An Konzerten spielt die beste Band normalerweise zuletzt, so können sich im Vorprogramm unbekanntere Musiker im Glanze des Hauptacts sonnen. Diese vielfach erprobte Dramaturgie wurde an der Tagung «Terror, Lüge, Wahrheit» auf den Kopf gestellt. Im Kulturraum Scala Basel sprach am Samstag der Star gleich als Erster.
Daniele Ganser eröffnete einen knapp dreistündigen Vortragsmarathon vor vollem Saal, und es war klar, dass die meisten Zuschauer wegen ihm gekommen waren. Und gekommen waren viele.
An der Kasse standen die Menschen geduldig Schlange, trotz unübersehbaren «Ausverkauft»-Schildern. Die Tickets kosteten 60 Franken und waren bereits seit Wochen vergriffen. So mussten die Türsteher unablässig Leute abwimmeln, denen dann die Enttäuschung gross ins Gesicht geschrieben stand. Die Nachricht, dass nur noch eingelassen werde, wer mehr als 600 Kilometer angereist sei, spendete da wenig Trost.
Alle drei Referenten hinterfragen die offizielle Geschichtsschreibung zu den Terroranschlägen von 9/11.
Zur Tagung eingeladen hatten die Anthroposophische Gesellschaft Paracelsus-Zweig Basel sowie der ebenfalls anthroposophische Perseus-Verlag. Auch das «Scala Basel», ein ehemaliges Kino in der Freien Strasse, wird von Anhängern Rudolf Steiners betrieben. Vor diesem Hintergrund hatte die Auswahl der Referenten im Vorfeld für Diskussionen gesorgt. Ein Artikel in der «bz Basel» sprach von «Verschwörungsmystikern», welche die Steiner-Bewegung «kapern» würden.
Neben Historiker Ganser traten auch der israelisch-isländische Komponist und Publizist Elias Davidsson sowie der Gründer des Perseus-Verlags, Thomas Meyer auf. Alle drei hinterfragen die offizielle Geschichtsschreibung zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York.
Bevor Ganser mit seinem Vortrag zum Thema «Können wir den Medien vertrauen?» loslegen konnte, sprach Meyer als Mitveranstalter einige Worte zur Begrüssung. Er nahm Bezug auf die kritische Berichterstattung im Vorfeld der Tagung und verwies das Publikum darauf, dass er im Foyer alle Artikel in Plakatgrösse aufgehängt habe. Dort könne man sich ein Bild davon machen, mit welchen Widerständen eine Veranstaltung wie diese heutzutage rechnen müsse. «Ich gratulieren Ihnen allen dazu, dass Sie trotzdem den Mut aufgebracht haben, heute hierher zu kommen.»
Auftritt Ganser
Anders als der Veranstalter hält sich Ganser an die erprobte Dramaturgie – er sucht die Eskalation. In lockerem Plauderton beginnt er, Fälle von medialer Bildmanipulation aufzuzählen, mit zunehmender Tragweite. «Paris Match» hat bei Nicolas Sarkozy ein Speckröllchen wegretuschiert (Gelächter). Die ARD hat Aufnahmen eines Bombenangriffs in Afghanistan als solche aus Syrien deklariert (kollektives Kopfschütteln). Der «Blick» hat nach dem Attentat in Luxor eine Wasserpfütze rot eingefärbt (verächtliches Schnauben).
Die Botschaft:
«Wenn ihr solche Berichte konsumiert, wenn ihr tendenziöse Schlagzeilen lest, dann gelangen diese Informationen in eure Gedanken. Ihr denkt, was euch die Journalisten vorsetzen. Doch euch muss eines bewusst sein: Ihr seid nicht eure Gedanken und Gefühle, ihr könnt das steuern, hinterfragen, darüber stehen.»
Seinen Superhit spielt Ganser erst zum Schluss. Er weiss, wie man das Publikum bei der Stange hält. Bei den Ereignissen vom 11. September 2001 hätten die Medien komplett versagt, ist Ganser überzeugt. «Die vielen offenen Fragen wurden nie thematisiert, die offiziellen Erklärungen nie hinterfragt.» 9/11 stellt für Ganser den grossen medialen Sündenfall dar. Danach war es um die Glaubwürdigkeit der grossen Medienhäuser geschehen.
