Russisches Roulette mit der Welt

Die 18. UNO-Klimakonferenz in Doha hat die Welt auf dem Weg zu einem umfassenden Klimaschutz kaum weitergebracht. Das gefährliche Spiel mit dem Weltklima geht weiter. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

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Die 18. UNO-Klimakonferenz in Doha hat die Welt auf dem Weg zu einem umfassenden Klimaschutz kaum weitergebracht. Das gefährliche Spiel mit dem Weltklima geht weiter. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Das Positive vorweg: Die EU, die Schweiz, Norwegen und ein paar ­weitere Industriestaaten haben sich in Doha (Katar) bereit erklärt, das ­Kyoto-Protokoll weiterzuführen. Es ist bisher der einzige international gül­tige Klimavertrag. Bis 2020, so lautet die neue Verpflichtung, wollen die Staaten ihren Treibhausgasausstoss weiter reduzieren. Allerdings machen viele grosse Ver­ursacher wie die USA, China, Japan oder Brasilien nicht mit. Die Länder, die sich an Kyoto II beteiligen, stossen nur 14 Prozent der weltweiten Treibhausgase aus.

Beim neuen Vertrag dabei ist Australien, das in internationalen Verhandlungen früher als Bremser auftrat. Der rote Kon­tinent ist besonders stark vom Klimawandel betroffen: Austra­lische Forscher halten bis Ende des Jahrhunderts jährlich bis zu 10 000 Hitzetote, häufigere Buschbrände und eine Zerstörung des Great Barrier Reef für möglich.

Von Beginn weg für Probleme sorgten in Doha Russland und andere osteuropäische Staaten wie Polen und die Ukraine. Sie wollten die überschüssigen Emissionsrechte aus der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls (die sogenannte heisse Luft) uneingeschränkt weiternutzen, das heisst sie auch verkaufen können. Diese Staaten stossen heute 30 bis 40 Prozent weniger Treibhausgase aus als noch 1990 – und zwar nicht, weil sie sich im ­Klimaschutz besonders angestrengt hätten, sondern weil ihre Industrien mit dem Ende der Sowjetunion zusammenbrachen.

Nach langem Feilschen wurde schliesslich eine Lösung gefunden. Polen darf sich seine Emissions­zertifikate teilweise anrechnen lassen, weil es bei der Neuauflage von Kyoto mitmacht – nicht aber Russland, weil es beim Protokoll aussen vor bleibt.

Was wurde an der Weltklimakonferenz in Doha verpasst?

Um die Folgen des Klimawandels ­bewältigen zu können, sollte die globale Temperatur nicht um mehr als zwei Grad steigen. Gemessen an diesem Ziel, ist man in Katar nur ein Minischrittchen vorangekommen. Vor allem haben es die an der Konferenz versammelten über 190 Staaten verpasst, den weiteren Fahrplan festzu­legen, um einen Weltklimavertrag auf den Weg zu bringen, an dem sich alle Staaten beteiligen wollen.

Dieser Vertrag soll bis 2015 vorliegen, damit ihn die einzelnen Staaten noch ratifizieren können und er 2020 in Kraft tritt. Denn so viel ist klar: Um das Klima wirksam zu schützen, müssen sich auch die Schwellen- und ­Entwicklungsländer sowie die USA beteiligen, die bei den bisherigen Klima­abkommen nicht mitmachten.

Auch bezüglich der Finanzierung von Klimaschutzmassnahmen in armen Ländern gab es in Doha kaum konkrete Zusagen seitens der Indus­trieländer. Umweltverbände kritisierten das Ergebnis des Gipfels denn auch hart: «Es ist, als ob der Christbaum Feuer fangen würde und alle streiten, wer die Löschdecke holt», sagt Patrick Hofstetter vom WWF.

Gibt es den Klimawandel überhaupt?

Die Faktenlage ist erdrückend. Selbst Skeptiker räumen ein, dass sich das Weltklima in den letzten Jahrzehnten erwärmt hat. Nach Angaben der Weltmeteorologie-Organisation ist die Tem­peratur seit Beginn des 20. Jahrhunderts um rund 0,75 Grad gestiegen. In den letzten Jahren hat sich der Anstieg beschleunigt.

Dass die Erwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts menschenverursacht ist, hält der UNO-Weltklimarat für «unzweifelhaft» und «sehr wahrscheinlich» (Wahrscheinlichkeit: 90 Prozent). Hauptverantwortlich dafür ist der Ausstoss von Treibhaus­gasen wie Kohlendioxid (CO2), Methan (das etwa bei der ­Viehzucht und der Förderung von Erdgas freigesetzt wird) und von Gasen, die bei der Industrieproduktion ent­stehen (zum Beispiel teilhalo­genierte Kohlenwasserstoffe).

Was tut die Schweiz gegen den Klimawandel?

Die Schweiz verpflichtete sich in Doha für eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls bis 2020. Bundesrätin Doris Leuthard sagte auf der Konferenz, die Schweiz wolle Vorreiterin sein im internationalen Klimaschutz. Auch bei früheren Konferenzen war die Schweiz eher Treiberin als Bremserin.

