Im 19. Jahrhundert wurde Baselland zu einem Industriekanton. Noch heute aber pflegen die Baselbieter ein ländliches Bild ihres Kantons.
Dört obe weide d’Herde, do nide wachst der Wi», «die einte mache Bändel, die andre schaffe s Feld» – es ist eine ländliche Welt, die Wilhelm Senn (1845–1895) in den Versen des Baselbieter Lieds beschwört. Und eine leicht verklärte Welt. Die Zeilen waren bereits überholt, als sie 1887 oder 1888 geschrieben wurden. Der Wandel, der aus dem Land- schliesslich einen Industriekanton machte, hatte bereits begonnen und verschiedene Ursachen. Einige sollen im Folgenden genannt werden.
Die erste Ursache hat ihren Ursprung noch vor der Geburt vom Autor des Baselbieter Liedes: 1836 fand Carl Christian Friedrich Glenck in Muttenz einen Stoff, der nicht nur bei der Konservierung von Lebensmitteln und für die Viehhaltung benötigt wurde, sondern auch in der chemischen Industrie eine wichtige Rolle spielen sollte: Salz.Ein Jahr später nahm bereits die Saline Schweizerhalle den Betrieb auf, 1844 die chemische Fabrik der Brüder Gutzwiller. Während die Salzproduktion sogleich florierte, brauchte die chemische Industrie eine längere Anlaufzeit. Der Umschwung trat erst ein, als Anfang des 20. Jahrhunderts Geigy und Sandoz nach Baselland expandierten.
Anschluss ans Schienennetz
Ein Motor des Wandels war auch der Bau der Eisenbahnlinie Basel–Olten, der 1858 mit der Einweihung des Hauenstein-Tunnels zwischen Läufelfingen und Trimbach seinen Abschluss fand und unsere Region ans wachsende Schweizer Eisenbahnnetz anschloss.
Mit dem neuen Transportmittel kamen Waren und Reisende schneller ans Ziel. Die Pferdefuhrwerke, mit denen die Transporte ins Schweizer Mittelland bis anhin durchs Homburger- oder Waldenburgertal erfolgt waren, konnten nicht mithalten. Der Verkehr verlagerte sich von der Strasse auf die Schienen. Und das Verkehrsmittel etablierte sich auch in der Region: Ab 1875 war auch das Laufental durch die Jurabahn, die die Strecke Basel–Delémont–Delle bediente, für das «Dampfross» erschlossen. 1880 erhielt das Waldenburgertal eine Bahn, und in den Jahren 1912–1916 entstand mit dem Hauenstein-Basistunnel eine neue Eisenbahnlinie von Sissach nach Olten.
Wein wird im Baselbiet auch heute noch hergestellt. Doch die Zeiten, da dies in rauen Mengen geschah, sind schon lange Vergangenheit. Eingeläutet wurde deren Ende durch die Missernten der Jahre 1887 bis 1892, als Echter und Falscher Mehltau und die Rebläuse den Rebstöcken zu schaffen machten. Die Möglichkeit, mit der Eröffnung des Gotthardtunnels im Jahr 1882 in grossem Umfang billige Weine aus dem Süden zu importieren, und steigende Lohnkosten taten das Ihre. War die Fläche, auf der im Baselbiet Rebbau betrieben wurde, im Jahr 1876 noch 726 Hektaren gross, war sie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf ein Viertel zusammengeschrumpft. Vor einigen Jahren lag sie noch bei rund 100 Hektaren.
In vielen Köpfen kursieren noch immer die alten Bilder.
Als bedeutsam für den Wandel der Ökonomie im oberen Kantonsteil sollte sich auch ein Wirtschaftszweig erweisen, dessen Anfänge auf die 1850er-Jahre zurückgehen. Damals beschloss die Gemeinde Waldenburg, mit dem Aufbau einer kleinen Uhrenindustrie Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Gemeinde hielt dies für nötig, weil der Siegeszug der Eisenbahn Arbeitsplätze im Fuhrwesen, beim örtlichen Handwerk und Gastgewerbe zerstörte. Zudem verschwanden damals mit dem Übergang vom arbeitsintensiven Getreideanbau zur Milchproduktion auch in der Landwirtschaft Arbeitsplätze.