Ganser selbst traut den Medien nur noch in zwei Bereichen: «Sport und Wetter». Und er gibt dem Publikum ein Werkzeug mit, den «Medien-Navigator» der anonymen Website «Swiss Propaganda Research». Damit werden Medien in nato-konform und nato-kritisch, konservativ und egalitär eingeteilt. Die «bz Basel» sei gemäss diesem Navigator übrigens nato-konform, es sei also nicht erstaunlich, dass ausgerechnet dort ein kritischer Artikel über die Tagung erschienen sei.
Mit diesem Aufruf zum kollektiven Misstrauen beendet Ganser seinen Vortrag unter tosendem Applaus. Damit legt er die Grundlage für die beiden weiteren Referenten. Die Zuschauer sind geistig eingespurt und haben Fahrt aufgenommen.
Frei von Quellenangaben
Was Davidsson und Meyer an rhetorischem Geschick und Charisma fehlt, machen sie mit steilen Thesen wett. Beide machen sich erst gar nicht die Mühe, ihre zynischen bis wirren Botschaften vernünftig einzubetten.
Davidsson erzählt, frei von Quellenangaben, wie westliche Geheimdienste mittellose und deshalb manipulierbare Muslime zu Terroristen heranzüchten und so «das fiktive Feindbild des islamistischen Terrors» nähren würden. Wie Ganser auch beschäftigt er sich vor allem mit 9/11, doch Davidsson stellt auch neuere Attentate infrage. So bezeichnet er etwa den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 als Inszenierung und bezweifelt, ob es dabei überhaupt Opfer gegeben habe.
Deutschland sei von den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Schuldrolle gedrängt worden.
Gänzlich wirr wird es dann bei Meyer. Der anthroposophische Verleger und Publizist hätte eigentlich einen Heimbonus, doch sein Referat stösst auf wenig Anklang. An ihm würde es liegen, den Brückenschlag von Ganser zu den Lehren Rudolf Steiners zu leisten. Allein, es fehlt die Kohärenz.
Sein Vortrag mäandert zwischen 9/11 und Pearl Harbor, plötzlich geht es um den Bolschewismus, dann um den Ersten Weltkrieg und schliesslich kommt Meyer auch noch auf den «deutschen Schuldkult» zu sprechen: Deutschland sei von den Amerikanern nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Schuldrolle gedrängt worden. Es sind Aussagen, wie man sie auch von AfD-Rechtsauslegern wie Björn Höcke kennt.
Dies alles diene irgendwelchen okkulten «Logen» dazu, Europa kleinzuhalten und eine Super-Weltregierung aufzubauen. Schliesslich plädiert Meyer dafür, eine «Kategorie des Dämonischen» in die Geschichtswissenschaften einzuführen. Zur Erklärung von Hitler und so.
Geplauder über gleichgeschaltete Medien
Als das Licht angeht und sich die Zuschauer nach knapp drei Stunden endlich wieder regen können, ist die Freude über eine Pause dann auch spürbar. Kurzkritik aus dem Zuschauerraum:
«Na ja, das war jetzt rhetorisch nicht besonders.»
«Ist aber auch hart, nach Daniele.»
«Stimmt. Daniele war wieder mal super.»
Im zweiten Teil der Tagung dürfen die Referenten dann an einem Podium über ihr Lieblingsthema reden: sich selbst. Unter der Leitung von Ken Jebsen diskutiert die Runde darüber, wie es sich so lebt, wenn man unbequeme Wahrheiten ausspricht – also das, was sie für Wahrheiten halten.
Jebsen ist Betreiber des Online-Mediums «KenFM» und neben Ganser der zweite anwesende Superstar. Seine Videos, oft stundenlange Gespräche mit Publizisten und Forschern jenseits des wissenschaftlichen Konsenses, erreichen über Youtube Hundertausende. Auch diese Veranstaltung im «Scala» wird von «KenFM» aufgezeichnet. Jebsen war früher Radiomoderator in Berlin, verlor diese Stelle aber nach Antisemitismus-Vorwürfen.
Jebsen und Ganser verbindet noch etwas: Sie sind beide ehemalige Steiner-Schüler.