Angesichts seiner Wirtschaftskraft könnte das Land aber bedeutend mehr tun. So beschloss das Parlament im CO2-Gesetz zwar eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 20 Prozent allein im Inland. Der Bundesrat setzt die entsprechende Verordnung aber nur zögerlich um – zudem will er den Ausstoss von Gaskraftwerken nicht einberechnen.

Inwiefern wird die Schweiz vom Klimawandel betroffen sein?

Durch das Abschmelzen von Gletschern und das Auftauen von Permafrost, das in hohen Lagen zu Fels­stürzen führen kann, wird die globale Erwärmung massive Auswirkungen auf die Schweiz haben. Weil der Meeresspiegel ansteigt, drohen weltweit grosse Fluchtbewegungen – auch davon ist die Schweiz betroffen.

Welche Auswirkungen sind weltweit zu erwarten?

Während die Schweiz die Auswirkungen dank ihrer wirtschaftlichen Kraft vielleicht noch knapp in den Griff bekommen kann, sind Menschen in ärmeren Ländern den Folgen viel stärker ausgesetzt. Kriege um Wasser und fruchtbares Land werden sicher zunehmen.

Im letzten Jahr anerkannte der UNO-Sicherheitsrat, das höchste Gremium der Vereinten Nationen, den Klimawandel als Gefahr für den Weltfrieden. Seither muss der UNO-Generalsekretär den Sicherheitsrat regelmässig in dieser Sache informieren. Das ist ein deutliches Zeichen, dass wegen des Klimawandels nicht bloss der Erhalt von ein paar Gletschern auf dem Spiel steht, sondern das friedliche Zusammenleben der Menschen und damit die menschliche Sicherheit.

Was kann der Einzelne für den Klimaschutz tun?

Freiwillige Massnahmen werden nie und nimmer ausreichen, um die Klimaerwärmung zu begrenzen, so viel ist klar. Dennoch sind sie wichtig, weil viele kleine Beiträge doch etwas bewirken und Nachahmer auf den Plan rufen können. Durch Isola­tion des Hauses oder Montage einer Wärmepumpe kann der Einzelne ­einen Beitrag leisten. Wer auf eine gros­se Karosse verzichtet oder den Fleisch-­konsum einschränkt, verkleinert seinen ökologischen Fussabdruck ebenfalls. Bei einer Flugreise kann laut WWF so viel CO2 ausgestossen werden wie von einem Auto während eines ganzen Jahres. Belastend fürs Klima sind auch die in Mode gekommenen Wochenend­urlaube mit dem Flugzeug.

Welche Rolle spielt die Berichterstattung in den Medien?

Im Vorfeld der Klimakonferenz von Kopenhagen vor drei Jahren gab es eine breite Berichterstattung. Die Konferenz endete im Fiasko, seither ist das Thema zum Teil etwas in Vergessenheit geraten. Da es mit dem Klimaschutz nur harzig vorangeht, sind die Berichte darüber spärlicher geworden.

Die vielen «Unkenrufe über einen Weltuntergang» würden die Menschen zusehends ermüden, kritisierte «Die Welt» vor zwei Jahren. In der Schweiz versuchen rechtskonservative Medien wie etwa die «Weltwoche» gezielt, die Erderwärmung in Zweifel zu ziehen und Verunsicherung zu schüren, um die Massnahmen für den Klimaschutz zu diskreditieren.

Wie viel Zeit bleibt noch?

Da die Treibhausgase sehr lange in der Atmosphäre verweilen, ist dringendes Handeln angesagt. Um die Er­wär­mung auf zwei Grad zu beschränken, muss der weltweite Aus-stoss an Treibhausgasen rasch stabilisiert und dann ­gesenkt werden. Modell­rechnungen gehen nämlich davon aus, dass ein Drittel der CO2-Menge, die zwischen 2000 und 2050 emittiert werden dürfte, allein schon bis 2010 in die Luft gepustet wurde. Wird nicht entschieden gehandelt, dürften die Temperaturen laut Weltbank bis Ende des Jahrhunderts um vier Grad steigen.

Gibt es Alternativen zu den schwerfälligen Klimaverhandlungen?

Alternativen zu den UNO-Klimakonferenzen, die im Konsensprinzip verlaufen müssen, sind bisher kaum in Sicht. Das Engagement einzelner Ländergruppen, die über die Ziele an den UNO-Konferenzen hinausgehen, könnte etwas bewirken. Man kann sich fragen, wie lange die Bevölkerung dem Treiben noch apathisch zusieht und warum sie die Politiker in ihren Ländern nicht durch Druck von unten dazu bringt, das russische Roulette, das die Menschen zurzeit spielen, zu beenden. Dies liegt wohl auch daran, dass der Klimawandel im Alltag kaum wahr­genommen wird. Ein heisser Sommer oder ein warmer Winter ­allein machen noch keinen Klimawandel aus. Erst durch einen Vergleich der Tem­peraturen über Jahrzehnte werden die Veränderungen manifest.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 14.12.12

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