«Bis Frauen der Normalfall sind …»

Mit 36 Jahren war Esther Girsberger Chefredaktorin beim «Tages-Anzeiger», mit 39 Kommunikationschefin bei Novartis. Damals waren ihr Frauenquoten ein Greuel. Heute denkt sie anders.

Esther Girsberger mit ihren Söhnen Benjamin (links) und Jonathan. (Bild: Mara Truog)

Mit 36 Jahren war Esther Girsberger Chefredaktorin beim «Tages-Anzeiger», mit 39 Kommunikationschefin bei Novartis. Damals waren ihr Frauenquoten ein Greuel. Heute denkt sie anders.

Meine Karriere verlief schnell und steil. So schnell und steil, dass ich gar keine Zeit hatte, mir über den Zusammenhang zwischen Frausein und Karriere Gedanken zu machen. Wobei mir bewusst ist, dass viele Frauen in einer ähnlichen Situation gern zu dieser Ausrede greifen. Klar war mir, dass ich als Frau in meinem Berufs­leben immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Allerdings war ich jeweils doch selbstbewusst genug, die Beförderungen anzunehmen, und bin – nach reiflicher Überlegung – auch immer zum Schluss gekommen, mir die angebotene Kaderposition zuzutrauen.

Kaum war ich beim «Tages-Anzeiger» als Chefredaktorin in Amt und Würde, kam sofort die Forderung, vor allem seitens der Gewerkschaften, jetzt müssten zeitungsintern auch ­andere Frauen an die Macht. Es schien klar: Mit einer Frau an der Spitze müssten gleich alle frei werdenden Ressortleitungspositionen mit Frauen besetzt werden. Wenig selbstbewusst und noch weniger reflektiert kam ich dieser Forderung nach, mit dem Resultat, dass es auch zu Fehlbesetzungen kam.

Nach meinem Rücktritt als Chef­redaktorin folgten wieder Männer. Der Ruf nach mehr Frauen verstummte merklich, auch bei den Gewerkschaften. Das gab mir zu denken. ­Genauso wie die Vorwürfe von Frauen­seite, ich hätte den Bettel beim «Tages-Anzeiger» nicht hinschmeis­sen dürfen, weil ich damit der Sache der Frau schade. Als ob wir uns selber zugunsten der Frauenanliegen völlig ­zurücknehmen müssten!

Spätestens zu diesem Zeitpunkt bekam bei mir das Thema «langfristige und überlegte Frauenförderung» einen Stellenwert, der sich seither noch verstärkt hat. Gleichzeitig wurde für mich das Thema «Frauen und Kaderpositionen» immer wichtiger. Das hat vor allem damit zu tun, dass ich mir nach meiner Zeit als Festangestellte in einer Top-Kaderposition eine Auszeit gönnte, um einmal ausführlich über mich und mein Umfeld nachzudenken.

Nicht ganz zufällig lernte ich darauf in einer Weiterbildung meinen Mann kennen und wurde zwei Jahre später Mutter. Damals war ich teilzeitlich angestellt und teilzeitlich selbstständig tätig. In meiner Teilzeitanstellung arbeitete ich fokussiert und ohne grosses Geplauder auf der Redaktion, da die Krippe ohne Wenn und Aber um 18 Uhr schliesst.

In meiner Selbstständigkeit, die ich von zu Hause aus ausübte, stellte ich nicht selten fest, dass der Gesprächspartner am Telefon – vor allem, wenn es ein Vertreter der Wirtschaft war – irritiert reagierte, wenn er im Hintergrund ein Babygeräusch hörte. Der kleinste Gluckser führte dazu, dass der Telefonpartner an meiner Kompetenz zu zweifeln begann.

Zugegebenermassen, das ist neun Jahre her und seither hat sich vieles zum Besseren verändert. Heute trauen sich hin und wieder auch Väter in Kaderpositionen, selbstbewusst früher nach Hause zu gehen mit der Begründung, sie müssten die Kinder von der Krippe abholen oder die Mutter ablösen, die abends eine berufliche Verpflichtung wahrzunehmen habe.

Doch vor neun Jahren war es eben noch anders. Mich nervte, wie mir in meiner Auszeit klar geworden ist, dass es für eine Frau unter Umständen zwar einfacher sein kann als für einen Mann, in eine Spitzenposition zu gelangen. Dort aber auch zu bleiben – das ist für einen Mann bedeutend einfacher. Das zeigte mir meine eigene Erfahrung, was für einen empirischen Beweis natürlich nicht genügt. Also begann ich zu recherchieren, und das Resultat meiner Recherche hielt ich im Buch «Abgewählt – Frauen an der Macht leben gefährlich» fest: Zwischen 1984 und 2003 waren neun weibliche Exekutivmitglieder abgewählt worden, was einem Prozentsatz von 9,4 Prozent entspricht. Bei den Männern waren es 2,8 Prozent.

Das Echo auf das Buch war gross und vor allem kam es zu Kontakten mit Frauen und Männern, die etwas zu diesem Thema zu sagen hatten. Viele bedauerten, dass das Buch sich einzig mit Politikerinnen beschäf­tigte und nicht auch mit der Wirtschaftswelt.

Dank vieler Interviews, die ich damals mit Persönlichkeiten für die «SonntagsZeitung» führte, konnte ich das Thema vor und nach dem offiziellen Gesprächstermin vertiefen, und dank der Moderationen, auch zum Thema «Frau und Karriere», kam ich mit noch mehr Personen in Kontakt, die sich mit diesem Thema beschäftigten – oder eben auch nicht. Die, die nichts dazu zu sagen hatten, interessierten mich besonders. Weil ihr Nichtssagen meistens mit Ignoranz gegenüber einer wichtigen gesellschaftlichen Entwicklung zu tun hat.

Im Jahre 2008 machte ich mich ganz selbstständig. Ich musste auf keinen Arbeitgeber mehr Rücksicht nehmen. Ich wurde nicht nur freier zu sagen, was ich denke, sondern ich lernte auch, meine eigene berufliche Vergangenheit als Kaderfrau noch besser zu reflektieren. Mein Fazit: Wir Frauen werden in Politik und Wirtschaft nie neutral bewertet. Das änderte meine Einstellung zur Frauenquote radikal. Ich wurde von einer Gegnerin zur Befürworterin einer befristeten Frauenquote.

Einzelmasken ohne Chancen

Im Urteil von Männern handeln wir Frauen so, weil wir eine Frau sind, oder wir handeln anders, weil wir eine Frau sind. Dass wir so oder ­anders handeln, weil wir sachbezogen argumentieren – das wird nur Männern zugestanden, Frauen nicht. Solange wir uns als Einzelmasken, als Exotinnen, in einer männer­dominierten Unternehmenskultur bewegen, werden wir weiterhin eine im Vergleich zu Männern überdurchschnittlich hohe Drop-out-Quote haben.

Stellen wir aber drei von sieben Konzernleitungsmitgliedern oder vier von neun Verwaltungsräten, werden wir zum Normalfall. Bis es so weit ist, brauchen wir eine Frauenquote.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.10.12

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