So ein Rausschmiss macht sich hervorragend im Lebenslauf eines «kritischen Geistes», deshalb darf auch Ganser nochmals erzählen, wie er damals mit seiner 9/11-Forschung an der ETH in Ungnade fiel. Es ist bis heute sein wichtigstes Verkaufsargument und grösstes Kapital in Sachen Glaubwürdigkeit. Ein Stigma, das er wie einen Orden an der Brust vor sich herträgt.
Jebsen und Ganser verbindet noch etwas: Sie sind beide ehemalige Steiner-Schüler. «Wir mussten uns jahrelang für Eurythmie rechtfertigen. Da kann uns das Etikett des Verschwörungstheoretikers nicht schmerzen», scherzt Jebsen.
Welche Wirkung das Geplauder über die «gleichgeschalteten Medien» und «Kritiker des Meinungsterrors» beim Publikum entfaltet, wird klar, als die Mikrofone für Zuschauerfragen geöffnet werden.
«Ich misstraue den Medien, ich misstraue der Politik, ich misstraue den Gerichten, ich misstraue der Wissenschaft. Was können Sie mir raten, Herr Jebsen?»
«Wer an gar nichts glaubt, ist orientierungslos. Sie sollten sich also für etwas oder jemanden entscheiden, dem Sie Glauben schenken.» Dass Jebsen damit seine eigene Plattform meint, muss er gar nicht aussprechen. Ganser und die anderen Referenten haben ihn an diesem Tag oft genug als einen der wenigen vertrauenswürdigen Journalisten bezeichnet.
«Herr Davidsson, Sie haben erzählt, wie westliche Geheimdienste Muslime zu Terrortaten verführen. Ist der Islam nicht auch als Religion besonders anfällig für Radikalisierung?»
Davidsson erklärt, dass Terror nichts mit Religion oder Ideologie zu tun habe. «Oder sprechen wir bei all den Greueltaten der Amerikaner etwa von ‹demokratischem Terror›?»
«Wir haben heute ausschliesslich Männern zugehört und über Männer gesprochen. Hat das viele Leid, über das wir gesprochen haben, nicht vielleicht auch damit zu tun, dass die ganze Welt von Männern dominiert wird?» (Auf diese erste Wortmeldung einer Frau reagiert das Publikum mit einem genervten Ächzen.)
«Nicht die Welt wird von Männern dominiert, sondern das System», sagt Jebsen. «Wer im System reüssiert, wird männlich. Das sieht man an Angela Merkel, die ist ja auch ein Mann.» Gelächter. Er suche schon lange nach Frauen, die bei «KenFM» vor die Kamera treten wollen, «aber die trauen sich einfach nicht». Jebsen richtet sich gönnerhaft an die Fragestellerin: «Sie können gerne meinen Job machen, wenn Sie wollen.» Verächtliches Prusten.
«Nachdem wir uns nun alle darüber klargeworden sind, wie schlecht es heute um die Wahrheit steht: Was tun wir, damit wir nicht verzweifeln?»
«Sie können die Welt nicht verändern, wenn Sie schlecht drauf sind», sagt Jebsen. Man solle sich deshalb regelmässig digitale Auszeiten nehmen, Bücher lesen, sich um seine Familie kümmern. Auch Ganser hat noch einen Tipp parat: «Machen Sie jeden Tag drei Menschen ein Kompliment.»
Von den Mächtigen betrogen
Mit diesen frohen Botschaften werden die Zuschauer in den Abend entlassen. Doch viel stärker als der zum Schluss versprühte Optimismus wirkt das Bauchgefühl, von den Mächtigen betrogen zu werden. An dieser Tagung wurde kein einziger Mensch bekehrt, darum ging es Ganser, Jebsen und den beiden anderen auch nicht.
Man ist an diesem Samstagnachmittag zusammengekommen, um sich gegenseitig darin zu bestärken, zu den Erleuchteten, zu den wachen Geistern zu gehören. Die nächste Gelegenheit dazu gibt es schon bald wieder. Dank grosser Nachfrage werden Ganser und Meyer einen zusätzlichen Vortrag halten. Mitte April in der Waldorfschule Schopfheim.
Schöner Nebeneffekt für die Referenten: Mit der Wut des Betrogenen im Bauch kaufen sich ihre «Wahrheiten» am Büchertisch noch besser.