Uschi Glas gegen Klaus Lutz – wer am diesjährigen Bildrausch-Filmfestival im Rennen um den grösseren Bekanntheitsgrad die Oberweite vorn hat, scheint auch ohne Fotofinish klar. Dabei war der Schweizer Experimentalfilmer und Avantgardist auf seine Weise uneinholbar.
Zwischen der Münchner Schickeria der Sechziger und Manhattan, wo der St. Galler Künstler Klaus Lutz (1940-2009) in einer komplett schwarz ausgekleideten Wohnung seine eigene Filmsprache erfand, liegen nicht nur sechseinhalbtausend Kilometer Luftlinie, sondern eine ganze Welt.
In dieser Welt zappelt Lutz als Minimännchen in einem Gespinst aus geisterhaften Zeichnungen, Collagen und Animationen – Schöpfer und Erschöpfter zugleich. Die Kunstfilme entziehen sich einer Beschreibung, eben weil sie ihre eigene Grammatik aus persönlichen Mythen und abstrakten Bildern entwerfen.
Der Künstler in der Klause
Wie handfest Klaus Lutz dabei zu Werke ging, hat der Basler Produzent und langjährige Freund Frank Matter («Von heute auf morgen», «La Buena Vida») einst dokumentiert: In «The Beauty of My Island» besuchte Matter den Künstler in seiner Klause und hielt fest, mit welch unbändiger Energie dieser seine Visionen realisierte.
Zur Aufführung der Lutz-Werke «Arabia 1 & 2» auf Leinwand und Wetterballon (!) wird die argentinische Klangkünstlerin und Komponistin Abril Padilla die Experimentalfilme mit ungewohnten Instrumenten wie etwa einem Schneebesen neu aufmischen: Die Zuhörer erwartet ein Klanggebilde, das der eigenwilligen Bildwelt von Lutz ebenbürtig ist.
Die TagesWoche hat den Produzenten und die Musikerin zum Gespräch im Stadtkino getroffen.
Frank Matter, Sie haben Klaus Lutz persönlich gekannt. Was war er für ein Mensch?
Ich war selbst lange Zeit in New York, wo Klaus Lutz die letzten 16 Jahre seines Lebens verbracht hat, und habe ihn dort kennengelernt. Er lebte alleine in Manhattan, seine Familie, mit der er wenig zu tun hatte, war in der Schweiz. Lutz hat sehr intensiv gearbeitet, sein Leben und sein Werk waren eng miteinander verwoben. Ich habe ihn damals dokumentiert, als er seinen Film «The Beauty of My Island» drehte, und dieses Filmdrehen war ein wichtiger Teil seines Lebens. Wenn er am Drehen war, zog er sich völlig zurück, schloss sich sozusagen in seine abgedunkelte Wohnung ein und arbeitete unablässig, manchmal für Wochen. Dann gab es auch Zeiten, in denen er viel las oder zeichnete und soziale Kontakte pflegte.
Wie sind Sie zu seinem Nachlassverwalter geworden?
Nach unserer Zusammenarbeit an «The Beauty of My Island» sind wir enge Freunde geworden. Mit zunehmendem Alter hatte Klaus immer stärker Angst davor, dass seine ganze Arbeit nach seinem Tod auf dem Abfall landen und er selbst in Vergessenheit geraten würde. Ich habe ihn dann zu beruhigen versucht und ihm gesagt, dass sich schon jemand um seinen Nachlass kümmern würde. Als er dann starb, fühlte ich mich verantwortlich. Wir liessen seine Wohnung versiegeln und mussten uns vor Gericht eine Ausführbewilligung erstreiten – das ist in den USA gar nicht so einfach. In der Schweiz haben wir einen Verein gegründet, der diesen Nachlass verwaltet. Diesen Verein leite ich zusammen mit Hannes Schüpbach und Eva Caflisch. Der Nachlass befindet sich im Klaus-Lutz-Archiv und der Kinemathek Le Bon Film in Basel.
In Worten lässt sich kaum beschreiben, was auf der Leinwand passiert. Wie würden Sie erklären, worum es in den Filmen von Lutz geht?
Abril Padilla: Da ist der Reichtum dieser Filme, die Raum lassen für eigene
Interpretationen. Man muss sie ein paar Mal anschauen, um die
verschiedenen Ebenen schätzen zu lernen, dieses Wechselspiel zwischen
konkret und abstrakt. Lutz manipuliert in seinen Filmen ganz konkrete
Gegenstände, das ist wie bei meiner eigenen Performance, bei der ich zum
Beispiel einen Schneebesen benutze, diesen aber nicht «realistisch»
klingen lasse. Meine Musik soll den Werken Luft lassen.
Frank Matter: Die Filme funktionieren auf verschiedenen Ebenen, die erzählerische lässt sich noch am leichtesten nachvollziehen: Da ist diese verlorene Figur im Raum, die sich wie ein Zirkusakrobat durch eine seltsame Welt bewegt und versucht, sich darin zurechtzufinden. Dabei entwickelt Lutz eine ganz eigene, berührende Ästhetik, wunderschön gestaltete Räume und beeindruckende Bilder. Doch hinter dem Vordergründigen läuft eine Art Investigation ab, in dem es um das Wesen von Zeichen und Zeichnung sowie um das Verhältnis der Zeichen zueinander geht, um Sprachlogik und Grammatik. Wie viele spannende Kunstwerke lassen sich seine Filme nicht auf eine einfache Interpretation reduzieren.
Das «Bildrausch – Filmfest Basel»
findet zum sechsten Mal vom 25. bis 29. Mai 2016 statt. Neben dem
internationalen Wettbewerb mit Neuentdeckungen gilt die grosse
Retrospektive dem iranischen Regisseur und Drehbuchautor Mani Haghighi. Das zweite Spezialprogramm holt 50 Jahre nach der Kinorevolution des Münchner Frühlings die wichtigsten Akteure nach Basel.
Und
auch Mitmachen ist erwünscht: Wer schon immer einmal mit Bud Spencer
und Terence Hill falsch singen oder Humphrey Bogart in «Casa Blanca» auf
seinen Mundgeruch hinweisen wollte, hat jetzt beim Filmkaraoke die Chance dazu: Die Anmeldefrist läuft noch bis 20. Mai.