Werden die Maschinen menschenähnlich oder gleicht sich der Mensch den Maschinen an? Knackeboul sucht Erkenntnisse im digitalen Raum und findet zumindest ein paar Wortspiele.
Wenn ich nachts das Fenster öffne, verbinde ich mich mit der Soundcloud der Erde und tauche ein. Rauschen, Wehen und Sprudeln weichen den Flüchen, dem Gegröle, dem Streit, dem Krieg, den Motoren dieser Welt. Ich liege wach und träume alle möglichen Realitäten.
Draussen warten die Strasse, die Nacht, die Räder meines Skateboards auf dem glatten Asphalt hin zum Kieselstein, der mich bremst. Zeit ist relativ knapp. Wir sind alle gleich individuell. Ich liebe dich und den Morgen, der alles reinwäscht. Ich weiss alles – zu Schätzen hin trägt es mich auf digitalen Wolken.
Wir sind die Vorkriegsjugend. Romantische Gefühle von einst gedimmt durch jetzt leuchtende Screens. Ich erinnere mich, als ich statt einem Handy dein Händchen hielt. An meine Liebe, meine Wut und meine Hoffnung, die abgelöst wurden durch meinen digitalen Geltungsdrang. Bald werden die alten Drucker verstummen, die Festnetze eingezogen, der Bildschirm von der Bildfläche verschwinden, indem er sich in dieser auflöst und sie sich in ihm. Der ultimative Liebesakt zweier sich spiegelnder Welten. Chips in Zellengrösse. Eine Ursuppe aus Bytes. «The message is the media.»
Diese Jugend ohne Gott lässt sich von einem Gerätehersteller verapplen, der im Logo die angebissene Frucht des verbotenen Baumes trägt.
Irgendwo herrscht Krieg, aber nicht hier. Wie viele Millionen Menschen schlafen gerade miteinander? Wie viele davon kann man live beobachten? Als Kind habe ich mir vorgestellt, ich hätte eine Kamera in meinen Kopf eingebaut, damit alle meine Freunde die tollen Sachen sehen könnten, die ich ohne sie erlebte. Ich war scheinbar nicht der Einzige.
Auflösung. Es geht um Auflösung. Die wird immer höher, bis alles implodiert. Das Gottesteilchen schuf sich selbst in null Sekunden. Und die Jugend ohne Gott lässt sich ausgerechnet von einem Gerätehersteller verapplen, der im Logo die angebissene Frucht des verbotenen Baumes – des Baumes der Erkenntnis – trägt.
Das ganze Wissen der Welt in der Hosentasche. Das universale Hirn auf einer externen HD gespeichert. Stell dir vor, wenn alle Musik der Welt, die jemals produziert wurde, aber auch alle, die gerade in diesem Moment entsteht, immer und überall von jedem abrufbar wäre. Warte. Gleich ist es soweit! Jeeetzt. Oder war das gestern? Oder morgen?
Wir werden einmal die Welt retten – wenn es sie nicht mehr gibt.
Gibt es noch Zeit? Der Raum wurde ja sozusagen abgeschafft. Oder zumindest die Distanz. Ist die Börse jetzt getaucht oder hat sie sich gerade wieder erholt? Haben die Palästinenser oder die Israelis gerade angegriffen? Sollen wir Angst haben oder unbesorgt sein? Konsumieren oder uns verbarrikadieren? Ich bevorzuge das Tanzen bis ins Morgengrauen. Mit meinen Freunden. Wir werden einmal die Welt retten – wenn es sie nicht mehr gibt.
Ich bin mit Müh und Not ein «digital native» – ein Border(on)liner. Im Gymi haben wir die Handy-Besitzer noch ausgelacht. Der Erste von uns, der eins besitzen würde, sollte gezwungen werden, es in einer knalligen Hülle am Gürtel zu tragen. Wir fandens peinlich, unnötig, prahlerisch.
