Mäuse, Füchse und andere Viecher sorgen für lebhaften Betrieb in den Bilderbüchern, mit denen die Basler Illustratorin Kathrin Schärer Tausende von Kinderzimmern und ebenso viele Herzen erobert hat.
Angefangen hat alles mit einem Lied von Stiller Has, mit «Ohr verlore» (Hörprobe/Liedtext). Die Baslerin Kathrin Schärer war auf der Suche nach einem Kinderbuch für ihre 4-jährige Nichte, das sie ihr zu Ostern schenken wollte. Sie fand jedoch keines, das ihr gefiel. Also setzte sie sich hin und begann die Geschichte vom Hasen, der ein Ohr verloren hatte und deswegen ganz traurig war, zu zeichnen. Die kleine Nichte freute sich über das Buch, und ihre Tante hatte die Freude am Illustrieren entdeckt. Das war vor 14 Jahren.
Heute zählt Kathrin Schärer zu den renommiertesten Kinderbuch-Illustratorinnen. 23 Bücher hat die 43-Jährige bis jetzt bebildert, acht davon auch getextet. Für «Johanna im Zug», eines dieser acht, erhielt sie 2011 den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis. Für ihr Gesamtwerk war sie dieses Jahr für den Hans-Christian-Andersen-Preis, die international bedeutendste Auszeichnung für Kinderbuchautoren und -Illustratoren, nominiert. Auch im Ausland zählen die Bücher, die in 14 Sprachen übersetzt wurden, zu den Rennern in der Kinderbuch-Branche.
Wer ist der Mutigste von allen?
Eines der bekanntesten mit weltweit über 50 000 verkauften Exemplaren ist wohl «mutig, mutig» aus dem Jahr 2006, das vom Berner Lorenz Pauli geschrieben und von Kathrin Schärer illustriert wurde. Es handelt von vier Freunden, die beschliessen, dass jeder von ihnen etwas machen soll, das er noch nie gemacht hat. Etwas also, das Mut abverlangt. Und einer nach dem anderen zeigt, was er sich traut. Bis auf einen, der sich dem Gruppendruck verweigert. Nun stellt sich die Frage: Wer ist der Mutigste von allen?
In den Geschichten, bei denen Schärer mitgewirkt hat, geht es immer um Dinge, die in einem Kinderleben eine wichtige Rolle spielen: Es geht ums Streiten und Versöhnen, um Ängste und Abenteuer, um Freundschaft und Alleinsein, um Gleichheit und Unterschiede. «Geschichten», sagt eine Mutter und Kita-Betreiberin und erklärter Fan von Schärer, «welche die Gefühls- und Erlebniswelt der Kinder so treffend und witzig beschreiben, wie das nur wenigen gelingt.»
Schimpfen, zetern und jubeln
Schärer bevölkert diese Welt nicht mit Menschen, sondern mit Tieren. Sie sagt, diese böten ihr mehr Möglichkeiten, Gefühle wie Freude, Ärger, Wut darzustellen. Zudem wirke ein wütendes Tiergesicht weniger furchterregend auf ein Kind als das eines Menschen. So schimpfen und zetern und spielen und jubeln in ihren Büchern Mäuse und andere Vier- und Zweibeiner wie Schweine, Füchse und Vögel und natürlich Hasen. Schliesslich hat sie mit einem Hasen angefangen.
Nachdem das Hasenbuch bei ihrer Nichte so gut angekommen war, bot es Kathrin Schärer diversen Verlagen zur Veröffentlichung an. Erfolglos. Doch sie gab nicht auf. Die Idee, künftig Kinderbücher zu illustrieren, liess sie, die an der Basler Hochschule für Gestaltung Zeichen- und Werklehrerin studiert hatte und als solche an der Sprachheilschule in Riehen arbeitete, nicht mehr los. So reiste sie mit dem Hasenbuch und einer Arbeitsmappe voller Zeichnungen sowie Skizzen für ein neues Kinderbuch an die Frankfurter Buchmesse, um dort an den Verlagsständen «Klinken putzen» zu gehen, wie Schärer sagt.
Man habe ihre Arbeiten durchaus wohlwollend begutachtet, «aber damit hatte es sich dann». Bis sie zum Stand von Sauerländer kam und dort Hans ten Doornkaat, verantwortlich für das Bilderbuchprogramm, traf. «Er zeigte ernsthaftes Interesse.» Und 2001 erschien im Sauerländer Verlag Kathrin Schärers erstes Kinderbuch, «Bella bellt und Karlchen kocht». Wenn ten Doornkaat nicht bereit gewesen wäre, sie zu veröffentlichen, sagt Schärer, wer weiss, ob sie es dann weiter versucht hätte.
