«Das Bild, dass Pfeifen etwas Weibliches sei, muss aus den Köpfen verschwinden»

Eigentlich gibt es keinen Grund, weshalb Buben nicht Piccolo spielen sollten. Überholte Rollenbilder erschweren aber die Nachwuchssuche bei den Pfeifern – besonders bei den Männercliquen. Diese versuchen nun, Gegensteuer zu geben.

Das Piccolo als weiblich besetztes Instrument, das Trommeln als männliches Ritual: Wer sagt, dass das so sein muss? Fasnächtler plädieren dafür, alte Klischees zu hinterfragen.

(Bild: GEORGIOS KEFALAS)

Eigentlich gibt es keinen Grund, weshalb Buben nicht Piccolo spielen sollten. Überholte Rollenbilder erschweren aber die Nachwuchssuche bei den Pfeifern – besonders bei den Männercliquen. Diese versuchen nun, Gegensteuer zu geben.

Schon in der Jungen Garde hörte er die Sprüche: «Pfyffe ist doch Mädchenzeug.» Doch davon liess sich Michael Robertson nicht abschrecken: In den letzten Jahren hat er die Basler Pfeiferkunst als Komponist und Arrangeur wesentlich mitgeprägt. Über 100 Stücke stammen aus seiner Feder. Etwa 20 seiner Fasnachtsmärsche – darunter San Carlo, Fritzli, Ueli und Hofnaar – finden sich in so manchem Cliquenrepertoire. Ein Bub trommelt, ein Mädchen pfeift – mit diesen Rollenbildern kann er gar nichts anfangen: «Ich begreife nicht, warum das überhaupt mit dem Geschlecht in Verbindung gebracht wird – das ist nichts anderes als ein Klischee», findet Michael Robertson.

Das Piccolo wird zu Unrecht abgewertet

Das Vorurteil hat Konsequenzen für den fasnächtlichen Nachwuchs. Alain Grimm, Präsident der Basler Mittwoch-Gesellschaft 1907 (BMG), kann davon ein Lied singen: Seine BMG ist keine Stammclique mehr – die Junge Garde der Männerclique wurde sistiert, wobei sie längerfristig wieder zum Leben erweckt werden soll. Dass das Piccolo bei den Buben wenig Prestige geniesst, hat mehrere Gründe: «In einer patriarchalischen Familienstruktur wurde früher vorgegeben, wer trommelt oder pfeift – und wer in den Augen autoritärer Trommellehrer nicht gut war, wurde bestenfalls in die Pfeiferschule geschickt», erklärt Alain Grimm. «Das führte natürlich zu einer Abwertung der Pfeifer gegenüber den Tambouren – zu Unrecht.»

Der mangelnde Nachwuchs bei den Buben, die sich für das Piccolo entscheiden, ist nicht das einzige Problem für Männercliquen wie die BMG. Es gibt auch ganz praktische Gründe, die ihnen zum Nachteil werden: Viele Eltern ziehen es vor, ihre Töchter und Söhne in der gleichen Clique unterzubringen – das vereinfacht die Organisation des Familienalltags.

Manche Männercliquen haben sich daher geöffnet – das bekannteste Beispiel sind wohl die Vereinigten Kleinbasler (VKB), bei denen seit 2004 auch Mädchen und Frauen mitspielen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war der Pfeifermangel, bestätigt Severin Obertüfer, Obmann der Jungen Garde: «Im Stamm gibt es momentan doppelt so viele Tambouren wie Pfeifer, bei den Jungen ist das Spiel inzwischen recht ausgeglichen.» Aber auch dort sei die musikalische Genderfrage spürbar: Unter sieben Anmeldungen für die Pfeiferstunden sei meistens nur ein Bub. Umgekehrt sei das Verhältnis ähnlich: Bei den 17 Tambouren «ruesse» drei Mädchen mit.

Das Ende des fasnächtlichen Machismo

Zählebige Rollenverteilungen spiegeln sich also auch in den gemischten Cliquen. Der Kolumnist -minu sieht die Gründe dafür in der Geschichte der Basler Fasnacht, die bis nach dem Zweiten Weltkrieg eine Männerdomäne war und Frauen allenfalls an den Maskenbällen duldete. Zwar gab es Pioniere wie den Dupf-Club – heute notabene eine Männerclique –, der bereits in den Dreissigerjahren Frauen als Pfeiferinnen aufnahm, was damals hohe Wellen schlug. Die Gleichberechtigung kam später Schritt für Schritt: «Nach dem Krieg wurde alles anders. Die Fasnacht verlagerte sich total auf die Strasse und öffnete sich», sagt -minu. «Ganz plötzlich wurde der Ansturm der Frauen immens – die meisten lernten Piccolo.»

