten oder dem Staat, wie die Zahlen des Amts für Wald beider Basel zeigen.
Die Förster waren überrascht, als die Menschen plötzlich in ihren Wald kamen – und fingen an, ihnen hinterherzuräumen. Christian Kleiber ist Revierförster der Bürgergemeinde Basel-Stadt. Ihr gehören 443 Hektaren Wald, darunter auch der Hardwald in den Langen Erlen. «Wir räumen pro Jahr 20 bis 30 Tonnen Abfall aus dem Wald», sagt Kleiber.
Es ist wie immer: Die Mehrheit verhält sich korrekt, eine Minderheit nicht. «Einige Leute fahren in der Nacht in den Wald und entsorgen Möbel und Gartenabfälle», erzählt Kleiber. Andere feiern Partys. Das hat Ausmasse angenommen, dass neu ein Parkranger im Gebiet Wiese für Ruhe und Ordnung sorgen soll. Der Grosse Rat hat einem entsprechenden Pilotprojekt zugestimmt.
Jahrzehnte lang lebten die Förster von der Holzernte und sie lebten gut davon.
Die Menschen bedrohen das Gleichgewicht der Natur. Bei entsorgten Gartenpflanzen handelt es sich oft um ausländische Gewächse, welche die einheimische Vegetation durcheinander bringen. Zum Beispiel an der Böschung der Birs. Dort hat der Japan-Knöterich einheimische Pflanzen verdrängt.
Das ist fatal: Der Knöterich hält kalte Wintertemperaturen nicht aus und fällt in sich zusammen. Deshalb liegt die Böschung im Winter brach, wenn es lang und stark regnet, rutscht sie ab. Einheimische Pflanzen dagegen sind den Winter gewohnt, ihre Wurzeln bleiben stark und stabilisieren die Böschung.
Der Knöterich verteilt sich auch im Wald, so dass Förster Kleiber immer wieder Leute rausschicken muss, die den Knöterich ausreissen. Das Abfallentsorgen, das Pflanzenausreissen, alle diese Aufräumarbeiten kosten seinen Betrieb 1200 Arbeitsstunden pro Jahr.
Früher konnten die Forstbetriebe solche Aufräumarbeiten stemmen: Sie lebten Jahrzehnte lang von der Holzernte und sie lebten gut davon. Die Nachfrage war da, die Preise waren hoch. Nebenbei richteten sie Grillstellen ein, machten Spazierwege kinderwagentauglich und stellten sicher, dass keine morschen Bäume auf Spaziergänger fallen. Sie sahen das als Geschenk an die Bevölkerung. Nur für explizite Aufträge bekommt die Forstwirtschaft Subventionen, etwa wenn es um Schutzwälder gegen Lawinen oder Steinschlag geht oder um die Förderung der Biodiversität.
«Die Öffentlichkeit sollte dafür bezahlen, dass sie unseren Wald nutzt.»
Doch dann fegte der Sturm «Lothar» 1999 durch die Wälder und liess mit den Bäumen auch die Holzpreise krachen. Und im Jahr 2014 sanken die Erträge wegen des starken Frankens weiter. Konnten Förster 1950 mit dem Erlös eines Kubikmeters Holz noch 37 Arbeitsstunden bezahlen, finanziert dieselbe Menge heute nur noch 1,5 Arbeitsstunden.
Dazu kommt die Konkurrenz aus dem Ausland: Viele Holzverarbeiter und Bauherren kaufen ihr Holz lieber billig in Finnland, der Ukraine oder Russland und lassen es günstig hierher transportieren. Seither schreibt die Mehrheit der Schweizer Holzbetriebe rote Zahlen.
Auch der Forstbetrieb der Bürgergemeinde Basel-Stadt finanziert sich nur zu knapp 50 Prozent über das Holz und Dienstleistungen für andere Waldbesitzer. Er ist abhängig von Beiträgen der Bürgergemeinde und der Christoph Merian Stiftung. Der Kanton zahlt nichts.