Gmögig und eigenwillig
Was hat ihn bewogen, Schärer nicht freundlich abzuwimmeln, wie die Konkurrenz es getan hatte? Ten Doornkaat scheint ohnehin so etwas wie ein Entdecker neuer Talente zu sein. Er habe praktisch in jedem Programm auch neue Künstler veröffentlicht, sagt er. «Meistens aufgrund von Bauchentscheiden – die ich dann aber feinsäuberlich begründe.» Bei Schärer sei ihm besonders aufgefallen, wie geschickt sie die Tiere als Protagonisten einsetzt. Nämlich als «gmögige und trotzdem eigenwillige Charaktere». Nur wenige Illustratoren beherrschten das Spiel mit Gestik und Mimik so wie sie. «Bei Tieren gibt es immer diese Jööh-Erwartung, die aber die Gefahr birgt, dem Kitsch zu verfallen.» Kathrin Schärer schaffe diese Gratwanderung.
Als ten Doornkaat (Porträt siehe Rückseite des Artikels) 2004 die Leitung des Atlantis Bilderbuch-Verlages übernahm, arbeitete er denn auch weiterhin mit Schärer zusammen. Und mit dem Autor Lorenz Pauli. «Diese Zusammenarbeit ist für mich ein grosses Glück», sagt ten Doornkaat. «Lorenz Pauli entwickelt eine Idee, Kathrin Schärer nimmt den Ball auf.» In Mails und Telefonaten und ab und an auch gemeinsam an einem Tisch gehe es dann darum, den Worttext und den Bildtext zu intensivieren. «Keiner beansprucht für sich, die bessere Idee gehabt zu haben – das fertige Buch ist auch Abbild des gegenseitigen Vertrauens.»
Andersartig und lustig
Tatsächlich haben sich Schärer und Pauli nach dem ersten gemeinsamen Kinderbuch mit dem Titel «Wie weihnachtelt man?» zu einem gut funktionierenden Gespann entwickelt und mehrere Bücher gemeinsam geschaffen; diesen Herbst ist das elfte der beiden erschienen, selbstverständlich im Atlantis-Verlag. «Nur wir alle» – eine Geschichte, wie dank Andersartigkeit spannende Abenteuer zustande kommen können.
Mögen einige nun aufgrund dieser Kürzest-Zusammenfassung die Nase rümpfen und ein spöttisch gemeintes «aha, pädagogisch wertvoll» auf der Zunge haben, urteilen sie voreilig. Pädagogisch wertvoll ist das Buch wohl, aber weil es lustig ist – weil man es gerne anschaut und liest und vorliest. Schon dieser Einstieg: «Kurz bevor die Geschichte begann, langweilte sich der Hirsch noch», und es blickt einem ein Hirsch so unglaublich angeödet entgegen … – so provozierend gelangweilt, wie Kinder es manchmal tun, wenn sie nervig herumnölen. «Nur jemand, der Kinder wirklich kennt», sagt die eingangs erwähnte Mutter, «kann sie so gut erfassen.» Und sie ist sich fast hundertprozentig sicher, dass Kathrin Schärer selber Kinder hat. Hat sie aber nicht.
Diese Zuneigung zu Kindern
Sie habe immer sehr engen Kontakt zu den beiden Kindern ihrer Schwester gehabt, sie auch oft gehütet, sagt Schärer. Ausserdem war und ist sie in ihrer Tätigkeit als Lehrerin – seit ihrem Erfolg als Kinderbuch-Illustratorin noch vier Stunden wöchentlich – mit Kindern zusammen. Vor allem aber mag sie Kinder. «Diese Offenheit, ihre Spontaneität, das Verspielte, das Witzige.»
Vermutlich ist es diese Zuneigung, was diese Kinderbücher so besonders macht: Da taucht nie ein erwachsener Zeigefinger auf, der in die richtige Richtung weist; die Kinder respektive Hase, Maus, Schwein & Co. entdecken selber, was ihnen guttut und was nicht. Es sei ihr einfach ein Anliegen, sagt Kathrin Schärer, dass Kinder ernst genommen würden – «dass man sie nicht immer klein macht, sondern sie stärkt, in dem, was sie können».
«Bildergeschichten verleihen Flügel» heisst die Verkaufsausstellung von Kathrin Schärers Arbeiten (Originale, Postkarten und Bücher), die noch bis zum 31. Januar im «wohnetc.» an der Rheingasse 23 in Basel läuft. Die Illustratorin ist am 16. und 23. Dezember von 11 bis 17 Uhr vor Ort und signiert ihre Bücher.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.12.12