Auch Alain Grimm von der BMG meint, dass sich diese Rollenbilder mit dem für Frauen anfänglich noch beschränkten Zugang zur Fasnacht etabliert haben müssen: «Ihnen war vorerst nur das Pfeifen vorbehalten – das Trommeln war noch lange Zeit männerdominiert.» Dieses Bild halte sich bis heute hartnäckig. Zudem gibt es weitere Kriterien, die bei der Entscheidung für das eine oder andere Instrument entscheidend sind. -minu nennt finanzielle Aspekte: «Ich hätte gerne getrommelt, aber in den Fünfzigerjahren war das einfach zu teuer», erinnert sich der langjährige Pfyffer.

Auch Pascal Reiniger, Obmann der Männerclique Schnurebegge, die ebenfalls einen Tambourenüberhang kennt, kennt andere Gründe: «Ich habe noch auf alten schweren Trommeln trommeln gelernt – das war kaum drei Tage lang auszuhalten», erinnert er sich. Schmerzen an den Schultern gehörten damals wohl auch für hartgesottene Tambouren dazu. «Wahrscheinlich wurden männliche Pfyffer deshalb verspottet, sie seien keine ganzen Kerle – dass das Blödsinn ist, versteht sich aber von selbst», sagt Reiniger.

Posaunen und Trompeten statt Piccolos?

Sowohl in den 29 gemischten wie auch in den verbliebenen sieben Männercliquen macht man sich Gedanken, wie man mehr Buben vom Piccolo überzeugen könnte. Einen Lösungsansatz sieht Severin Obertüfer im Argument, dass ein Pfyffer viel schneller mitspielen kann, während ein Tambour zuerst ein paar Jahre im Vortrab mitmarschiert. «Damit können wir die Buben manchmal ködern», sagt der Obmann der Jungen VKB.

Das wohl ausgefallenste Rezept gegen den Pfeifermangel wurde vor ein paar Jahren bei den Schnurebegge andiskutiert: 2010 plante man bei der Männerclique, fortan Blechbläser ins Spiel aufzunehmen. Der gewagte Vorschlag wurde zwar zuerst angenommen, verursachte aber seinerseits Probleme: Wo findet man dafür Instruktoren und wer macht die Arrangements der Fasnachtsmärsche für die Hörner, Posaunen und Trompeten?

Zudem blieb das erwartete Echo aus. «Das riss die Clique beinahe auseinander», sagt Pascal Reiniger, der damals das Blasmusikprojekts leitete. 2014 wurde daher die Idee begraben. In den Augen von Reiniger hat das gescheiterte Projekt dennoch wichtige Erkenntnisse gebracht: «Neue Leute gewinnen wir nicht, indem wir die Musik verändern, sondern indem wir aktiv auf die Leute zugehen.» Inzwischen konnten die Schurebegge so auch ein paar neue Pfeifer anwerben.

Erwachsene Anfänger sollen mehr Akzeptanz erhalten

Ähnlich erging es auch der Männerclique von Michael Robertson, den Basler Bebbi. Nach einer Durststrecke vor ein paar Jahren gibts auch dort wieder einen Aufwärtstrend bei den Pfeifern. Das «Offizielle Brysdrummle und -pfyffe» war dabei ein wichtiger Ansporn: «Erstmals seit Jahrzehnten konnten wir eine Gruppe der Jungen hinschicken», sagt Robertson.

Auch bei der Mittwoch-Gesellschaft möchte man den Teufel nicht an die Wand malen: «Krisen bringen immer auch wieder innovative Ideen hervor», sagt Alain Grimm. Die BMG hat etwa das Problem so angepackt, dass sie Erwachsenenkurse anbietet. Dort liegt grosses Potenzial brach: «Es ist falsch, zu glauben, dass man nur als Kind mit Fasnacht beginnen und ein Instrument erlernen kann», sagt Grimm. So soll auch dieses Jahr wieder «Die erschti Lektion fir Erwaggseni» auf dem Barfi stattfinden.

Vor allem aber sei ein generelles Umdenken vonnöten, sagt Alain Grimm: «Das Bild, dass Pfeifen etwas Weibliches oder etwas Schwaches sei, muss aus den Köpfen verschwinden.» Dazu brauche es aber Vorbilder. Für Trommler gibt es bereits das Top Secret Drum Corps. Vielleicht bräuchte es ein Pendant aus Pfeifern. Diesem Gedanken kann auch Michael Robertson etwas abgewinnen: «Zwar sind viele Virtuosen an den Vorfasnachtsveranstaltungen zu hören, meist aber in zusammengewürfelten Gruppen.» Eine allgemeine Schule für eine Art «Showpfyffe»? In seinen Augen eine durchaus interessante Idee. 

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