Für Förster Christian Kleiber ist aber klar: «Die Öffentlichkeit sollte dafür bezahlen, dass sie unseren Wald nutzt.» Diese Forderung äussern Waldbesitzer in den letzten Jahren immer wieder. Auch in der nationalen Politik war sie ein Thema, etwa bei der Diskussion der Waldpolitik 2020.
Muttenz beschloss im Jahr 2011, für die Leistungen der Förster zu bezahlen. Doch nicht jede Gemeinde ist dazu bereit.
Dabei herrscht Uneinigkeit darüber, wie weit eine solche staatliche Finanzierung gehen soll. Momentan geht der Trend in Richtung Leistungsvereinbarungen mit den Einwohnergemeinden. Forstbetrieb und Behörden definieren zusammen Leistungen, welche die Förster für die Bevölkerung erledigen und das dafür fällige Honorar. So läuft es in Allschwil und im vorderen Leimental oder auch in Muttenz, Pratteln und Frenkendorf.
Der Vorteil dieser Lösung: Die Forstbetriebe bleiben eigenständig. Der Nachteil: Die Förster sind dabei auf den Goodwill der Gemeinde angewiesen. So war es ziemlich revolutionär, als etwa Muttenz im Jahr 2011 beschloss, für die Leistungen der Förster zu bezahlen. Doch nicht jede Gemeinde ist dazu bereit.
Förster im Aargau wollen deshalb weitergehen. Sie fordern, dass der Kanton per Gesetz verpflichtet wird, Forstbetriebe zu entschädigen – und zwar mit 25 Franken pro Einwohner und Jahr. Sie haben im Frühling eine entsprechende Initiative eingereicht. Eine solche Lösung würde einen eigentlichen Sinneswandel bedeuten: weg von einer selbsttragenden Holzwirtschaft hin zu einer Subventionierung des Waldes, ähnlich wie in der Landwirtschaft (wenn auch günstiger).
Konfliktkurs für Förster
In der Region Basel kommt diese Idee nicht nur gut an. Es ist ein anderes Gefühl, von der Holzernte zu leben, sich selber tragen zu können als von Steuergeldern abhängig zu sein. Ueli Meier, Kantonsforstingenieur beider Basel, etwa fürchtet, dass die Förster in ihrer Freiheit eingeschränkt würden. «Wer zahlt, befiehlt.» Meier fürchtet noch mehr Ansprüche vonseiten der Bevölkerung.
Denn die äussert ihre Ansprüche bereits heute lautstark und nicht immer freundlich. Im Juni organisierte das Amt für Wald beider Basel einen Kurs für Förster und Forstwarte. Sie lernten, wie man mit «schwierigen Waldbesuchern» in «emotional aufgeladenen Situationen» umgeht.
Die Emotionen laden sich auf an Motorsägen und Traktoren, aufgrund welcher manch ein Waldliebhaber sich dazu berechtigt fühlt, den Förster als «Baummörder» zu beschimpfen. So gibt es Leute, die den Wald am liebsten so bewahren würden, wie er immer war.
Fallende Bäume und Kinder sind eine schlechte Kombi
Ein Problem, das Markus Eichenberger, Revierförster in Muttenz, kennt. Es ist Dienstagmorgen um zehn Uhr. Wir stehen am Geispel, oberhalb des Dorfes. Eine Teerstrasse führt an den letzten Häusern vorbei über Felder. Bis vor zwei Jahren war diese Strasse noch von Wald gesäumt. Jetzt ist die Böschung voller Sträucher – Eichenberger und sein Team haben die Bäume gefällt.
Der Grund: Drei Mal war ein Baum auf die Strasse gefallen, der Förster wollte vermeiden, dass am Schluss noch jemand erschlagen wird. «Hier besammeln sich jeweils die Kindergärten, bevor sie in den Wald gehen», sagt Eichenberger.
