Crescenda – von der Migrantin zur Firmenchefin

Am 1. September feiert der Verein Crescenda sein 10-Jahre-Jubiläum in der Pauluskirche. Der Ansatz ist nicht karitativ, sondern wirtschaftlich: Das Gründungszentrum unterstützt Frauen aus aller Welt beim Aufbau ihrer eigenen Unternehmen.

10 Jahre Crescenda: Willkommen im Gründungszentrum. (Bild: Romeo Polcan)

Am 1. September feiert der Verein Crescenda sein 10-Jahre-Jubiläum in der Pauluskirche. Der Ansatz ist nicht karitativ, sondern wirtschaftlich: Das Gründungszentrum unterstützt Frauen aus aller Welt beim Aufbau ihrer eigenen Unternehmen.

Der Verein Crescenda residiert in einer prächtigen Jugendstilvilla an der Basler Bundestrasse 5 – dank einer anonymen Spenderin mietfrei. Wo früher Familien der oberen Zehntausend residierten, zeigt Crescenda heute Migrantinnen aus aller Herren Länder den Weg nach oben – oder mindestens in die Mitte der Gesellschaft.

Crescenda ist die weibliche Form von Crescendo und bedeutet im Italienischen so viel wie «das Stärkerwerden». Modernes Businessenglisch ist hingegen Female Migrant Entrepreneurship, so lautet das Vereinskonzept. Auf Deutsch ist schliesslich das Motto formuliert: «Gründungszentrum Crescenda – Wo Migrantinnen zu Unternehmerinnen werden».

Vom Broterwerb bis zur Selbstverwirklichung

«Das soziale Spektrum unserer Klientel reicht von schwer kriegstraumatisierten Flüchtlingsfrauen bis zu gut situierten Ladies mit Hochschulabschluss», erklärt Crescenda-Geschäftsführerin Kiki Lutz. Die Motive, die die Frauen zu Crescenda führen, sind vielfältig: vom schlichten Broterwerb bis zur kreativen Selbstverwirklichung, dem Klimmzug aus bitterer Not bis zum kleinen Schritt zu mehr Lebensqualität und mehr Unabhängigkeit. 

Hoher Besuch zum Jubiläum
Als erste Institution in der Schweiz, die sich der Förderung von Female Migrant Entrepreneurship widmet, feiert Crescenda zehn Jahre Erfahrungen und Erfolg im Empowerment von Migrantinnen, die in der Schweiz beruflich Fuss fassen wollen. Zum Jubiläum erscheint das Fachbuch «Das Crescenda Modell. Migrantinnen als Unternehmerinnen». Die Jubiläumsfeier und Buchvernissage findet am Montag, 1. September 2014, 19 bis 21 Uhr in der Pauluskirche Basel statt. Regierungspräsident Guy Morin wird ein Grusswort an die Anwesenden richten, Bundesrätin Simonetta Sommaruga eine Grussadresse.

Doch Weg und Ziel sind bei Crescenda für die Frauen aus bisher 43 Nationen alle gleich: Abklärung, ob eine Firmengründung theoretisch möglich ist, Vorbereitung und Beseitigung von allfälligen Hürden und schliesslich der Gründungskurs, dem im günstigen Fall eine erfolgreiche Firmengründung folgt.

«Ich bin glücklich, dass wir seit dem Zweiten Weltkrieg in einem Land leben, in das die Menschen einwandern, statt aus bitterer Not auswandern zu müssen», erklärt Lutz. Migration als Bedrohung anzusehen ist für sie nicht nur inhuman, sondern auch volkswirtschaftlicher Unsinn.

Emanzipation durch Wirtschaftskraft

Aber warum arbeitet Crescenda nur mit Frauen? Lutz holt aus: «Frauen, die zum Beispiel einem Partner in die Schweiz folgen, gelten scheinbar als unnütze ‹Anhängsel›, sind entsprechend auch schlechter integriert und oft in der eigenen Diaspora isoliert. Aber jede Migrantin bringt auch Fähigkeiten, Fertigkeiten und neues Wissen mit. Davon können die Betroffene, Gesellschaft und Wirtschaft gleichermassen profitieren. Eine Win-win-Situation. Diese Überzeugung hat vor zehn Jahren zur Gründung von Crescenda geführt.»

Crescenda verfolgt bei der Integration einen ökonomischen Ansatz. Das liegt wohl am politischen Hintergrund Beatrice Speisers, der Gründerin, bis vor kurzem Geschäftsführerin und seit zehn Jahren ehrenamtlichen Präsidentin. Die Zivilrichterin und Rechtsanwältin steht der «Daig»-Partei Liberaldemokraten (LDP Basel) nahe.