Als wir uns dann mal drei Tage am Open Air St. Gallen gesucht, aber nicht gefunden haben, wünschten wir es uns dann doch herbei und spätestens im Militär war es um mich geschehen. Aus dieser stupiden grün-grauen Welt musste ich irgendwie ausbrechen. Kontakt mit der Aussenwelt war wichtig. Wenn ich in einer Pause das «Sie haben 1 neue Mitteilung» auf meinem Nokia sah, schlug mein Herz höher. Blödeleien mit Kumpels, Liebeleien mit Mädels, telefonieren mit Mama. Es war ein gelegentliches Ausbrechen aus der manchmal feindseligen Welt in die Geborgenheit oder zumindest in die Projektion davon.
Früher bin ich mit dem Handy sporadisch aus der Realität ausgebrochen, heute verlasse ich die digitale Welt nur noch gelegentlich.
Heute findet meine Welt immer mehr in diesem Kästchen statt. Früher bin ich mit dem Handy sporadisch aus der Realität ausgebrochen, heute verlasse ich die digitale Welt nur selten – zum Beispiel, wenn ich keinen Akku mehr habe. Dann weiss ich jeweils nicht, ob ich nun erleichtert oder genervt sein soll.
Neulich bin ich von Paris zurück nach Hause gereist, ohne die digitale Welt wirklich zu verlassen. Per Mietwagen (online bestellt) zum Flughafen, per Strichcode durch alle Kontrollen, per Uber heimwärts, dazwischen Snapchat, Instagram, Twitter, Facebook, E-Mails.
Die Umgebung passt sich dem Digitalen an. Die Flughäfen, die Rental-Car-Schalter, die Geldautomaten. Diese entpersonalisierten Orte – sehen die nicht immer mehr aus wie Computer-Spiel-Welten? Wie designte Websites? Werden wir nicht mit Karten-Apps, Rolltreppen und Zügen bis hin zu Reiseführern und bald selbstfahrenden Autos durch eine virtuelle Welt geführt?
Es heisst, die Maschinen werden immer menschenähnlicher. Es könnte aber auch sein, dass der Mensch sich immer mehr an der Maschine orientiert.
Ist das noch die Realität? Oder bin ich ein bisschen verwirrt, weil ich immer online bin? Ich starre so oft in das Licht, auf den Bildschirm, nicht selten auf mein digitales Spiegelbild, auf meinen Avatar, auf mein selbst entworfenes Online-Ego. Einmal habe ich versucht, die Fliege auf meinem Bildschirm per Mauspfeil in den Papierkorb zu «draggen».
Es heisst, die Maschinen werden immer menschenähnlicher. Es könnte aber auch sein, dass der Mensch sich immer mehr an der Maschine orientiert. Während das passiert, werden die Maschine, der Computer, der Roboter immer schneller, immer klüger, immer mächtiger – und wir müssen wohl bald einsehen, dass der nächste Schritt der Evolution uns nicht mehr braucht.
Sind die Pyramiden riesige HDs? Hat Erich von Däniken ein bisschen recht?
Nicht mehr lange und Gott druckt sich per 3D-Drucker selbst aus. Hat nun Gott den Menschen geschaffen oder der Mensch Gott? Oder ist es ein unendlicher Kreislauf aus Zerstörung und Wiederaufbau? War das alles schon mal da? Ist unsere Realität computersimuliert? Sind die Pyramiden riesige HDs? Hat Erich von Däniken ein bisschen recht?
Okay, ich glaub, meine mentale Festplatte ist von einem Virus befallen. Ich muss neu starten. Aber das eine oder andere Zitat hier muss ich schon twittern. Ich bin ja kein Pessimist. Ich beobachte das Ganze mit grosser Neugier und Begeisterung. Schlussendlich erleben wir einfach den Buchdruck 2.0: Texte, Bilder, Wissen, Emotionen sollen transportiert, wiedergegeben und verbreitet werden. Noch schneller und unabhängig von Distanzen.
Der Buchdruck und all die Bücher waren ja ein Segen für die Menschheit. Gut, bis auf den «Hexenhammer», «Mein Kampf» und so … Was wären die digitalen Pendants zu dazu? Davon ein andermal. «I mues jetz go poste.» Auf Facebook, Instagram, Twitter, Snapchat.