Einige Muttenzer hatten kein Verständnis. Es sehe nach diesem «Kahlschlag» aus wie eine «Mondlanschaft» hiess es in bösen Mails, Briefen und Leserbriefen im lokalen Anzeiger. Die Absender beschuldigten den Förster, er habe die Bäume nur geschlagen, um reich zu werden. «Das ist falsch», sagt Hans Löw. Er ist Waldchef bei der Bürgergemeinde, die den Wald besitzt. Alle Flächen, auf denen der gesamte Baumbestand gerodet wurde, werden mit neuen Bäumen bepflanzt. «Der Schutz, die Pflege und die Erntearbeit eines Baums kosten sehr viel mehr, als wir für sein Holz bekommen.»
Viele Städter und Agglobewohnerinnen hätten wohl lieber einen Wald ohne Förster. Ein Wald, der wuchern kann, wie er will. Doch was viele Menschen nicht realisieren: Entgegen der landläufigen Meinung, nimmt der Wald in der Schweiz heutzutage nicht ab, sondern dehnt sich seit 150 Jahren kontinuierlich aus – jährlich etwa um die Fläche des Thunersees. Er erobert Weiden und Felder zurück und bringt Pflanzen und Tiere um ihre Lebensräume.
Kommt hinzu: 45 Prozent des Waldes sind Schutzwald vor Lawinen oder Steinschlägen. Damit er stark bleibt, braucht es den Förster, der junge, widerstandsfähige Bäume setzt und pflegt und damit den Wald vor der Überalterung und dem Klimawandel schützt.
Der Kampf um den Wald ist nicht mehr ein Kampf zwischen Holzwirtschaft und Naturschützern. Es ist jeder gegen jeden.
Rein theoretisch könnte der Förster den Wald natürlich auch ohne Holzwirtschaft pflegen. So wie in Zürich. Dort wurde aus dem ehemaligen Werkplatz Sihlwald ein Erlebnispark unter Naturschutz, inklusive Besucherzentrum und Museum. Gut möglich, dass auch Baslerinnen und Basler mit so einem Park glücklicher würden.
Wobei: Zu natürlich darf der Wald den Waldliebhabern dann auch nicht sein – die Rösseler wollen ihre Galopp-Pfade, die Biker ihre Pisten, die Hündeler ihre Hundeparcours, die Jäger ihre Jagd- und die Fischer ihre Fischgebiete. Jeder will den Wald anders. Deshalb kommt es im Sihlwald immer wieder zu Streit zwischen den verschiedenen Waldnutzern. «Kampfzone Naherholungsgebiet» titelte «Schweiz Aktuell» auf SRF 1 im Herbst.
Zur Kampfzone wurden unlängst auch die Langen Erlen: Dort stürzten im Oktober zwei Velofahrer. Unbekannte hatten dünne Seile über den Erlenparkweg gespannt, die Staatsanwalschaft ermittelt wegen Gefährdung des Lebens und Störung des öffentlichen Verkehrs. Der Kampf um den Wald ist längst kein Kampf mehr zwischen Holzwirtschaft und Naturschützern. Es ist jeder gegen jeden.
Die Forstbetriebe optimieren
Förster Markus Eichenberger möchte nicht, dass aus seinem Wald ein Park wird. «Ich finde, es ist legitim, wenn wir das Holz ernten – das ist eine natürliche Ressource vor unserer Haustür.» Der Muttenzer Waldchef Hans Löw hegt die Hoffnung, dass sich die wirtschaftliche Lage fürs Holz verbessert.
Dazu können vielleicht auch die Forstbetriebe beitragen. Eine Studie der Universität Neuchâtel zeigt: Die Betriebe in der Schweiz sind teilweise ineffizient und könnten Kosten sparen. Genau das macht Daniel Wenk, Leiter der Bürgergemeinde in Liestal. «Wir haben unseren Betrieb optimiert und unsere Holzerntekosten gesenkt.» So kam er aus den roten in die schwarzen Zahlen.
