Mütter in der Warteschlaufe

Mit Quoten soll der Frauenanteil in Kaderpositionen erhöht werden. Das wird schwierig in einem familienpolitischen Entwicklungsland wie der Schweiz.

In der Schweiz sind Frauen mit Kindern beruflich immer noch sehr eingeschränkt. (Bild: Alix Minde/PhotoAlto/laif)

Mit Quoten soll der Frauenanteil in Kaderpositionen erhöht werden. Das wird schwierig in einem familienpolitischen Entwicklungsland wie der Schweiz.

Frauen sind nicht die besseren Menschen. Aber sie machen etwa die Hälfte der Bevölkerung aus. Und wie die Männer sind sie zur Schule gegangen, haben eine Ausbildung gemacht, arbeiten.

In den Chefsesseln aber sitzen sie selten. Gemäss dem Schillingreport 2012, einer Vergleichsstudie über die Führungsgremien in den 100 grössten ­Unternehmen der Schweiz, liegt der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen gerade mal bei 5 Prozent, drei CEOs sind weiblich. Bei den Verwaltungsräten beträgt der Frauenanteil 11 Prozent, und Nayla Hayek von der Swatch Group ist derzeit die einzige Verwaltungsratspräsidentin der Schweiz. Alle anderen sind Männer.

Frauenquoten sollen diese Ungleichheit endlich beseitigen, so die Forderung diverser Frauenorganisationen und Politikerinnen – von linker Seite schon lange vorgebracht, ist sie jetzt auch für Bürgerliche salonfähig geworden. Zum Entsetzen ihrer männlichen Parteikollegen beschlossen die FDP-Frauen, Quotenregelungen für Führungspositionen in Bundesbetrieben und in der öffentlichen Verwaltung zu unterstützen.

Auch Frauen aus der CVP und von den Grün­liberalen äussern sich zustimmend zu Frauenquoten. Bekanntlich hat das Berner Stadtparlament unlängst entschieden, dass 35 Prozent der Kaderjobs in der Verwaltung künftig durch Frauen besetzt werden müssen. Die Städte Zürich und Basel wollen nachziehen.

Vorbild Skandinavien

Weiter gehen Frauenorganisationen, die auch bei Firmen den weiblichen Anteil des Kaders festschreiben wollen. Etwa die «Business and Professional Women» (BPW) der Schweiz, die eine Frauenquote von 30 bis 40 Prozent bei börsenkotierten Unternehmen per Aktienrecht durchsetzen wollen. Gehe es mit der Entwicklung in dem Tempo wie bisher weiter, so das Argument der Business-Frauen, dauere es noch etwa 40 Jahre, bis eine «annähernde Gleichstellung erreicht» sei.

Die BPW stützen sich dabei auf eine Prognose der EU, wo die für Justiz- und Gleichstellungsfragen zuständige Kommissarin, Viviane Reding, schon vor zwei Jahren Unternehmen mit gesetzlichen Massnahmen gedroht hat, wenn diese nicht endlich mehr Frauen in Kaderpositionen befördern.

Tatsächlich sieht es insgesamt in der Europäischen Union in Sachen Gleichstellung nicht viel ­besser aus als in der Schweiz: 86 Prozent der Entscheidungsträger in den grössten börsenkotierten Firmen sind laut der Datenerhebung der EU-Kommission männlich, doch es gibt – teilweise signifikante – Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Wie immer, wenn es um dieses Thema geht, schwingen die skandinavischen Länder obenaus. Sowohl in Schweden als auch in Finnland ist der Männeranteil auf den Teppichetagen «nur noch» knapp über 70 Prozent, in Norwegen ist das Verhältnis sogar 48 (weiblich) zu 52 (männlich). Aber auch Frankreich steht mit einem Frauenanteil von 22 Prozent im Vergleich mit anderen Ländern nicht so schlecht da.

Kein Sitzungsgeld mehr für Männer

Nun kann man sicher mit Fug und Recht ins Feld führen, dass vorgeschriebene Quoten einiges dazu beigetragen haben. Norwegen hat Frauenquoten, in Finnland haben Unternehmen freiwillig nachgezogen – nach einer vorgeschriebenen Quote in öffent­lichen Gremien. In Schweden setzt man auf den sogenannten Corporate-Governance-Kodex, der die Gleichstellung zur moralischen Pflicht macht, und Frankreich hat im letzten Jahr ebenfalls Frauen­quoten für grosse Unternehmen beschlossen. Inklusive Sanktionen für diejenigen, die der Regelung nicht nachkommen. So muss die Nominierung eines Mannes annulliert werden, wenn sie der angestrebten Quote zuwiderläuft, zudem erhalten die Verwaltungs- und Aufsichtsratsmitglieder einer solchen Firma kein Sitzungsgeld mehr.

So weit würden die Schweizer Business-Frauen nicht gerade gehen. Sanktionen zu bestimmen, sei bei allfälliger Einführung einer Quotenregelung Sache des Gesetzgebers, sagt Monique Ryser, Präsidentin bei BPW Schweiz. Vorstellen könnte sie sich zum Beispiel, «dass bei der Submissionsvergabe nur noch Firmen berücksichtigt würden, die die Frauenquote erfüllen». Auf jeden Fall hat die strenge Regelung in Frankreich für einen schnellen Anstieg des Frauenanteils in den Chefetagen gesorgt. Was für die hiesigen Quoten-Befürworterinnen eindeutig beweist, wie wirksam solche sind.

Was sie dabei allerdings zu wenig beachten: All diese Länder, sowohl die skandinavischen als auch Frankreich, pflegen im Gegensatz zur Schweiz seit vielen Jahren eine Familienpolitik, die es einer Frau mehr oder weniger problemlos ermöglicht, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen.