Die Gemeinde verkaufte die Ateliers bald an einen privaten Unternehmer. In der Folge siedelten sich in Baselland weitere Uhrenfabriken an. Im Jahr 1925 gab es in 18 Gemeinden der Bezirke Waldenburg und Sissach 33 Fabriken. Fünf Jahre später arbeiteten 1824 Beschäftigte in diesem Industriezweig.
Die Entwicklung hin zur Fabrikanfertigung lässt sich auch in einem Kernbereich des im Baselbieter Lied besungenen Wirtschaftens beobachten. Wurden die Seidenbändel ursprünglich im Verlagssystem von Heimposamentern hergestellt, so wurde deren Produktion zusehends von Seidenbandfabriken übernommen, während die Heimposamenter als Konjunkturpuffer eingesetzt wurden.
Angesichts der geschilderten Entwicklungen wird nachvollziehbar, dass im Jahr 1926 ein Referent in einem Vortrag vor der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Basel zum Schluss kam, Baselland habe um 1900 «längst aufgehört, ein agrikoles Gebilde zu sein». 1952 äusserte Fritz Grieder in seiner Schrift «Die Beziehungen zwischen den beiden Halbkantonen seit deren Trennung» gar die Überzeugung, dass «vom früheren strukturellen Gegensatz zwischen dem bäuerlich orientierten Landkanton und der stark industrialisierten Stadt mit Fug und Recht nicht mehr die Rede sein» könne, «wie gerne auch interessierte Kreise dann und wann einen solchen konstruieren möchten».
Gewerbe wuchs, Dörfer auch
Zumindest für Gemeinden wie das Industriedorf Pratteln dürfte Grieders These voll zutreffen. Hier siedelten sich im Laufe der Jahre verschiedene Industrieunternehmen an, unter anderem die Pneufabrik Firestone, die 1935 mit 122 Mitarbeitern die Produktion aufnahm. Nach dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte Firestone zeitweise 1450 Mitarbeiter.
Die Schliessung von Firestone im Jahr 1978 und die damit verbundenen Massenentlassungen machten deutlich, dass die Wirtschaftskrise der Industriestaaten auch im Baselbiet angekommen war. Es sollte nicht bei dieser einen Firmenschliessung bleiben. Was folgte, war vielerorts eine Teil-Entindustrialisierung. Zurückgeblieben sind an verschiedenen Orten brach-liegende Gewerbegebiete. Es sind die Gebiete, in denen die Wirtschaftsförderung nun neue, innovative Unternehmen ansiedeln will.
Einfamilienhaus-Idyll mit tristem Ausblick: Das ABB-Areal in Arlesheim ist heute eine Industriebrache. (Bild: Amir Mustedanagic)
In vielen Köpfen sind aber noch immer die alten Baselbiet-Bilder drin. Gerade im Hinblick auf die Abstimmung über eine Fusion der beiden Basel wird die ländliche Welt wieder hundertfach heraufbeschworen. «Dört obe weide d’Herde, do unde wachst der Wi», singen die Fusionsgegner an ihren Veranstaltungen. So grenzen sie sich von der ungeliebten Stadt ab, die so anders als ihr geliebtes Baselbiet eigentlich gar nicht ist.
Ganz abgesehen davon scheint zumindest eine Aussage des Liedes auch heute noch wahr zu sein. Der Baselbieter sei nicht gerade entscheidungsfreudig. «Er chönn nit säge ‹jo›», heisst es in der letzten Strophe. «Er säg blos: ‹Mir wei luege.›»
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 28.02.14