Zwar pflegte der Basler «Daig» schon immer eine ausgeprägt humanistische und karitative Tradition. Doch gerade durch den lückenlos durchdachten ökonomischen Charakter wird aus dem humanistischen ein emanzipatorisches Konzept. Immerhin gibt Crescenda den eingewanderten Frauen gleich lange Spiesse in die Hand, wie sie ihre einheimischen und gut vernetzten Konkurrenten und Konkurrentinnen haben.

Bei Bedarf gibts Rabatt

Umsonst gibt es das freilich nicht. Ein Crescenda-Kursprogramm kostet 4500 Franken. Für Migrantinnen oft eine ungeheure Summe, räumt Lutz ein: «Aber bis jetzt ist die Teilnahme noch nie am Finanziellen gescheitert.» Ist das nötige Geld nicht vorhanden, kommt Crescenda den Frauen mit einem Rabattsystem oder Hilfe bei der Finanzierung durch Spenden und Stiftungen entgegen. «In mindestens einem Fall hat sogar das Sozialamt die Ausbildung finanziert.»

Das deckt die Kosten freilich kaum. Der Betrieb von Crescenda wird seit einigen Jahren vorwiegend aus selbst erwirtschafteten Geldern und der Unterstützung von Stiftungen, Privaten und Firmen finanziert. Hinzu kommt die Freiwilligenarbeit etlicher Privatpersonen und Vereinsmitglieder.

Eine philippinische Ingenieurin musste ins Putzgewerbe umsatteln. Nun leitet sie ein erfolgreiches Reinigungsinstitut.

Für den Bau von Luftschlössern ist Crescenda nicht zu haben, erklärt Lutz: «Wir klären sorgfältig ab, ob das Potenzial da ist, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Allerdings verlieren die Frauen bei der Migration nicht nur ihre Netzwerke, sondern oft auch ihre Berufe, weil die Abschlüsse hier nicht anerkannt werden. Für manche bleibt dann tatsächlich nichts als putzen.»

So hat eine philippinische Ingenieurin ins Reinigungsgewerbe umsatteln müssen. Allerdings leitet sie mittlerweile ein erfolgreiches Reinigungsinstitut. Seit 2005 wurden unter der Mithilfe von Crescenda 55 Unternehmen gegründet. Mindestens drei weitere befinden sich aktuell im Aufbau.

Kisuaheli an der Uni

Doch es geht nicht nur um Firmengründungen. Dank Weiterbildungen bei Crescenda haben in den letzten zehn Jahren zahlreiche weitere Migrantinnen erstmals in der Schweiz eine Stelle angetreten oder Karrieresprünge erlebt. Ausserdem haben acht Kursabsolventinnen den sogenannten Känguru-Status. Noch fehlt ihnen das Kapital für die Firmengründung und darum können sie vorübergehend die Crescenda-Infrastruktur benutzen.

An Originalität mangelt es den Crescenda-Start-ups nicht: Neben den zu erwartenden Konzepten wie Cateringservices und Nähateliers, Alten- und Krankenpflege, Informatik oder Buchhaltung finden sich wahre Perlen des Unternehmerinnengeistes. Zum Beispiel eine Kisuaheli-Sprachschule. Wer will schon Kisuaheli lernen, fragen Sie? Sie würden sich wundern. An der Uni gibt die Sprachlehrerin Kurse, zum Beispiel für Mediziner des Tropeninstitutes. Ausserdem bedient sie via Skype den internationalen Markt.

Brachliegende Fähigkeiten anwenden

Eine andere Unternehmerin kombiniert ihre Sprachschule mit sehr beliebten Kulturreisen nach Polen. Eine Mutter von fünf Kindern gründete das Kinderbetreuungsunternehmen «Über den Wolken – Familienbetrieb für Kinderbetreuung». Damit schaffte sie es ins Finale des Nordwestschweizer Jungunternehmerpreises. Mittlerweile betreibt die Frau bereits ein zweites Unternehmen.

«Seit letztem Jahr bieten wir neu auch einen Gastrokurs an. Für Frauen, die es gewohnt sind, grosse Mengen wunderbarer Gerichte zu kochen, und diese Fähigkeit im Gastgewerbe anwenden möchten», sagt Lutz.

«Praktisch jede Migrantin bringt Fähigkeiten mit, die oft brachliegen», betont die Geschäftsführerin. «Und von der Zähigkeit und dem Aufstiegswillen unserer Frauen könnte sich manche einheimische Geschlechtsgenossin eine Scheibe abschneiden.»   

Nächster Artikel