Rückständige Schweiz

Während die unsere immer noch vom familiären Kinderbetreuungs-Modell als Idealfall ausgeht, orientieren sich Länder wie Frankreich oder Schweden schon lange am Leitbild der berufstätigen Eltern. Die beruflichen Möglichkeiten für Frauen mit Kindern sind dementsprechend um Welten besser als in der Schweiz. Von einem zweijährigen Elternurlaub, von einem garantierten Platz für ihr Kind in einer Betreuungseinrichtung, von der Tagesschule als Standard können hiesige Eltern nur träumen.

Vierzig Jahre lang dauerte der Kampf, bis die Schweiz endlich einem mickrigen Mutterschafts­urlaub von 16 Wochen zustimmte. Um danach einen Kita-Platz zu haben, wird den Eltern empfohlen, sich schon anzumelden, wenn das Kind noch im Bauch ist. Und auch dann können sie sich nicht darauf verlassen, wie die TagesWoche am Beispiel der Tagesheim-Vermittlung in der Stadt Basel vor ein paar Monaten deutlich machte. Wer in einem ländlichen Gebiet lebt, kann es erst recht vergessen. Nicht nur dort, aber dort besonders, gilt eine berufstätige Mutter heute noch als Rabenmutter. Eine, die «den Fünfer und das Weggli» will, wie es so schön heisst. Als ob die Kinder in Schweden, Finnland oder Frankreich die unglück­licheren wären.

Mit Kind eingeschränkt

Es ist noch nicht so lange her, da pflasterte die SVP Wände mit Plakaten voll, auf denen ein weinendes Kind zu sehen war. Es weinte, weil es gemäss Harmos bereits ab vier Jahren eingeschult werden sollte. Weg von Mami, das arme Kleine, hin zum Staat. Die SVP-Kampagne zog, einige Kantone lehnten den Beitritt zum Harmos-Konkordat ab. Analysten kamen zum Schluss, dass die vorgesehene frühe Einschulung einiges dazu beigetragen hatte.

In anderen Ländern ist es selbstverständlich, dass Kinder mit drei Jahren zur Schule – oder wie immer man das nennt – gehen. In anderen Ländern ist es keine Frage, dass die Kinder den Tag in der Schule verbringen. In anderen Ländern müssen nicht Mütter einen Mittagstisch auf die Beine stellen, um wenigstens ein paar Stunden am Stück erwerbstätig sein können.

Wie eingeschränkt Frauen in der Schweiz in der Berufstätigkeit sind, sobald sie Kinder haben, zeigt ein Blick in die Statistik: Knapp ein Drittel der Mütter mit dem jüngsten Kind im Alter von 0 bis 6 ist nicht erwerbstätig, ein weiteres Drittel arbeitet weniger als 50 Prozent, nur 11,7 Prozent arbeiten mit einem 90- bis 100-Prozent-Pensum. Doch wer Teilzeit arbeitet, kann sich eine Beförderung in der Regel ans Bein streichen. Qualifikation hin oder her.

Mit Teilzeitpensum chancenlos

Die Advokatin Katja Christ-Rudin arbeitete mehrere Jahre in der Basler Verwaltung. Sie hatte Freude an ihrem Job, engagierte sich. Sie bekam ein Kind, reduzierte dann ihr Pensum auf 60 Prozent, auf drei Arbeitstage pro Woche. Doch es wurde ihr zu stressig mit den rigiden Öffnungszeiten im Tagi. Also reduzierte sie um weitere zehn Prozent, arbeitete zwar weiter drei Tage die Woche, konnte so aber früher im Tagi sein. Sie bekam ein zweites Kind.

Nach dem Mutterschaftsurlaub zurück im Job, wurde die Leitungsstelle in Christs Abteilung frei. Sie dachte, ihre Chance sei gekommen. Doch ihr Vorgesetzter winkte ab. Sie sei für diese Stelle zwar fachlich und persönlich bestens qualifiziert, man könne sie ihr jedoch mit einem Teilzeitpensum nicht überlassen. Katja Christ war enttäuscht: «Ich hätte diesen Schritt gebraucht, diese Verantwortung gerne übernommen und auch von zu Hause aus Arbeiten erledigen können.» Sie kündigte – aus Mangel an Anreiz, wie sie sagt. Inzwischen geht ihr Jüngster in den Kindergarten und Christ möchte ihre Fähigkeiten wieder «sinnvoll einsetzen».

Nun kandidiert sie für den Grossen Rat. Würde die Grünliberale aus Riehen gewählt, müsste sie sich um die Kinderbetreuung während der Sitzungszeiten kümmern. Kein einfaches Unterfangen, da es an Quantität und vor allem an Flexibilität bei der familienexternen Kinderbetreuung eindeutig fehle, sagt Christ. Und deshalb ist das eines der Themen, das sie als Politikerin unbedingt angehen möchte.

Kein Geld für «Privatsache»

Die Befürworterinnen von Quoten gehen davon aus, dass sich diese Situation dann automatisch verbessern würde. Auch, weil Frauen in den Chefetagen mehr Verständnis für Mütter hätten. Das darf bezweifelt werden. Frauen sind nicht die besseren Menschen. Vor allem ist fraglich, wie sehr sich die bürgerlichen Politikerinnen, die jetzt Quoten fordern, für staatlich geförderte Kinderkrippen und Tagesschulen einsetzen werden. Oder erinnern sie sich dann plötzlich wieder daran, dass das alles Privatsache ist?

Im Frühling lehnte der Nationalrat eine parla­men­ta­rische Initiative der Grünen für eine zusätzliche ­Elternzeit von 24 Wochen ab. Aus Kostengründen.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.10.12

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