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Seit Fotos ins Digitale gewandert sind, ist ihnen eine wunderbare Eigenschaft abhanden gekommen: die Rückseite.

Seit der Erfindung der Fotografie gehörte sie zu jedem Bild: die Rückseite. Sie bot Platz für vielerlei Informationen wie Widmungen, den Namen des Fotografen und schon bald für Werbung.

Ein gutes Beispiel für schöne Rückseiten bieten die Visitenkarten, auch Cartes de visite genannt. Diese wurden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im standardisierten Format von 5,5 × 9 Zentimetern zwischen Freunden und Familienangehörigen ausgetauscht. Auf der einen Seite das Porträt, glänzten sie auch mit ihrer Rückseite, die mit kunstvollen Schriftzügen und Auszeichnungen das Geschäft des Fotografen bewarb. Vielmals wurde die Nummer des dazugehörigen Negativs vermerkt, das der Fotograf für Nachbestellungen aufbewahrte. Je nach Erfolg des Ateliers nahm die Lagerung dieser Glasplatten viel Platz in Anspruch. In Basel gab es etliche Porträtfotografen, der Wettbewerb war hart. Man liess meistens sechs Aufnahmen anfertigen und konnte entweder alle sechs Varianten auf Papier belichten, oder man entschied sich für ein Motiv und liess dieses mehrmals abziehen. Dies kostete einen durchschnittlichen Tageslohn.

Fast immer wurde das Negativ retouchiert, Tränensäcke gemildert und Linien nachgezogen. Die Schwarzweissbilder konnten chemisch verfärbt werden, Brauntöne statt sattes silbernes Schwarz waren sehr beliebt. Die Kartons, auf denen die Abzüge aufgeklebt waren, wurden von spezialisierten Herstellern angeboten. Anhand der grafisch anspruchsvollen und häufig wechselnden Gestaltung lassen sich undatierte Aufnahmen zeitlich ungefähr bestimmen: So finden sich schon früh Firmenstempel.

Um 1860 beschränkte man sich noch auf rein typografische Zeilen, um 1870 wurden sie von Ornamenten umgeben und mit Vignetten bereichert, um 1880 wurde die ganze Rückseite oft bis zum Rand dekoriert, um 1890 waren grosse, diagonal angeordnete Ateliernamen beliebt, um 1900 herrschten florale und um 1910 geometrische Jugendstilmotive vor. Die aufkommende Amateurfotografie liess das Interesse an den teuren Karten schwinden und die Rückseiten wurden fortan mit Stempeln bearbeitet.

Die aufkommende Amateurfotografie liess das Interesse an den teuren Karten schwinden.

Auch in der Pressefotografie spielten die Rückseiten eine wichtige Rolle: Pressefotos reisten als Papierabzüge um die Welt, vielmals von Redaktion zu Redaktion. Die Stationen wurden auf der Rückseite festgehalten: mit Informationen und Kommentaren, registriert, gestempelt und mit gezeichneten Layout-Skizzen versehen. Ohne diese Informationen war das Bild auf der Vorderseite nicht brauchbar.

Das nächste Mal also, wenn Sie ein altes Foto in den Händen halten, sollten Sie die Rückseite genauso aufmerksam betrachten wie die Vorderseite. Es lohnt sich.

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