Allerdings können nicht alle Förster ihren Betrieb optimieren. Gemäss Studienautor Alexander Mack liegt das Problem nicht unbedingt bei schlechtem Management, sondern auch bei klimatischen oder topographischen Umständen wie steiles Gelände oder hohen Temperaturen.
Die Schweizer Holzwirtschaft hinkt dem Ausland hinterher.
Die Schweizer Holzwirtschaft versucht derweil, an einem anderen Ort der Holzproduktionskette zu drehen: Bei der Nachfrage. So will die Kampagne «Woodvetia» Architekten dazu bringen, häufiger mit Holz zu planen und Baufirmen zu motivieren, Schweizer Holz zu kaufen statt Billigholz aus dem Ausland.
Laut den Förstern Ueli Meier und Daniel Wenk müsste sich allerdings noch eine weitere Branche bewegen: Die Schweizer Sägereien und Holzverarbeiter. «Sie haben die technologische Entwicklung verschlafen», sagen beide. Deutsche oder österreichische Sägereien böten «innovative Produkte» zu günstigen Preisen.
Achim Schafer sieht das ein bisschen differenzierter. Er beobachtet für die Sektion Waldwirtschaft des Bundesamts für Umwelt den Holzmarkt: Tatsächlich habe die Schweizer Holzbranche wegen des starken Franken millionenteure Investitionen in die nötigen Maschinen zurückgehalten. Doch jetzt sieht Schafer Bewegung im Markt. Schilliger Holz in Küssnacht oder Despond S.A. in Bulle hätten grössere Investitionen getätigt und seien durchaus konkurrenzfähig auf dem globalen Markt.
Allerdings gibt es in der Schweiz auch noch viele kleine, spezialisierte Gewerbesägereien. Eine davon ist die 108-jährige Ruder Holz Sägerei und Holzhandlung in Augst. Der Zweimannbetrieb von Werner Ruder verarbeitet nur Rundholz aus der Nordwestschweiz, dabei erfüllt er individuelle Bedürfnisse von kleinen Schreinereien, Zimmereien oder von Privaten. Gemäss Ruder hat es in der Nordwestschweiz gar nicht genug Holz in der richtigen Qualität, um ein industrielles Holzverarbeitungswerk wie etwa in Österreich zu betreiben.
Die Sägereien umsiedeln
Ruder selber machen vor allem die Bodenpreise das Wirtschaften schwer. Seine Sägerei steht auf eigenem Bauland mitten in Augst. Nun möchte er seinen Betrieb verkaufen und seine Pension vorbereiten. Doch der Boden ist so teuer, dass sich der Kauf für einen möglichen Nachfolger nicht lohnt. Ruder möchte deshalb gerne seine Sägerei in die Landwirtschaftszone verlagern, dafür müsste die Politik eine spezielle Sägereizone schaffen.
In der nationalen Politik steht eine andere Strategie zur Diskussion. Der SVP-Nationalrat Erich von Siebenthal hat eine parlamentarische Initiative eingereicht. Sie fordert eine erleichterte Rodung für die «Realisierung von Holzindustrieinvestitionen». Bis jetzt muss jede gerodete Fläche per Gesetz ersetzt werden. Von Siebenthal rechnet sich aber keine grossen Chancen im Ständerat aus.
Die Diskussionen zeigen: Wer Bäume fällen will, hat es schwer. Förster Markus Eichenberger und Waldchef Hans Löw im Revier Schauenburg haben für sich eine Strategie gefunden, damit umzugehen. Sie setzen auf Gespräche. Vor jedem grösseren Holzschlag informieren sie im lokalen Anzeiger und stellen Infotafeln im Wald auf. «Wenn die Leute verstehen, weshalb wir Bäume fällen, werden sie weniger wütend», sagt Eichenberger.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind damit zwar nicht gelöst, aber dafür herrscht vielleicht ein bisschen mehr Frieden im Wald. Das müsste eigentlich möglich sein. Schliesslich haben die Bevölkerung und die Förster eins gemein: Sie lieben ihren Wald.